Christoph Heinemann: "Wer nicht von 3000 Jahren sich weiß, Rechenschaft zu geben, bleib im Dunkeln, unerfahren, und mag von Tag zu Tag leben", schrieb Johann Wolfgang von Goethe in seinem West-östlichen Divan. Wir erhöhen Goethes 3000 jetzt um ein paar Tausend Jahre, denn im Berliner Pergamon-Museum ist ab heute die Ausstellung zu sehen "Uruk – 5000 Jahre Megacity".
Uruk war eines der wichtigsten städtischen Herrschaftszentren im Zweistromland, dem heutigen Irak, und Uruk ist der erste Fundort der bis heute wichtigsten Kulturtechnik, ohne die wir vermutlich immer noch auf den Bäumen leben würden: der Schrift, und im Falle Uruks genauer gesagt der Keilschrift. Seit 100 Jahren graben deutsche Archäologen im alten Mesopotamien, auch daran erinnert die Ausstellung in Berlin. Die Grabungsleiterin, die letzte und aktuelle noch, war vor dem Irakkrieg bis Sommer 2002 Dr. Margarete van Ess. Sie ist die wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Ich habe sie vor dieser Sendung gefragt, inwiefern Uruk eine Megacity war.
Margarete van Ess: Uruk ist eine Megacity im Sinne des vierten Jahrtausends vor Christus, natürlich nicht im Sinne einer heutigen Megacity. Zu dem Zeitpunkt gab es Gründe, warum Personen aus den Dörfern in die Stadt zogen, also eine Landflucht stattgefunden hat, sie sich in einer bestimmten Region angesiedelt haben und daraus dann die Stadt entstanden ist. Wir haben es also dort mit einer Entwicklung zur Stadt zu tun, die dann ganz schnell schon im damaligen Sinne zu einer Großstadt wurde.
Heinemann: Wieso Landflucht?
van Ess: Die Gründe kennen wir nur bedingt, weil wir noch nicht ausreichend forschen konnten unten. Zum einen gab es im vierten Jahrtausend eine Klimaveränderung. Das Klima wurde dort unten trockener und damit veränderten sich die Art der Landwirtschaft beziehungsweise überhaupt die Lebensbedingungen. Und eine Option war, Menschen draußen auf dem Land Landwirtschaft zu ermöglichen und andererseits in der Stadt das Ganze zu organisieren. Zweites Faktum ist einfach, dass man stärker in die Viehwirtschaft investiert hat, die sehr landintensiv ist, und auch das muss organisiert werden. – Also der wichtige Punkt ist, dass man organisieren musste und damit quasi eine Verwaltung erfinden musste, ein Instrument, was sich um diese Organisation gekümmert hat. Das ist vermutlich der Grund, warum derartige Städte und auch Großstädte entstehen.
Heinemann: Und zur Verwaltung benötigten die Menschen damals auch die Schrift?
van Ess: Sie benötigten sie in dem Moment, wo es sehr komplex wurde. Es gab schon viele Jahrtausende zuvor Erinnerungshilfen. Das heißt, man hat sich irgendwelche Knoten in Schnüre gemacht, man hat sich kleine Gegenstände gebastelt, um bestimmte Vorgänge in Erinnerung zu behalten und sie vielleicht auch nonverbal weiterzugeben. Aber irgendwann war das so komplex geworden, dass das nicht mehr ausreichte, und dann hat sich wahrscheinlich einer oder vielleicht einige wenige Personen hingesetzt und gesagt, so, und jetzt erfinden wir uns ein System, mit dem man das besser auflisten kann. Diese Schrift, die damals so um 3300 vor Christus erfunden wurde, ist zunächst mal ein reines Verwaltungs-Aufzeichnungssystem und nicht Schrift im Sinne von geschriebenen Sätzen oder Literatur oder religiösen Texten.
Heinemann: Können Sie Keilschrift lesen?
van Ess: Ich habe es gelernt, ja. Ich habe vieles vergessen, denn ich habe mich dann auf die Archäologie spezialisiert, die ganz andere Anforderungen hat. Aber ich weiß immer noch, wie herum man eine Tontafel dreht, und ich kann auch die wichtigsten Zeichen lesen, sodass ich weiß, welche Spezialisten ich brauche, um welchen Text zu lesen.
