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Urteil zur Luftreinheit
"Fahrverbote sind ein Mittel, wenn alles andere nicht zieht"

Der Grünen-Politiker Oliver Krischer hält Fahrverbote für Dieselautos für die letzte Möglichkeit, falls diese nicht nachgerüstet werden könnten. Dann müssten aber die Autobesitzer von den Herstellern entschädigt werden, "denn die haben ja geglaubt, sie kaufen ein sauberes Auto", sagte Krischer im Dlf.

Oliver Krischer im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) spricht am 26.02.2015 im Bundestag in Berlin im Rahmen der Debatte um die Maut auf deutschen Fernstraßen.
    Oliver Krischer (Grüne) ist stellvertretender Vorsitzender des Abgasuntersuchungs-Ausschusses im Bundestag. (picture alliance/dpa - Tim Brakemeier)
    Sarah Zerback: Am Telefon ist jetzt Oliver Krischer von Bündnis 90/Die Grünen, Obmann seiner Partei und stellvertretender Vorsitzender des Abgasuntersuchungsausschusses. Guten Tag, Herr Krischer!
    Oliver Krischer: Guten Tag!
    Zerback: Fahrverbote wollten Sie ja eigentlich nicht, jetzt sieht es aber ganz danach aus. Enttäuscht?
    Krischer: Nein. Also, das ist ein wegweisendes Urteil, weil, es setzt den Gesundheitsschutz der Menschen in den Innenstädten ganz nach vorne. Das ist richtig und notwendig. Das heißt, heute wird wieder bestätigt, dass wir handeln müssen, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Stickoxidemissionen in den Städten zurückgehen. Und für alle, die da seit Jahren für kämpfen, ist das eine Bestätigung. Und jetzt ist die Bundesregierung aufgefordert, nach Jahren des Aussitzens, nach Jahren des Wegguckens, endlich mal dafür zu sorgen, dass es hierfür einen klaren Rechtsrahmen gibt, dass schnell gehandelt werden kann, damit die Zeiten, wo ständig die Grenzwerte überschritten werden, dann auch mal zu Ende sind.
    Zerback: Aber eigentlich wollten Sie ja vermeiden, dass das durch Fahrverbote geschieht. Woher der Sinneswandel? Auch wenn das die jetzt bedeuten würde, wären Sie trotzdem einverstanden?
    Krischer: Das Beste wäre natürlich, wir kriegen die Autos mal sauber. Herr Dobrindt hat jahrelang zugelassen, dass die Hersteller tricksen und betrügen können. Er hat trotz dass er es wusste, weggeguckt, er hat einfach nicht gehandelt. Deshalb wäre die erste Priorität, dass mal neue Fahrzeuge, die auf den Markt kommen, die Grenzwerte einhalten. Das erleben wir ja, dass nicht mal das der Fall ist. Die zweite Priorität wäre, dass vorhandene Fahrzeuge umgerüstet werden, und zwar so umgerüstet werden, dass tatsächlich die Emissionen auch reduziert werden können. Wenn das nicht gelingt, dann sind am Ende Fahrverbote zu machen. Und es ist jetzt die Bundesregierung und die Autohersteller am Zuge, die jetzt kurzfristig erklären müssen: Kriegen sie es in kurzer Zeit hin, die Emissionen durch Umrüstungen zu reduzieren? Wenn das nicht geht, dann wird es Fahrverbote geben müssen, das ist immer grüne Position gewesen. Mir wäre lieber, es ginge ohne Fahrverbote, weil ich es nicht bei den Menschen abladen will, die in dem guten Glauben ein Diesel-Auto gekauft zu haben, weil es sauber ist, … weil da das Problem einfach nicht hingehört. Wenn es aber am Ende nicht anders geht, dann wird es auch mit Fahrverboten gemacht werden müssen.
    "Landesregierung in Stuttgart hat Dobrindts Job gemacht"
    Zerback: Aber Herr Krischer, "immer grüne Position gewesen", das haben wir ja bis vor Kurzem auch gedacht, bis dann Ihr grüner Parteikollege Winfried Kretschmann dann die Kehrtwende vollzogen hat. Wie erklären Sie denn das?
