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US-Einreisestopp wegen Coronavirus
"Maßnahmen von Herrn Trump primär politisch motiviert"

Maßnahmen, die zum Begrenzen der Corona-Infektion beitragen können seien sinnvoll, sollten aber nicht politisch überlagert werden, sagte Michael Bauer, Klinikdirektor der Uniklinik Jena, im Dlf. Das Risiko für Engländer und andere Europäer sei in der Form nicht zu pauschalisieren.

Michel Bauer im Gespräch mit Sarah Zerback |
US-Präsident Trump bei einer Pressekonferenz zu Maßnahmen zum Coronavirus.
US-Präsident Trump bei einer Pressekonferenz zu Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. (dpa/ picture alliance/ CNP/AdMedia)
Die neue Bewertung der WHO als Pandemie zeige die Dringlichkeit der Lage, sagte Bauer im Dlf. Die Maßnahme der USA, Großbritannien vom 30-tägigen Einreiseverbot in das Land auszuschließen, kritisierte Bauer. Diese Schritte von Präsident Donald Trump seien primär politisch motiviert und der Situation wenig angemessen. Bisher seien in den USA zudem vergleichsweise wenig Verdachtsfälle getestet worden. Bauer vermutet, dass in den USA somit aus politischen Gründen "nur die Spitze des Eisbergs" sichtbar sei. Zwar sei es sinnvoll, große Reisebewegungen einzudämmen, diese sollten "aber nicht politisch überlagert werden."
Um die Ausbreitung zu entschleunigen, sei es wichtig, Infizierte so früh wie möglich zu identifizieren. Je früher Quarantänemaßnahmen greifen, desto stärker lässt sich der Anstieg der Ausbreitung verzögern, so Bauer.
Die Krisen-Kommunikation in Deutschland bewertet Bauer positiv. "Kommunikation nach innen und außen ist ganz entscheidend für diese Situation". Die Informationspolitik der Bundespressekonferenz wirke besonnen. Der Ernst der Lage werde ohne Dramatisierung vermittelt.
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Das Interview in voller Länge
Sarah Zerback: Etwa drei Monate hat es gedauert, bis das Corona-Virus einmal um die Welt gereist ist. Jetzt ist es auch offiziell eine Pandemie und Bundesregierung, Länder und Kommunen beraten inzwischen täglich, wie sie die Ausbreitung in Deutschland verlangsamen können. Denn Zeit – das wissen wir – ist da ein ganz entscheidender Faktor. 1800 Infektionen sind aktuell bekannt. Das Virus macht weder vor Profifußballern, noch vor Berufspolitikern Halt. Drei Menschen sind in Deutschland bis jetzt daran gestorben; andere sind bereits wieder gesund.
Die Lage ist dynamisch und aktuelle Einschätzungen, die können wir uns jetzt an diesem Morgen holen von Michael Bauer. Er ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Uniklinikum Jena, ist dort auch zuständig für die Arbeitsgruppe Risikokommunikation. Außerdem – das sei noch dazu gesagt – ist er Sprecher des neuen Leibnitz-Zentrums für Infektionsforschung, das von der Bundesregierung gefördert wird. – Guten Morgen, Herr Bauer!
Einschätzung der WHO zeigt die Dringlichkeit
Michael Bauer: Guten Morgen, Frau Zerback.
Zerback: Die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, die hat jetzt auch offiziell den Pandemie-Status ausgerufen, sagt aber, das würde nichts daran ändern, wie die Länder mit dem Virus umgehen. Ist das so? Hat das wirklich keine Konsequenzen?
Bauer: Ich glaube, dass diese Einschätzung der WHO primär widerspiegelt, dass der WHO die Reaktion zu zögerlich erfolgt. Die Maßnahmen, die empfohlen wurden, sind nach wie vor die gleichen, aber die Einschätzung zeigt die Dringlichkeit. Wenn ich mit meinen Kollegen in Italien spreche – und das habe ich in der letzten Woche mehrfach getan -, dann sagen die, das Ganze beginnt langsam, aber wenn, dann geht es Schlag auf Schlag exponentiell wie ein Tsunami. Und das ist auch, glaube ich, die Einschätzung der WHO, den Ernst der Lage hier zu unterstreichen. Es ist vieles auch ein Versagen einfach der Kommunikation, so dass Leute eher Angst haben, sich lächerlich zu machen, oder das Ganze in lustigen WhatsApp-Chats mit selbstgebastelten Masken und ähnlichen Dingen verharmlost wird und wir über Fußballspiele sprechen, während hier eine bedrohliche Welle auf die Welt zurollt.