Heinemann: Was ist eigentlich nachweislich über die Hochzeit von Uruk bekannt?
van Ess: Sehr vieles, einfach durch die Ausgrabungen, die nicht nur Architekturreste gebracht haben, wundervolle Architekturreste, sondern auch Hinterlassenschaften dessen, was die Leute zum Leben brauchten. Das heißt, wir finden in großen Mengen Keramikgefäße, wir finden die Reste dessen, wie Viehwirtschaft durchgeführt wurde, zum Beispiel schlichtweg Dung, oder wir finden kleine Haushaltsgegenstände. Wir finden alles Mögliche, aus dem wir die Situation der damaligen Zeit rekonstruieren können, und aus dieser Art der Rekonstruktion lässt sich relativ gut ablesen, wie Gesellschaft damals organisiert war, wie Menschen privat gelebt haben, aber auch, in welchem Verhältnis sie zu den oberen Schichten gestanden haben, oder in welcher Form sie durch die Verwaltung beeinflusst waren.
Heinemann: Stichwort "obere Schicht". Über Gilgamesch, einen der sagenhaften Könige von Uruk, heißt es in einem zeitgenössischen Epos, "der alles gesehen im Bereich des Landes, der die Meere kannte, jegliches wusste, er durchschaute das Dunkelste gleichermaßen, Weisheit besaß er, Kenntnisse der Dinge allzumal." Also das war offenbar ein schlauer Junge, mit dem heutige Politiker und Journalisten kaum mithalten können. Wie wichtig war der Herrscher für den jeweiligen Stand der Zivilisation?
Van Ess: Der Herrscher war sehr wichtig. Er war im Prinzip das Medium zwischen der Götterwelt und den Menschen, das heißt der Mediator, der das umsetzt, was von den Göttern gewollt ist. Und deswegen entsteht auch dieses Bild, dass der Herrscher alles zu können und zu wissen hat. De facto war der wahrscheinlich gar nicht so unterschiedlich zu unseren heutigen Politikern oder Journalisten. Er wusste vieles ein wenig, aber nicht alles im Detail. Dafür hatte er seine Leute und das hat er sehr früh schon organisiert, und wir können in der Geschichte immer wieder auch sehr gut erkennen, wie stark zum Beispiel eine Priesterschaft Einfluss auf einen Herrscher nehmen kann, einfach weil sie, die nämlich lesen und schreiben können und viele, viele Jahre die alten Texte studiert haben, viel mehr wissen als der Herrscher selbst. Nichts desto trotz wird natürlich das Bild aufgebaut, dass dieser Herrscher alles kann, alles weiß und für alles zuständig ist und damit Beruhigung für das Land schafft.
Heinemann: Was macht überhaupt die kulturelle Blüte dieser Stadt Uruk aus und wie endete diese Blüte?
van Ess: Wir können sehr gut verfolgen, wie das, was als städtische Errungenschaften im vierten Jahrtausend entwickelt wurde, sich über die Jahrtausende hinweg weiter hielt und weiter ausgebaut wurde, wie es von der Stadt dann zu Staaten kommt, zu Großreichen und so weiter. Und Uruk hatte, obwohl es nie Hauptstadt mehr war, dann einen ganz großen Anteil daran – ganz offensichtlich deswegen, weil in Uruk, ja wie soll man sagen, so eine Art Wissenschaftszentrum oder auch religiöses Zentrum war, in dem, einfach auf dem alten Renommee basierend, Leute saßen, die sich Gedanken gemacht haben, die das aufgeschrieben haben, was man aus der Geschichte wusste, aber eben auch neue Dinge entwickelt haben. Ja, es ist im Prinzip eine Art Wissenschaftszentrum, wenn man das ganz modernistisch ausdrücken möchte.
Heinemann: Sie sind offiziell noch die Leiterin der Grabungen in Uruk des Deutschen Archäologischen Instituts. Sie sind aber seit 2002 nicht mehr dort. Welche Folgen hatte Ihren Erkenntnissen zufolge der letzte Krieg im Irak für diese historischen Stätten?
van Ess: Für die archäologischen Stätten hat das vor allem mit sich gebracht, dass es Raubgrabungen in fast nicht vorstellbarem Ausmaß gegeben hat. In Uruk Gott sei Dank nicht. Wir haben nach wie vor eine sehr engagierte Wächterfamilie dort, die auch in der Zusammenarbeit mit der örtlichen Antikenverwaltung immer dafür gesorgt hat, dass es der Ruine gut geht. Ich war gerade im Februar dort und konnte mich dessen versichern, dass alles ist, wie es immer gewesen ist. Insofern ist Uruk da eine wunderbare Ausnahme. Aber leider hat es gerade im Süden des Iraks unermessliche Zerstörung gegeben durch diese Raubgrabungen.