    Krischer: Na ja, Herr Kretschmann ist derjenige gewesen mit seiner Landesregierung, die seit über anderthalb Jahren versuchen, in Stuttgart, in Baden-Württemberg Lösungen zu finden. Sie haben den Job gemacht, den Herr Dobrindt und die Bundesregierung nicht gemacht haben, den übrigens auch Frau Hendricks nicht gemacht hat, wie ich eben gehört habe, die jetzt sich bestätigt fühlt. Da frage ich mich, warum sie in den letzten zwei Jahren nichts unternommen hat. Und es war immer klar, die Nachrüstungen sollen Priorität haben. Weil, es geht ja nicht nur darum, dass das Fahrzeug in bestimmten Gegenden dann sauber ist, sondern ich will Autos haben, die überall sauber sind, die immer sauber sind. Und Fahrverbote sind nur ein Mittel, wenn alles andere nicht zieht. Aber wir haben jetzt zwei Jahre lang eine Bundesregierung erlebt, die das ausgemessen hat, das Gericht macht jetzt Druck. Wenn es dann am Ende so ist, dass es nur mit Fahrverboten zu lösen ist, dann ja, aber dann muss das auch heißen, dass die Autofahrer entschädigt werden, weil, die haben ja gedacht, sie kaufen ein sauberes Auto, und nicht, dass sie irgendwann aus Innenstädten ausgesperrt werden.
    Zerback: Jetzt sagen Sie gerade, Fahrverbote als Ultima Ratio. Die Nachrüstungen, unter welchen Bedingungen würden Sie die denn akzeptieren? Weil, da gibt es ja viele Autoexperten, die Zweifel daran haben, dass die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch sind, wirksam sind!
    Krischer: Ich finde, man kann bei dem ganzen Thema viel von den USA lernen. Die Amerikaner in Kalifornien haben gesagt, 85 Prozent muss reduziert werden, das war im Falle Volkswagen. Ich denke, das ist eine Größenordnung, die auch in Deutschland machbar wäre, weil die deutschen Autohersteller liefern ja in den USA tipptopp saubere Autos ab, warum soll das auch nicht hier in Deutschland gehen? Und das wird natürlich nicht mit solchen Billiglösungen, Software-Updates, zu machen sein. Wenn wir dann hören, dass die Harnstofftanks schon zu klein sind, dann nützt auch das beste Software-Update nichts. Jetzt sind die Hersteller endlich mal gefordert – ich glaube, die Diskussion der letzten Woche hat das nun überdeutlich gemacht –, dass sie wirklich substanzielle Maßnahmen auf den Tisch legen, alle Karten auf den Tisch legen und auch sagen: Wir werden die Fahrzeuge so nachrüsten, auf unsere Kosten, dass sie sauber werden, und das auch schnell machen. Ich glaube, das wäre das richtige Mittel, um dem Urteil gerecht zu werden, um vielleicht dann am Ende auch noch Fahrverbote zu vermeiden. Wenn das nicht funktioniert, wenn die Hersteller das nicht wollen, die Bundesregierung, Herr Dobrindt den Rahmen nicht schafft, dann, fürchte ich, sind Fahrverbote nicht nur in Stuttgart, sondern auch in anderen Teilen der Republik unvermeidlich.
    Entschädigung von Automobilherstellern gefordert
    Zerback: Und damit wiederum rücken Sie ja schon von Ihrem eigentlichen Markenkern ab.
    Krischer: Nein, absolut nicht. Es geht ja darum, dass die Luft sauberer wird in den Städten. Das ist die Priorität. Und die Frage ist: Wie erreiche ich das? Ich will, dass eine Autoindustrie für das Tricksen und Betrügen, was sie in den letzten Jahren getrieben hat, dass sie dafür geradesteht, dass sie die Fahrzeuge nachrüstet, dass sie dafür die technischen Lösungen liefert, dafür auch das Ganze dann entsprechend finanziert. Wenn sie dann die Hände hebt und sagt, das kriegen wir alles nicht hin, das schaffen wir nicht, dann können es nur Fahrverbote sein. Dann muss es aber auch so sein, dass die Halter der Fahrzeuge, die nicht mehr in die Innenstädte reinfahren dürfen, von den Automobilherstellern entschädigt werden, weil, die haben ja geglaubt, sie kaufen ein sauberes Auto.
