Wer verstehen will, warum der Anteil der bekennenden und aktiven Christen in den USA höher liegt als in Westeuropa, kommt an Billy Graham nicht vorbei. Sein Einfluss auf das religiöse und spirituelle Leben der Amerikaner ist kaum zu überschätzen. Auch wenn sich Graham seit über zehn Jahren weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, unterbrachen viele Sender ihre Programme, als die Nachricht von seinem Tod bekannt wurde. "Ein Gigant des religiösen Lebens und ein Gigant Amerikas ist von uns gegangen", sagte CNN-Moderator John Berman.
US-Präsident Donald Trump twitterte "der großartige Billy Graham ist tot. Keiner war wie er! Christen und alle Religionen werden ihn vermissen." Und sein Vizepräsident Mike Pence würdigte Billy Graham als einen der "bedeutendsten Amerikaner dieses Jahrhunderts". Die meisten US-Bürger nannten ihn einfach "Amerikas Pastor" oder - wegen seines leidenschaftlichen Predigtstils - "Maschinengewehr Gottes".
Schon als junger Baptistenpfarrer nach dem Zweiten Weltkrieg rief er Amerikaner, denen der Glaube abhandengekommen war, zur Umkehr auf. Grahams in der Bibel begründete Überzeugung: "Kein Mensch kann die Probleme des Lebens ohne Jesus Christus lösen". Graham ging in Amerikas Großstädte, predigte und füllte wochenlang Zelte und später ganze Stadien. Über Radio- und Fernsehsender erreichte er ein Millionenpublikum. Über drei Millionen Menschen ließen sich von ihm zu einem "wiedergeborenen Christen" bekehren.
Dass es heute in den USA neben Katholiken und den traditionellen protestantischen Kirchen die starke Bewegung der Evangelikalen gibt, wäre ohne Billy Graham undenkbar. Doch im Unterschied zu vielen anderen TV-Predigern ging es Graham nie um sich selbst. Er blieb bescheiden und ohne Skandale. Im Mittelpunkt seiner Predigten stand vor allem die Botschaft: "Gott kümmert sich um uns!":
Graham war geistlicher Berater fast aller US-Präsidenten von Harry Truman bis George W. Bush. Auch Queen Elizabeth suchte seinen geistlichen Rat. Im Laufe seines langen Lebens reiste Graham in 185 Länder, um die christliche Botschaft zu verbreiten. In den sechziger Jahren war er eng mit Martin Luther King befreundet und engagierte sich gegen die Rassentrennung und für die Ökumene. Sein Weggefährte Cliff Barrows erinnert sich:
"Billy selbst beseitigte das Absperrungsseil zwischen Weißen und Schwarzen in der Kirche. Er sagte: Bei uns gibt es keine Trennung mehr. Er stand dafür ein, dass alle Menschen vor Gott gleich sind. Und die Bibel für jeden da ist."
Nach langer Krankheit starb Billy Graham nun im biblischen Alter von 99 Jahren.