Schon früh hat sich der amtierende US-Präsident Donald Trump in Bezug auf die Globalisierung geäußert und unmissverständlich klargemacht, dass ab jetzt die Devise "America First" gelte. Inzwischen ist ja fast in Vergessenheit geraten, dass es die USA waren, die seit dem Zweiten Weltkrieg in der westlichen Welt ein Ordnungssystem etabliert haben, das auf den Prinzipien Demokratie, Marktwirtschaft und Multilateralismus beruhte und auf Institutionen wie der Nato, dem Internationalen Währungsfonds (WTO), der Weltbank oder dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen, kurz Gatt.
Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg, hat sich in seinem aktuellen Buch "America First - Donald Trump im Weißen Haus" unter anderem mit der US-Außenpolitik.
Barbara Weber: Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis in Bezug auf die US-Außenpolitik bei der Beschäftigung mit Donald Trump?
Stephan Bierling: Trump hat das Land in einer schweren außenpolitischen Lage übernommen: der Aufstieg Chinas, die Aggression Russlands, Fehler der USA wie der Irak-Krieg haben die USA geschwächt und haben auch die innenpolitische Zustimmung zur Außenpolitik, zu einer aggressiven oder interventionistischen Außenpolitik zusammenschmelzen lassen. Trump ist sozusagen die Verkörperung dieser Abwendung von der Welt, diese Abwendung von Interventionen, wie wir es unter Obama gesehen haben, wie wir es unter Bush gesehen haben. Und er will mit Isolationismus und Unilateralismus Amerika allein wieder zu einer mächtigen Nation auf dem Planeten machen.
"Bei Trump hat alles geschäftlichen Charakter"
Weber: Dazu gehört aber auch, dass er bilaterale Verträge abschließt oder wenn wir einen Blick nach Nahost wenden, dann zu Kooperationen - aktuelles Beispiel Arabische Emirate, Bahrein, Israel - kommt. Wie beurteilen Sie das? Er feiert das ja als historischen Durchbruch?
Bierling: Bei Trump hat alles transaktionalen Charakter, also geschäftlichen Charakter. Er behandelt jene Staaten gut, die ihm entgegenkommen, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, und jene schlecht, von denen er glaubt, dass sie die USA über den Tisch ziehen. Das sehen wir auch im Mittleren und Nahen Osten. Seine erste Auslandsreise führte ihn ja nach Saudi-Arabien, zum einen, weil Saudi-Arabien ein alter Verbündeter ist, das Obama nicht sonderlich gut behandelt hat, zum anderen allerdings, weil Saudi-Arabien der größte Waffenkäufer der USA ist. Was wir im Moment sehen an Entwicklungen, ist insgesamt positiv. Natürlich, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und zwei kleinen arabischen Staaten ist gut, aber das ist im Grunde nur die Kulmination einer langfristigen Entwicklung.
Beide Seiten, Israel wie die arabische Welt sehen im Iran die große Herausforderung, die große Bedrohung und haben panische Angst vor einem mit Atomwaffen bestückten Iran. Und deshalb kommt es zu dieser Kooperation. Der große Preis ist Trump allerdings nicht gelungen - das wäre die Aufnahme der Beziehung zwischen Saudi-Arabien, der arabischen Führungsmacht, und Israel. Und er hat das Schicksal der Palästinenser in diesem ganzen Deal hinten runter fallen lassen.
Weber: Also das heißt, wir sind weiter entfernt denn je von einer Zwei-Staaten-Lösung?
Bierling: Die ist mehr oder weniger von Trump in die Schublade geschoben worden. Er hat ja im Grunde den Annexionsplan von Netanyahu unterstützt, der jetzt auch wieder auf Eis liegt. Aber im Grunde können sich die Palästinenser, wie auch bei früheren Friedensverträgen, als übergangen betrachten.
"Deutschland hat eine "Germany-First"-Politik betrieben
Weber: Manchmal fühlt sich, glaube ich oder hat man den Eindruck, auch die EU so ein bisschen übergangen? Eigentlich gehört die EU und vor allen Dingen auch Deutschland zu den traditionell befreundeten Staaten mit den USA - auch wenn Obama schon höhere Verteidigungsausgaben angemahnt hat. Jetzt kommen massive Spannungen im Bereich der Wirtschaft dazu. Was hat sich aus Ihrer Perspektive verändert in den letzten Jahren?