    Zerback: Und da rechnen Sie damit, dass tatsächlich dieses Urteil aus Stuttgart jetzt diese Signalwirkung haben könnte? Ist das nicht ein bisschen blauäugig?
    Krischer: Also, ich erlebe ja, dass nächste Woche ein Diesel-Gipfel stattfindet. Und ich habe eben Frau Hendricks gehört, die Forderungen an ihren Kabinettskollegen Herrn Dobrindt gestellt hat. Ich erwarte jetzt einfach mal, dass die Bundesregierung sich um das Thema kümmert. Ich habe ein Jahr lang im Diesel-Untersuchungsausschuss gesessen und habe erlebt, dass das Thema kleingeredet wurde, dass es an jeder Stelle weggedrückt wurde, dass gesagt wird, das ist alles nicht schlimm. Bis hin zu der Tatsache, dass die Große Koalition gesagt hat, Stickoxide sind gar nicht gefährlich, das ist alles gar nicht wissenschaftlich erwiesen. Jetzt ist es an der Zeit, mit diesem Urteil, dass gehandelt wird und dass tatsächlich hier auch mal ernst gemacht wird. Ich glaube, das ist auch im Sinne der Automobilindustrie. Wer kauft sich denn noch einen Diesel, ernsthaft jetzt nach diesem Urteil, wenn er am Ende nicht weiß, ob er noch in Innenstädte fahren darf? Und da sollte die Automobilindustrie jetzt Lösungen anbieten, jetzt aber mal ernsthaft, die das anders hinkriegen und Fahrverbote vermeiden helfen. Weil ich glaube, das ist der notwendige und unumgängliche Schritt, um auch Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
    "Automobilhersteller können das locker schultern, dass die Fahrzeuge nachgerüstet werden"
    Zerback: Wäre da eine blaue Plakette ein guter Kompromiss in Ihren Augen?
    Krischer: Ja, selbstverständlich ist die blaue Plakette ein Mittel. Wenn ein Fahrzeug sauber ist, wenn nachgewiesen ist, das Fahrzeug ist umgerüstet, das hat einen angemessen großen Harnstofftank, das hat nicht das, was wir bei vielen Herstellern erlebt haben, dass die Abgasreinigungseinrichtung bei bestimmten Temperaturen abgeschaltet wird. Wenn das alles dann an dem Fahrzeug geklärt ist, dann bekommt das eine blaue Plakette, dann kann das rumfahren, wo es will. Das ist aber dann, was nicht die Autobesitzer verantworten, sondern die Autohersteller, die müssen das umsetzen und finanzieren. Und das ist das, was jetzt eigentlich ansteht. Ich glaube, dazu sind die auch gut in der Lage, wenn ich mir die Gewinne der letzten Jahre der Automobilhersteller angucke, dann können die das auch locker schultern, dass sie die Fahrzeuge entsprechend nachrüsten. Und das wäre jetzt eigentlich das Gebot der Stunde.
    Zerback: Haben Sie denn da noch Vertrauen, dass das auch tatsächlich geschieht, nach all dem, was wir jetzt auch gerade in den letzten Stunden und Tagen wieder erlebt haben? Stichwort Porsche, Stichwort VW, Audi?
    Krischer: Natürlich habe ich dieses Vertrauen nicht mehr. Ich habe im Untersuchungsausschuss "Diesel-Gate" erlebt, wie die Branche umgegangen ist und mit welchen Tricks da gearbeitet wird. Deshalb sage ich ja, die Bundesregierung muss handeln und muss ein klares Regelwerk schaffen, muss beispielsweise eine blaue Plakette einführen, muss klar Rahmenbedingungen für die Hardware-Lösungen festlegen, muss das alles dann auch unabhängig überprüfen. Das findet ja bisher alles gar nicht statt. Deshalb ist die Bundesregierung als Exekutive hier gefordert für ganz Deutschland, das ist ja nicht nur ein Problem in Baden-Württemberg, sondern in vielen deutschen Städten, in nahezu allen Bundesländern. Und deshalb brauchen wir hier einen klaren Rahmen, der dafür sorgt, dass die Fahrzeughersteller handeln müssen. Das ist jetzt eigentlich das, was die Konsequenz aus diesem Urteil ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.