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Zerback: Es nicht mehr zu verharmlosen, sich darüber lustig zu machen, das hat jetzt wohl auch der US-Präsident erkannt. Die USA verhängen ein allgemeines Einreiseverbot für Menschen, die aus Europa einreisen wollen, ab morgen Nacht – außer für Reisende aus Großbritannien. Was halten Sie denn von dieser Maßnahme? Ist das mehr als Aktionismus?
Bauer: Ich glaube, da bin ich nicht alleine, wenn ich sage, dass die Maßnahmen von Herrn Trump primär politisch motiviert sind im Wahlkampf. Natürlich ist das Risiko für Engländer und andere Europäer in der Form nicht zu pauschalisieren. Ich denke, dass gerade die Situation in den USA mit sehr wenig getesteten Personen, aber, bezogen auf die getesteten Personen, relativ vielen Toten zeigt, dass dort nur die Spitze des Eisbergs wahrscheinlich auch aus politischen Gründen sichtbar ist. Ich denke, genau wie die WHO es auch formuliert hat, sind jetzt solche Maßnahmen, die zum Containment, zum Begrenzen der Infektion beitragen können, wie das Vermeiden von Großveranstaltungen, große Reisebewegungen, sinnvoll, aber sie sollten nicht politisch überlagert werden, wie die Entscheidung, Engländer und Deutsche zum Beispiel anders zu behandeln, es nahelegt.
"Maßnahmen von Herrn Trump sind primär politisch motiviert"
Zerback: Dann ist ja immer die Frage, zu welcher Zeit in welcher Drastik. Sie haben vorhin schon das Beispiel Italien angesprochen. Dort werden jetzt Geschäfte und Restaurants geschlossen, nur Supermärkte und Apotheken können offen bleiben. Sind das Maßnahmen, auf die wir uns auch einstellen müssen, und wann?
Bauer: Ich glaube, wir sind in der glücklichen Situation, dass in Deutschland relativ liberal getestet wurde. Es gibt ein Land, in dem noch substanziell mehr getestet wurde; das ist Südkorea. Je besser man Infizierte früh erkennt und je besonnener man dann mit Quarantänemaßnahmen hier eingreift, desto stärker lässt sich dieser Anstieg der Erkrankungen verzögern, und das ist das primäre Ziel, wie es ja auch in der Bundespressekonferenz immer wieder zur Sprache kam. Das ist sehr vernünftig und wir haben die Chance, durch unser gutes Gesundheitssystem mit vielen dezentralen Labors, die frühzeitig testen können, solche Strategien jetzt noch sinnvoll einzusetzen.
Zerback: Sie haben auch die Kommunikationsstrategien schon angesprochen. Jetzt haben wir gestern zum ersten Mal in einer Pressekonferenz zum Corona-Virus die Kanzlerin gehört, die ja vor allem auch die Solidarität noch mal in den Mittelpunkt gestellt hat und schon auch die Zivilgesellschaft, uns alle dazu aufgefordert hat, dass wir jetzt gefragt seien. Ist das quasi ein Testballon gewesen, um uns als deutsche Bevölkerung darauf einzustimmen, dass da noch mehr kommen muss und kann?
Bauer: Ja, ich denke schon. Das hat man auch in Italien gesehen, dass gerade die Populisten das Ganze runterspielen wollten und mehr über Fußball und ähnliche Dinge sinniert haben als über die bedrohliche Situation. Kommunikation nach innen und außen ist ganz entscheidend für diese Situation und ich glaube auch, dass die Bundespressekonferenz ein gutes Beispiel ist, wie hier sehr sachlich und fundiert eine gute Kommunikationsstrategie aufgebaut wurde. Es muss hier darum gehen, Vertrauen aufzubauen, in der Bevölkerung den Ernst der Lage ohne Dramatisierung zu vermitteln und auch ein Commitment und ein Miteinander in der Gesellschaft zu erzeugen. Das sind tatsächlich die kritischen Momente, weil das Gesundheitssystem auch in Deutschland, das wesentlich mehr Ressourcen vorhält als andere Länder in Europa, gerade zum Beispiel England, hier mit Sicherheit unter einen erheblichen Stress gesetzt werden wird.
Gute Kommunikationsstrategie in Deutschland
Zerback: Da geht es ja vor allem – und das meinte ja auch die Kanzlerin – um Risikopatienten, die jetzt einfach von der Solidargemeinschaft mitgedacht und mitgeschützt werden müssen, ältere Menschen, gefährdete Menschen. Wie gut können sich denn Risikopatient*innen in Deutschland darauf verlassen, dass das Gesundheitssystem sie schützt, und was muss getan werden, damit das auch tatsächlich gewährleistet werden kann, Herr Bauer?