Bierling: Traditionell waren die Amerikanisch-Europäisch-Deutschen das engste Verhältnis, das beide Nationen außerhalb ihres Staates oder Staatensystems gepflegt haben. Aber diese Beziehung ist im Grunde schon mit dem Ende des Kalten Krieges abgekühlt. Das haben wir gesehen unter Clinton, das haben wir gesehen unter Bush, das haben wir gesehen unter Obama. Trump treibt die ganze Entwicklung noch mal auf eine Spitze. Es zeigt, Amerika wendet sich ab von Europa. Es gibt neue Brandherde auf der Welt. Der Mittlere Osten hat vor allem Bush und Obama beschäftigt. Trump sieht sich jetzt im Grunde vor allem dem chinesischen Aufstieg ausgesetzt. Das verändert im Grunde die Struktur der Weltpolitik. Trump vollzieht hier etwas nach, was im Grunde schon lange angelegt ist. Aber er setzt natürlich – sonst wäre Trump nicht Trump – noch eins drauf, verbal, an Konfrontation, an Polarisierung, und da hat er natürlich in vielen Punkten eine völlig neue Sichtweise und auch brachiale Rhetorik in dieses Verhältnis gebracht. Aber er hat nicht in allen Punkten unrecht.
Die Europäer – vor allem die Deutschen – haben in den letzten 20 Jahren auch eine Politik betrieben, die im Grunde sich auf schlechtere Zeiten nicht vorbereitet hat. Die Deutschen haben in manchen Fragen, denken Sie an die Nordstream-2-Pipeline, im Grunde eine "Germany-First"-Politik betrieben, über unsere osteuropäischen Partner, über unsere Verbündeten hinweg.
Nord Stream 2 gegen unsere europäischen Partner durchgesetzt
Weber: Also die Ukraine oder beispielsweise Polen?
Bierling: Die Ukraine, die baltischen Staaten, Polen, die sind alle absolut gegen diese Pipeline, die haben wir aus ökonomischen Interessen durchgesetzt gegen unsere europäischen Partner. Hier gibt es durchaus Spannungsfelder, wo es viel zu leicht wäre, Trump allein dafür verantwortlich zu machen. Das wurde auch in Berlin und in Brüssel nicht gut gehandhabt.
"Faible für Diktatoren entspricht seiner Persönlichkeitsstruktur"
Weber: Bemerkenswert finde ich auch das Verhältnis, dass Trump zu Autokraten entwickelt wie Putin, Kim Jong Un und Erdogan. Bleiben wir mal bei Putin, mit dem er sich ja wohl entgegen aller diplomatischen Gepflogenheiten bei wichtigen Gesprächsterminen allein getroffen hat, nur mit einem russischen Dolmetscher. Wie ist das denn zu bewerten? Das ist doch wirklich singulär?
Bierling: Ja, sowas gab’s noch nie in der amerikanischen Diplomatie oder überhaupt in der Demokratie. Natürlich wird das normalerweise mitprotokolliert, weil natürlich diese Informationen für das ganze Kabinett oder für die Geheimdienste oder auch für die Parlamente sehr wichtig sind. Dass Trump das nicht tut und sozusagen eine Sonderbeziehung zu Putin am Wissen seiner eigenen wichtigsten Berater vorbei unterhält, gibt natürlich zu allerlei Spekulationen Anlass. Er hat auf jeden Fall ein Faible für autoritäre Diktatoren. Das entspricht zum Teil auch seiner eigenen Persönlichkeitsstruktur. Auch in Amerika wäre es ihm ja am liebsten, wenn er durchregieren könnte. Er hat ja mal gesagt, Artikel 2 der Verfassung gibt ihm im Grunde die Möglichkeit, alles zu tun, was er will. Insofern bewundert er solche Leute wie Putin und Erdogan. Amerika kann er nicht so schnell umstülpen wie diese beiden ihre Systeme. Aber da spricht eben auch im Grunde auch ein gewisser Neid, wie diese autoritären Herrscher ihre Innenpolitik beherrschen, mit.
"Trump hat sich Republikanische Partei fast völlig hörig gemacht"
Weber: Das geschieht ja nicht immer unbedingt zur Freude seiner Partei. Die Republikaner sehen das hier teilweise mit Entsetzen, was da an, ich will nicht sagen Geheimdiplomatie, so betrieben wird zwischen Trump und Putin.
Bierling: Was Trump gelungen ist, und das hatten wir als Politikwissenschaftler nicht wirklich auf der Rechnung - weil wir glauben ja immer, dass Amerika, diese Checks-and-balances, diese Gewichte und Gegengewichte als zentrales Verfassungsprinzip verankert hat. Aber Trump hat es zum Teil ausgehebelt, indem er die Republikanische Partei übernommen und sich fast völlig hörig gemacht hat. Wenige Ausnahmen gibt es; und eine sprechen Sie ganz richtig an. Das ist die Russlandpolitik. In der Russlandpolitik haben sich einige Figuren wie John McCain oder jetzt Mitt Romney; beide Präsidentschaftskandidaten schon mal 2008 und 2012, deutlich gegen Trump gestellt. Und hier folgt ihm die Partei nur sehr eingeschränkt.
"Kein wirkliches Verständnis von strategischem Wandel"
Weber: Die Weltordnung verändert sich ja gerade. Machtverhältnisse verschieben sich. Wie reagiert Trump auf den globalen Herausforderer China?