Heinemann: Wann wird wieder gegraben?
van Ess: Es ist schwer, im Moment Vorhersagen zu geben, aber ich hoffe, für die nahe Zukunft.
Heinemann: Frau van Ess, wie unterscheiden sich Ausgrabungen vor 100 Jahren und die Ausgrabungen heute?
van Ess: Sie unterscheiden sich gar nicht so sehr. Das Wesentliche bei Ausgrabungen ist eigentlich ähnlich wie in der Kriminalistik, dass man Spuren sichert, so detailliert und so exakt wie nur irgend möglich Spuren sichert, und das heißt damals wie heute sehr, sehr viel Handarbeit. Heutzutage kommt natürlich hinzu, dass es viele naturwissenschaftliche und auch technische Möglichkeiten gibt, die es vor 100 Jahren nicht gab. Wir können zum Beispiel Satellitenbilder zur Analyse ganzer Stadtstrukturen einsetzen. Wir können mit Magnetometern etwas in den Boden hineinschauen und wissen im Prinzip schon, welche Schichten uns erwarten, ohne dass wir einen einzigen Spatenstich getan haben. Wir können besser datieren durch naturwissenschaftliche Analysen. Wir können auch Materialzusammensetzungen deutlich besser feststellen, als das damals der Fall war. Aber im Prinzip ist die Tätigkeit geblieben, wie sie immer war, und das ist auch der Reiz für die meisten Archäologen daran.
Heinemann: Und was passiert mit den Fundstücken, die Sie ausgegraben haben?
van Ess: Die Fundstücke bleiben alle im Heimatland, also in dem Fall im Irak. Das ist seit 1969 so. Davor gab es eine Fundteilung, die besagte, dass 50 Prozent der Funde an die ausgrabende Institution gehen. Deswegen gibt es hier Funde in Deutschland, nämlich in Berlin und in Heidelberg, die aus Uruk stammen. Das sind aber alles Sachen, die vor 1969 hier hergekommen sind. Inzwischen bleibt alles im Irak, und was wir mitnehmen ist die Dokumentation, die so picobello wie nur irgend möglich sein muss.
Heinemann: "Uruk – 5000 Jahre Megacity", ab heute im Berliner Pergamon-Museum, ab dem 20. Oktober dann auch in Mannheim zu sehen. Ausgerichtet hat diese Ausstellung unter anderem Dr. Margarete van Ess, die wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Uruk war eines der wichtigsten städtischen Herrschaftszentren im Zweistromland, dem heutigen Irak, und Uruk ist der erste Fundort der bis heute wichtigsten Kulturtechnik, ohne die wir vermutlich immer noch auf den Bäumen leben würden: der Schrift, und im Falle Uruks genauer gesagt der Keilschrift. Seit 100 Jahren graben deutsche Archäologen im alten Mesopotamien, auch daran erinnert die Ausstellung in Berlin. Die Grabungsleiterin, die letzte und aktuelle noch, war vor dem Irakkrieg bis Sommer 2002 Dr. Margarete van Ess. Sie ist die wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Ich habe sie vor dieser Sendung gefragt, inwiefern Uruk eine Megacity war.
Margarete van Ess: Uruk ist eine Megacity im Sinne des vierten Jahrtausends vor Christus, natürlich nicht im Sinne einer heutigen Megacity. Zu dem Zeitpunkt gab es Gründe, warum Personen aus den Dörfern in die Stadt zogen, also eine Landflucht stattgefunden hat, sie sich in einer bestimmten Region angesiedelt haben und daraus dann die Stadt entstanden ist. Wir haben es also dort mit einer Entwicklung zur Stadt zu tun, die dann ganz schnell schon im damaligen Sinne zu einer Großstadt wurde.
Heinemann: Wieso Landflucht?
van Ess: Die Gründe kennen wir nur bedingt, weil wir noch nicht ausreichend forschen konnten unten. Zum einen gab es im vierten Jahrtausend eine Klimaveränderung. Das Klima wurde dort unten trockener und damit veränderten sich die Art der Landwirtschaft beziehungsweise überhaupt die Lebensbedingungen. Und eine Option war, Menschen draußen auf dem Land Landwirtschaft zu ermöglichen und andererseits in der Stadt das Ganze zu organisieren. Zweites Faktum ist einfach, dass man stärker in die Viehwirtschaft investiert hat, die sehr landintensiv ist, und auch das muss organisiert werden. – Also der wichtige Punkt ist, dass man organisieren musste und damit quasi eine Verwaltung erfinden musste, ein Instrument, was sich um diese Organisation gekümmert hat. Das ist vermutlich der Grund, warum derartige Städte und auch Großstädte entstehen.
