Für einen kurzen Moment war die Welt der Grünen-Spitze mal wieder in Ordnung. Das Spitzen-Duo Cem Özdemir, Simone Peter und die NRW-Grüne Silvia Löhrmann quetschen sich Anfang der Woche vor der Bundesvorstandsklausur in Berlin in einen selbstfahrenden Bus, der elektrisch angetrieben vor allem auf Rufe reagieren soll. Ohne Lenkrad, ohne Schaltknüppel. Simone Peter ruft fröhlich: Der vollverglaste Bus sei doch ein schönes Symbol für die Grünen - er sei transparent und fahre in eine Richtung.
Das Motto: Keine Panik!
Die Stimmung ist weit besser, als es die derzeitigen Umstände eigentlich zulassen. Die Umfragewerte sind mit neun Prozent gefährlich nahe am schlechten Wahlergebnis von 2013, der Jahresstart kommunikativ ein Desaster.
Jetzt soll alles besser werden. Und alle Journalisten, die den kleinen Bus umringen, sollen es sehen.
Am Dienstag, 10.1.2017, – nach der Partei-Klausur - gibt Cem Özdemir bei der Pressekonferenz in Berlin die Parole aus: Wir. Schauen. Jetzt. Nach. Vorn.
Simone Peter steht neben ihm:
"Also erst mal gilt, manche werden es kennen, aus 'Per Anhalter durch die Galaxis‘ die wichtigste Empfehlung: 'Don't panic‘. Das machen wir nicht. Die Umfragen können so oder so sein. Was wir auch nicht machen, ist die Schuld bei anderen zu suchen. Wir suchen die auch bei uns logischerweise. Damit haben wir uns auch hier beschäftigt. Aber jetzt schauen wir auch nach vorne und machen nicht nur eine Selbst-Bespiegelung oder eine Selbst-Beschäftigung."
Heile Welt?
Für die Kameras der Journalisten soll die Körpersprache der beiden Parteivorsitzenden deutlich machen: Die unschönen Wirrungen des Jahresanfangs - sie sind vergessen. Peter und Özdemir strahlen demonstrative Harmonie aus, sehen sich häufig an. Es wird gemeinsam gelacht.
Und doch, der Grundkonflikt in der Partei bleibt: Alte Ideale treffen auf neue Herausforderungen. Das gilt vor allem für die Sicherheitspolitik.
Es wirkt mühsam, wie die Parteispitze versucht, die Debatte um die innere Sicherheit, ein hartes, repressives Thema, das eher mit den Konservativen assoziiert wird, in grünes progressives Denken einzupassen.
Simone Peter ist sichtlich bemüht, die Wogen innerhalb der Partei zu glätten:
"Dazu gehört aber in der gesamten Sicherheitswahrnehmung auch, eine Verunsicherung auch, die durch andere Aspekte zum Tragen kommt. Zum Beispiel durch die mangelnde Ausstattung der sozialen Sicherheitssysteme, zum Beispiel durch Armut im Land."
Hartes Thema weich verpackt
Auch beim letzten Urwahlforum am Samstag in Berlin ist Sicherheit das Thema. Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter, der Kieler Umweltminister Robert Habeck und Parteichef Cem Özdemir: Sie wollen Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl sein. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beruhigt die Anhänger:
"Wir machen es so, dass Freiheit und Sicherheit selbstverständlich sind, und zwar für alle in diesem Land. Für die Armen wie für die Reichen. Für die Geflüchteten, wie für die, die schon länger hier leben."
Mit weichen Begriffen wie Freiheit, soziale Sicherheit, Bildung wird der harte Begriff der "inneren Sicherheit" gleichsam ummantelt. Es erinnert an Luftpolsterfolie, die allzu harte Kanten abdecken soll, damit sich keiner daran stößt.
Wofür stehen die Spitzenkandidaten?
Der Teufel aber steckt im Detail und so nutzen die Spitzenkandidaten die Sicherheitsdebatte auch, um eigene Akzente zu setzen. Der Kieler Umweltminister Robert Habeck kann sich durchaus mehr Videoüberwachung vorstellen: "Eine gezielte Ausweitung an den Kriminalitätsschwerpunkten finde ich richtig."
Im Gegensatz dazu bleibt der Parteilinke Anton Hofreiter da skeptisch:
"Das Problematische ist bloß, dass Videomaßnahmen häufig eine Scheinsicherheit erzeugen. Deshalb sind wir der Meinung, dass wir sinnvollerweise in solchen Fällen, wo es problematisch ist, nicht auf Video setzen, sondern dass in solchen kritischen Bereichen ausreichend Personal da ist."
Es ist ein Wechselspiel zwischen alten Idealen und neuen Herausforderungen. Parteichef Cem Özdemir bezieht klar Stellung. Die Zeiten und auch die Grünen hätten sich gewandelt: Die demoerfahrene Gründergeneration, die in der Auseinandersetzung mit der Polizei politisch sozialisiert wurde, ist nicht mehr:
"Für uns ist die Polizei nicht 'das Andere'. Während die Generation davor teilweise auch noch aufgewachsen ist mit den alten Kämpfen. Ich hatte diese alten Kämpfe nicht mehr. Ich kam meistens zu spät zu den Demonstrationen, weil ich die Erlaubnis von meinen Eltern nicht bekam hinzugehen. Da waren dann die Schlachten mit der Polizei immer schon vorbei."
Weiterer Grundkonflikt der Grünen
Es gehört zur politischen DNA der Ökopartei, sich für Randgruppen einzusetzen und vor Diskriminierung zu bewahren, sich als Fürsprecher für die Belange von Asylsuchenden zu verstehen. Es bleibt ein Spagat: als Minderheitenschützer auf Mehrheitssuche zu gehen.
Doch wie verfolgt die Parteibasis die Sicherheitsdebatte? Einige der Zuhörer beim Berliner Urwahlforum geben sich eher als Traditionalisten zu erkennen.
Eine Umfrage unter Teilnehmern des Forums zeigt, dass die grüne Basis andere Vorstellungen hat, als die Parteispitze.
"Für mich hat die Sicherheitsdebatte hier eine viel zu große Rolle gespielt. Die großen Themen, die ich sehe, sind stärker Klimawende, die Finanzwende, die Agrarwende."
"Das muss für die Grünen nicht unbedingt ein Problem sein, weil ich glaube, für die Grünen ist Sicherheit Freiheit ist und für beides stehen die Grünen."
"Die Forderung nach Polizei, Polizei, Polizei, das klingt für mich wie ein Polizeistaat. Und das aus dem Mund der Grünen? Große Überraschung!"
Minderheitenschutz und Mehrheitssuche – einen ersten Fingerzeig wird die Parteibasis geben, wenn sie sich am 18. Januar auf das Spitzenduo einigt, das die Grünen durch den Bundestagswahlkampf führen soll. Realo, Fundi oder ein flügelübergreifender Kandidat - das gibt erste Orientierung für die Partei.
Im Juni soll das Wahlprogramm stehen. Spätestens dann muss für die Grünen klar sein, in welche Richtung der gläserne Bus weiterfahren wird.