Musik: "Deuce"
Paul Stanley: "Ich bin so dankbar - und diese Tour hat etwas von einer großen Feier. Im Sinne von: Sie hat nichts Negatives oder Morbides. Die Leute fragen zwar ständig, ob es ein bittersüßes Erlebnis sei, wie man das hier in Amerika formuliert. Aber es ist nur süß. Denn was wir als Band erreicht haben, ist riesig. Und jeder Abend auf der Bühne hat etwas Magisches. Die Band klingt umwerfend, die Auftritte dauern über zwei Stunden und eine solche Show hatten wir noch nie. Weil es die letzte Tour ist, war es uns wichtig, die Latte noch ein bisschen höher zu hängen."
25 Kilo Outfits
Paul Stanley heißt eigentlich Stanley Bert Eisen. Auch mit 67 Jahren trägt er hautenges, schwarzes Leder und verfügt über gesundes Selbstbewusstsein. Für ihn ist Kiss nach wie vor die wichtigste Rockband der Welt. Ein Quartett, das Maßstäbe in Sachen Theatralik und Selbstvermarktung setzt. Der Grund, warum die New York jetzt aufhören, ist laut Stanley ebenso simpel wie ergreifend: Der eigene Superlativ geht an die körperliche Substanz.
"Würden wir T-Shirts und Turnschuhe tragen, könnten wir weitermachen, bis wir 90 sind. Aber wir sind Kiss: Unsere Outfits wiegen 25 Kilo. Und deshalb habe ich Sportverletzungen wie ausgekugelte Schultern oder Knie- und Hüftprobleme. Der Unterschied zwischen mir und einem Athleten ist sehr gering. Zwischen mir und einem Typen, der einfach Gitarre spielt, aber sehr groß."
Musik: "God Gave Rock´n´Roll To You"
Den Abschied, der nicht der erste ist, lassen sich Kiss regelrecht vergolden: An den 106 Shows der "End Of The Road Farewell Tour" verdienen Stanley und seine Mitstreiter rund 200 Millionen Dollar. Merchandise-Einnahmen mit T-Shirts und sonstigen Souvenir-Artikeln nicht eingerechnet. Dafür präsentieren sie noch einmal die alten Klassiker: "Deuce", "Rock´n´Roll All Nite", "Beth" oder "Detroit Rock City". Stadion-Hymnen, die - findet Stanley - nie langweilig oder alt werden. Kiss feiern das Rebellische, Laute, ewig Jugendliche der Rockmusik. Zur Historie zählt auch der Gassenhauer "I Was Made For Lovin´ You". Der Song gilt als Parodie auf die Disco-Bewegung – doch das sieht Stanley ganz anders.
126 Beats pro Minute
"In den späten 70ern habe ich viel Zeit im Studio 54 verbracht. Ein toller Ort zum Tanzen, auch wenn er ziemlich verrückt war. Die Musik, die da lief, hatte immer 126 Beats pro Minute, damit der DJ leicht von einem Song zum nächsten blenden konnte. Ich hörte mir das an und dachte: "So etwas kriege ich auch hin." Und bei jedem Stück ging es ums Heute, um die laufende Nacht, aber nie um die Zukunft. Also stellte ich meinen Drumcomputer auf 126 Beats pro Minute und legte los: "Tonight, I want to give it all to you…" Ich wollte einen Disco-Song schreiben. Und ich verstehe, dass einige Leute ihn nicht mögen. Aber: Es ist der größte Song, den wir je hatten. Als wir ihn Anfang Mai in Mexiko gespielt haben, sagen rund 80.000 Leute mit. Das spricht für sich."
Musik: "I Was Made For Lovin´ You"
Seit Ende Mai nachzuhören in sechs deutschen Mehrzweckarenen und Stadien. Denn neben den USA und England ist die Bundesrepublik der wichtigste Markt für Kiss. Mit treuen Fans – und einer besonderen Bedeutung für Stanley: Er ist das Kind einer jüdischen Familie, die Ende der 30er Jahre aus Nazi-Deutschland nach New York geflüchtet ist. Das hat Spuren hinterlassen.
"Die ersten Male, die ich in Deutschland war, hatte ich sehr gemischte Gefühle und wusste nicht recht, was ich davon halten sollte. Aber die jungen Leute und die aus meiner Generation, sind unglaublich. Ich denke, sie haben eine Menge aus der Vergangenheit gelernt. Sie sind großzügig und warm und schämen sich für das, was beim Holocaust passiert ist. Mehr kann man sich kaum wünschen."
Musik : "Beth"
Stanley – das ist offensichtlich - freut sich auf die Zeit nach Kiss und will sein Dasein als Rock-Rentner in vollen Zügen genießen. Er plant weitere Ausflüge in die Malerei, will Bücher schreiben und mit seiner bisherigen Zweitband spielen: Soul Station – eine R&B-Formation, die ohne Schminke auskommt. Kiss dagegen, werden nur noch ein Musical-Projekt und eine Filmbiographie, einen sogenannten Bio-Pic in der Manier von "The Dirt" und "Rocketman" realisieren. Ein weiteres Album – einen Nachfolger zu "Monster" von 2012 - wird es jedoch nicht geben.
Kein Rückzug vom Rückzug
"Es macht keinen Sinn, ein weiteres Album aufzunehmen. Denn das Dilemma ist: Du wirst immer an der eigenen Vergangenheit gemessen - und Songs werden nicht über Nacht zu Klassikern. Sondern: Sie brauchen Zeit. ´Modern Day Delilah´ wird sich wohl erst in 20 Jahren mit "I Want You" messen können, aber nicht jetzt. Deswegen habe ich keine Lust, da Arbeit und Zeit zu investieren."
Musik: "I Want You"
Bleibt die Frage nach dem Abschluss der Abschiedstour, nach dem finalen Gig. Der ist bislang nicht terminiert, wird aber wohl – und darüber spekulieren die Fans seit Monaten - vor Weihnachten oder an Silvester 2019 in Los Angeles stattfinden. Genaue Details wollen Kiss in den nächsten Wochen bekanntgeben. Und dann, so Stanley, sei wirklich Schluss: Es wird keine Endlos-Tour wie bei den Scorpions oder Ozzy Osbourne - und es gibt keinen Rückzug vom Rückzug. Ende 2019 sind Kiss Geschichte – eine, die für immer nachhaltigen Einfluss auf die Rockmusik haben wird. Das ist die ungeschminkte Wahrheit.
"Das Besondere an dieser Tour ist: Es gibt kein nächstes Mal. Von daher müssen wir das jetzt feiern. Und wir versuchen, die Leute daran zu erinnern, wie außergewöhnlich Kiss ist."