Heinemann: Und zur Verwaltung benötigten die Menschen damals auch die Schrift?
van Ess: Sie benötigten sie in dem Moment, wo es sehr komplex wurde. Es gab schon viele Jahrtausende zuvor Erinnerungshilfen. Das heißt, man hat sich irgendwelche Knoten in Schnüre gemacht, man hat sich kleine Gegenstände gebastelt, um bestimmte Vorgänge in Erinnerung zu behalten und sie vielleicht auch nonverbal weiterzugeben. Aber irgendwann war das so komplex geworden, dass das nicht mehr ausreichte, und dann hat sich wahrscheinlich einer oder vielleicht einige wenige Personen hingesetzt und gesagt, so, und jetzt erfinden wir uns ein System, mit dem man das besser auflisten kann. Diese Schrift, die damals so um 3300 vor Christus erfunden wurde, ist zunächst mal ein reines Verwaltungs-Aufzeichnungssystem und nicht Schrift im Sinne von geschriebenen Sätzen oder Literatur oder religiösen Texten.
Heinemann: Können Sie Keilschrift lesen?
van Ess: Ich habe es gelernt, ja. Ich habe vieles vergessen, denn ich habe mich dann auf die Archäologie spezialisiert, die ganz andere Anforderungen hat. Aber ich weiß immer noch, wie herum man eine Tontafel dreht, und ich kann auch die wichtigsten Zeichen lesen, sodass ich weiß, welche Spezialisten ich brauche, um welchen Text zu lesen.
Heinemann: Was ist eigentlich nachweislich über die Hochzeit von Uruk bekannt?
van Ess: Sehr vieles, einfach durch die Ausgrabungen, die nicht nur Architekturreste gebracht haben, wundervolle Architekturreste, sondern auch Hinterlassenschaften dessen, was die Leute zum Leben brauchten. Das heißt, wir finden in großen Mengen Keramikgefäße, wir finden die Reste dessen, wie Viehwirtschaft durchgeführt wurde, zum Beispiel schlichtweg Dung, oder wir finden kleine Haushaltsgegenstände. Wir finden alles Mögliche, aus dem wir die Situation der damaligen Zeit rekonstruieren können, und aus dieser Art der Rekonstruktion lässt sich relativ gut ablesen, wie Gesellschaft damals organisiert war, wie Menschen privat gelebt haben, aber auch, in welchem Verhältnis sie zu den oberen Schichten gestanden haben, oder in welcher Form sie durch die Verwaltung beeinflusst waren.
Heinemann: Stichwort "obere Schicht". Über Gilgamesch, einen der sagenhaften Könige von Uruk, heißt es in einem zeitgenössischen Epos, "der alles gesehen im Bereich des Landes, der die Meere kannte, jegliches wusste, er durchschaute das Dunkelste gleichermaßen, Weisheit besaß er, Kenntnisse der Dinge allzumal." Also das war offenbar ein schlauer Junge, mit dem heutige Politiker und Journalisten kaum mithalten können. Wie wichtig war der Herrscher für den jeweiligen Stand der Zivilisation?
Van Ess: Der Herrscher war sehr wichtig. Er war im Prinzip das Medium zwischen der Götterwelt und den Menschen, das heißt der Mediator, der das umsetzt, was von den Göttern gewollt ist. Und deswegen entsteht auch dieses Bild, dass der Herrscher alles zu können und zu wissen hat. De facto war der wahrscheinlich gar nicht so unterschiedlich zu unseren heutigen Politikern oder Journalisten. Er wusste vieles ein wenig, aber nicht alles im Detail. Dafür hatte er seine Leute und das hat er sehr früh schon organisiert, und wir können in der Geschichte immer wieder auch sehr gut erkennen, wie stark zum Beispiel eine Priesterschaft Einfluss auf einen Herrscher nehmen kann, einfach weil sie, die nämlich lesen und schreiben können und viele, viele Jahre die alten Texte studiert haben, viel mehr wissen als der Herrscher selbst. Nichts desto trotz wird natürlich das Bild aufgebaut, dass dieser Herrscher alles kann, alles weiß und für alles zuständig ist und damit Beruhigung für das Land schafft.