Bauer: Containment, das Begrenzen beginnt zunächst, indem man positive Patienten isoliert, um den Rest der Gesellschaft zu schützen. Wenn das nicht mehr gelingt, wird die Situation besser kontrolliert, indem man Risikopatienten aus dem Gefährdungspotenzial herausnimmt, und das ist genau das, was hier dann auch jetzt irgendwann die Diskussion werden wird. Das heißt: Selbst wenn Großveranstaltungen nicht abgesagt wurden oder sind, muss ich als Risikopatient (und da gehört auch schon die ältere Bevölkerung dazu) auch nicht zu diesen Veranstaltungen hingehen. Hier sind auch gesunder Menschenverstand und Solidarität, wie es angeklungen ist, die entscheidenden Strategien.
Zerback: Ist das auch gefordert von Pflegepersonal? Die sind ja sowieso schon unter normalen Bedingungen sehr gefordert, auch bei uns in Deutschland.
Bauer: Ja.
Zerback: Jetzt hören wir immer wieder die Zahl, wir haben 28.000 Intensivbetten, von denen aber schon viele belegt sind, und wir haben eigentlich auch zu wenig Pfleger*innen, zu wenig Ärzte. Da ist jetzt vom Robert-Koch-Institut die Empfehlung gekommen, Kliniken und Ärzte sollten da dringend mal ihre Krisenpläne aktivieren. Was muss denn da drinstehen?
Bauer: Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie hier anschneiden. Wir dürfen nicht nur auf die aufgestellten Betten schielen. Auch jetzt sind ein guter Teil dieser Betten nicht in Betrieb, weil das Personal fehlt. Letztlich sind natürlich auch die Mitarbeiter im medizinischen Personal Eltern. Das heißt, wenn die Kitas schließen, wenn die Schulen schließen, dann wird es zu Engpässen kommen. Wenn sich das Personal im Krankenhaus, das eine besondere Risikogruppe darstellt, infiziert, werden auch die aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Das heißt, hier sind ganz neue Probleme, die gar nicht sich in der Zahl der aufgestellten Betten wiederspiegeln, zu händeln und da werden wir tatsächlich dann auch durch zum Beispiel Reduktion planbarer Eingriffe in dieser akuten Situation entsprechende Kapazitäten freilegen müssen, um nicht mit dem Rücken an der Wand zu stehen.
"Gezielt in diese Dynamik eingreifen"
Zerback: Die Gewerkschaften zum Beispiel kritisieren ja jetzt schon den Bundesgesundheitsminister, der die Personaluntergrenzen ausgesetzt hat. Die waren ja gerade erst überhaupt eingesetzt worden. Kann die Rechnung denn aufgehen, wenn am Ende dann alle überfordert und erschöpft sind?
Bauer: Das lehrt die Situation in Italien. Wenn es mit dieser Geschwindigkeit, was die Kollegen dort als Tsunami beschreiben, plötzlich anfängt, an Fahrt aufzunehmen, dann wird es nicht anders gehen, als dass man auch die Personalgrenzen überdenkt. Aber wir sollten genau durch diese Strategien der öffentlichen Gesundheitspflege, die jetzt noch greifen können, diese Entwicklung versuchen abzubremsen. Vor dem Hintergrund sind die Forderungen von Bundesminister Spahn absolut nachvollziehbar. Wir müssen jetzt gezielt in diese Dynamik eingreifen, um eine Überforderung des gesamten Systems und des Personals zu verhindern. Wenn die Situation eintritt, dann gilt kein Gebot.
Zerback: Fällt darunter auch, so weit zu gehen, die Isolationszeit für Ärzte und Pfleger zu reduzieren? Das ist ja eine Empfehlung, die auch schon ausgesprochen wurde von einem bekannten Virologen. Halten Sie das für einen gangbaren Weg?
Bauer: Das ist eine Frage des Ausmaßes der Situation. Strategien, in denen das medizinische Personal sehr großzügig getestet wird und wenn kein Anhalt für eine Infektiosität besteht, dann auch entsprechend eingesetzt werden kann, das sind durchaus rationale Schritte in einer schwierigen Situation. Wie gesagt, es muss unser Ziel sein, diese Situation nach Möglichkeit zu verhindern, weil selbst bei sehr guter Ausstattung im deutschen Gesundheitswesen wir dann an unsere Grenzen kommen. Eine individualmedizinische Behandlung, die wir gewohnt sind, ohne Einschränkungen für alle, auch Hochbetagte oder andere Risikogruppen mit schlechter Prognose, das wird nur sich gewährleisten lassen, wenn wir eine entsprechende Verzögerung der Dynamik hier erreichen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.