Bierling: Trump hat eigentlich kein wirkliches Verständnis von strategischem Wandel, von groß angelegten Megatrends, die sich in der Politik mittlerweile seit zehn bis 15 Jahren manifestieren; genau mit den zwei Spielern, die Sie genannt haben, aber vor allem mit dem Aufsteiger China. Er reduziert im Grunde diesen Konflikt auf das Handelsdefizit, das die Amerikaner im Warenaustausch mit Peking erwirtschaften. Und er macht das im Grunde zum alleinigen Prüfstein der Beziehungen zwischen den beiden Nationen. Und das ist natürlich zu kurz gesprungen, auch wenn das ein massives Problem ist, aber das singularisiert im Grunde ein Problemfeld und macht es umso schwieriger, eine konzertierte strategische Antwort der USA, aber auch im Verbund etwa mit den Europäern auf die Chinesen zu formulieren.
"Deutschland hat sein Militär kaputtgespart"
Weber: Wenn Sie jetzt einen Blick in die Zukunft riskieren würden, nähern wir uns dem Ende der Pax Americana, also dem Anspruch der USA, die Weltordnung entscheidend mitzuprägen? Und was würde das bedeuten für Deutschland und die EU?
Bierling: In der Tat, Amerika war die Garantiemacht, sagen wir es mal so, dieser neuen liberalen Ordnung, die wir nach 1945 etabliert haben und die die Amerikaner aufrechterhalten haben. Europa und insbesondere Deutschland haben davon am meisten profitiert; vom amerikanischen freien Welthandel, von den niedrigen Zöllen, vor allem aber auch von den amerikanischen sicherheitspolitischen Schutzgarantien. Wenn das zusammenbricht, haben die Europäer und insbesondere die Deutschen sehr viel mehr zu verlieren als die USA, die nach wie vor durch zwei große Ozeane geschützt sind und keine gefährlichen Nachbarn haben. Dort sind so Isolationsgelüste leichter vorzustellen und durchzusetzen als in Europa. Das heißt, wir sind im Grunde mit dem Rückzug der USA; mit ihrer Nicht-Verteidigung oder sehr eingeschränkten Verteidigung dieser liberalen Weltordnung auf uns alleine gestellt. Und wir finden heraus, dass wir nicht gut vorbereitet sind auf die Übernahme internationaler Verantwortung. Deutschland hat sein Militär kaputtgespart. Es hat die Rolle, die auch unsere europäischen Nachbarn uns immer wieder zuweisen - eine gewichtige Führung zu spielen innerhalb der Außenpolitik der EU - immer wieder sabotiert, nehmen wir gerade noch mal unser Pipeline-Geschäft mit den Russen. Und dadurch finden wir uns jetzt in dieser neuen Welt in einer sehr schwierigen Lage zurück und finden uns eigentlich zwischen den USA und China gefangen und können im Grunde kaum internationale Entwicklungen selbständig beeinflussen.
Amerika war immer auch ein "Imperium der Attraktivität"
Weber: Auf der anderen Seite könnte es sein, und die Prognosen weisen darauf hin, dass China irgendwann mal die USA ablösen wird als die Großmacht weltweit?
Bierling: Ökonomisch sind sie da relativ nahe dran. Politisch wird es ihnen sehr schwer fallen, aus unterschiedlichen Gründen. Zum einen haben die Amerikaner einfach, und das kann ihnen niemand nehmen, diese ganz außergewöhnliche geografische Lage: Sie sind durch diese zwei Ozeane geschützt, sie müssen sich nicht mit Nachbarn rumschlagen. Das wird für China immer ein Problem sein, das mit Indien, das mit Japan, das mit Russland, das mit vielen kleineren Staaten eben Nachbarn hat, die nicht so leicht unterzubuttern sind, dass man sich selbst als Hegemon in der eigenen Region zementiert.
Das Zweite ist: Amerika bleibt natürlich im Fernen Osten präsent. Sie haben ihre Truppen dort ausgebaut, sie werden sich dieser aggressiven Expansionspolitik der Chinesen gerade im Südchinesischen Meer widersetzen. Und drittens fehlt den Chinesen ganz einfach die Offenheit, die Attraktivität der Werte, die Amerika eigentlich immer auch ausgemacht hat. Es war ja nie nur die das amerikanische Imperium, das man aufgezwungen bekam, sondern es war ein Imperium der Attraktivität, der Einladung, der Werte, der Kultur. Das kann China aufgrund seines doch sehr begrenzten Ausstrahlungsvermögens nicht wirklich als Rivale nutzen.
Und im Letzten: Die Amerikaner hatten immer und haben noch immer große Bündnissysteme. Das unterscheidet sie vielleicht am dramatischsten von China, die bis auf Nordkorea und Pakistan eigentlich niemand haben, der sie vorbehaltlos international unterstützt. Die Amerikaner haben Verträge mit 60 Nationen auf der Welt über ihre Sicherheit. Und wenn Trump das klug gespielt hätte, oder sein Nachfolger es klug spielt, kann das bedeuten, dass die Pax Americana sehr viel beständiger und schlagkräftiger bleiben wird, als wir uns das im Moment vorstellen können.
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