Heinemann: Was macht überhaupt die kulturelle Blüte dieser Stadt Uruk aus und wie endete diese Blüte?
van Ess: Wir können sehr gut verfolgen, wie das, was als städtische Errungenschaften im vierten Jahrtausend entwickelt wurde, sich über die Jahrtausende hinweg weiter hielt und weiter ausgebaut wurde, wie es von der Stadt dann zu Staaten kommt, zu Großreichen und so weiter. Und Uruk hatte, obwohl es nie Hauptstadt mehr war, dann einen ganz großen Anteil daran – ganz offensichtlich deswegen, weil in Uruk, ja wie soll man sagen, so eine Art Wissenschaftszentrum oder auch religiöses Zentrum war, in dem, einfach auf dem alten Renommee basierend, Leute saßen, die sich Gedanken gemacht haben, die das aufgeschrieben haben, was man aus der Geschichte wusste, aber eben auch neue Dinge entwickelt haben. Ja, es ist im Prinzip eine Art Wissenschaftszentrum, wenn man das ganz modernistisch ausdrücken möchte.
Heinemann: Sie sind offiziell noch die Leiterin der Grabungen in Uruk des Deutschen Archäologischen Instituts. Sie sind aber seit 2002 nicht mehr dort. Welche Folgen hatte Ihren Erkenntnissen zufolge der letzte Krieg im Irak für diese historischen Stätten?
van Ess: Für die archäologischen Stätten hat das vor allem mit sich gebracht, dass es Raubgrabungen in fast nicht vorstellbarem Ausmaß gegeben hat. In Uruk Gott sei Dank nicht. Wir haben nach wie vor eine sehr engagierte Wächterfamilie dort, die auch in der Zusammenarbeit mit der örtlichen Antikenverwaltung immer dafür gesorgt hat, dass es der Ruine gut geht. Ich war gerade im Februar dort und konnte mich dessen versichern, dass alles ist, wie es immer gewesen ist. Insofern ist Uruk da eine wunderbare Ausnahme. Aber leider hat es gerade im Süden des Iraks unermessliche Zerstörung gegeben durch diese Raubgrabungen.
Heinemann: Wann wird wieder gegraben?
van Ess: Es ist schwer, im Moment Vorhersagen zu geben, aber ich hoffe, für die nahe Zukunft.
Heinemann: Frau van Ess, wie unterscheiden sich Ausgrabungen vor 100 Jahren und die Ausgrabungen heute?
van Ess: Sie unterscheiden sich gar nicht so sehr. Das Wesentliche bei Ausgrabungen ist eigentlich ähnlich wie in der Kriminalistik, dass man Spuren sichert, so detailliert und so exakt wie nur irgend möglich Spuren sichert, und das heißt damals wie heute sehr, sehr viel Handarbeit. Heutzutage kommt natürlich hinzu, dass es viele naturwissenschaftliche und auch technische Möglichkeiten gibt, die es vor 100 Jahren nicht gab. Wir können zum Beispiel Satellitenbilder zur Analyse ganzer Stadtstrukturen einsetzen. Wir können mit Magnetometern etwas in den Boden hineinschauen und wissen im Prinzip schon, welche Schichten uns erwarten, ohne dass wir einen einzigen Spatenstich getan haben. Wir können besser datieren durch naturwissenschaftliche Analysen. Wir können auch Materialzusammensetzungen deutlich besser feststellen, als das damals der Fall war. Aber im Prinzip ist die Tätigkeit geblieben, wie sie immer war, und das ist auch der Reiz für die meisten Archäologen daran.
Heinemann: Und was passiert mit den Fundstücken, die Sie ausgegraben haben?
van Ess: Die Fundstücke bleiben alle im Heimatland, also in dem Fall im Irak. Das ist seit 1969 so. Davor gab es eine Fundteilung, die besagte, dass 50 Prozent der Funde an die ausgrabende Institution gehen. Deswegen gibt es hier Funde in Deutschland, nämlich in Berlin und in Heidelberg, die aus Uruk stammen. Das sind aber alles Sachen, die vor 1969 hier hergekommen sind. Inzwischen bleibt alles im Irak, und was wir mitnehmen ist die Dokumentation, die so picobello wie nur irgend möglich sein muss.
Heinemann: "Uruk – 5000 Jahre Megacity", ab heute im Berliner Pergamon-Museum, ab dem 20. Oktober dann auch in Mannheim zu sehen. Ausgerichtet hat diese Ausstellung unter anderem Dr. Margarete van Ess, die wissenschaftliche Direktorin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.