Archiv

US-Gitarrist Seasick Steve
Rauschebart in Florida

Schneeweißer Zottelbart, selbst gebaute E-Gitarren und knarziger Blues: Seasick Steve alias Steven Wold kultiviert sich und seine Markenzeichen auch auf seinem mittlerweile neunten Album. „Can U Cook?“ heißt es, mit Kochen hat der Titel aber gar nichts zu tun, verrät der 67-Jährige.

Von Marcel Anders |
    Ein Mann mit langem weißen Bart sitz auf einer Bühne und spielt Gitarre.
    Seasick Steve im Hyde Park 2018 (imago stock&poeple)
    Musik: "Company"
    Seasick Steve: "Es geht um Frauen und Sex! Denn was ich erst spät im Leben gelernt habe, ist: Frauen ist es nicht so wichtig, wie du aussiehst, sondern vielmehr, was DU über sie denkst. Dabei habe ich immer geglaubt: Wenn ich ein cooles Auto fahre, mögen mich die Ladies. Nein, es geht darum, sie zu schätzen. Das ist mir klar geworden, als ich das Album geschrieben habe. Genau wie die Tatsache, dass es jetzt ein bisschen spät ist, um das umzusetzen. Aber hätte ich das vor 40 Jahre gewusst, hätten die Mädels in Deckung gehen können. Maaaaaaaaan!"
    Alte Scheune dient als Plattenstudio
    Seasick Steve ist ein echtes Unikum. Ein baumlanger Kerl mit Rauschebart unter der Baseballkappe, Holzfällerhemd über der verwaschenen Jeans und Humor im Herzen. Ein Typ zum Pferdestehlen, der seine Platten in einer alten Scheune in seiner Wahlheimat Norwegen aufnimmt. Oder – wie bei seinem neuen Album "Can U Cook?" – während eines Florida-Urlaubs in Key West. Dort wollte er eigentlich nur ein paar nette Tage mit alten Freunden verbringen, hat aber gleich ein ganzes Album aufgenommen - im Studio von Jimmy Buffett. Ein ehemaliges Kühlhaus im Hafen von Key West. Jetzt hat Seasick Steve 13 neue Songs und einen neuen maritimen Lieblingsort, der auch zu seinem Alterswohnsitz werden könnte.
    "Ich hätte nicht gedacht, dass ich es da mag. Allein wegen der Kreuzfahrtschiffe und den Touristen. Aber es hat mir wahnsinnig gut gefallen. Ich habe mir ein ruhiges Haus in Strandnähe gemietet und eine nette, alte Bar gefunden. Sie heißt "Der grüne Papagei", und als ich da reinkam, saßen da 15 Typen, die genauso aussahen, wie ich. Ich wusste sofort. Hier bin ich zu Hause! Denn in Europa falle ich mit dem Bart immer auf - in Key West kein bisschen."
    Musik: "Sun On My Face"
    Das Klima, die Freunde, der Rum – diese Faktoren entspannen und beflügeln den 67-jährigen ganz offensichtlich. Er hat eine neuen Gitarre gebaut, was bei dem Exil-Amerikaner Stimmungssache ist und – wie er sagt - nur alle Jubeljahre vorkommt. Aber wenn er in Stimmung ist, entwickelt er so abenteuerliche Modelle wie "The Three-String Trance Wonder" oder seine berühmten Radkappen-Instrumente. Seine neueste Kreation hat zwar noch keinen Namen, kommt aber auf sämtlichen Stücken von "Can U Cook?" zum Einsatz.
    "Mein Kumpel Sherman hat mir ein altes, rostiges Nummernschild gegeben. Daraus habe ich dann eine Gitarre gebaut. Ich habe das Schild auf eine dicke Holzplatte geschraubt, einen Hals hinzugefügt und den Korpus mit ein paar Vierteldollar-Münzen verziert. Dann habe ich einen Pick-up angebracht und vier Saiten aufgespannt. Es ist eine sehr kleine Gitarre, nicht größer als ein Nummernschild. Sie sieht richtig gut aus."
    Ein Mann sitz auf einer Bühne und spielt Gitarre
    Seasick Steve nimmt seine Platten in einer Scheune auf (imago stock&poeple/AlbertoxPezzalix)
    Musik: "Hate Da Winter"
    Diese Gitarre, so Seasick Steve, sei wie eine neue Geliebte, mit der man erst mal auf Tuchfühlung gehen müsse. Den Sound der neuen Gitarre erkundet Steve mit unterschiedlichen Spielart. Deshalb besticht "Can U Hook?" durch eine imposante Vielfalt. Die reicht von akustischem bis elektrifiziertem Blues, von leisen, verträumten Tönen bis zu hin infernalem Krach. Und er setzt die Nummernschild-Gitarre zum Jammen ein. Mal mit Luther Dickinson von den Mississippi Allstars, mal mit einem gewissen Ed Sheeran.
    Ed Sheeran lieferte den Beat
    "Ich habe Ed vor sieben oder acht Jahren getroffen, als ich Headliner auf einem Festival war – und er schon mittags um 12 Uhr auf die Bühne musste. Ich hörte jemanden spielen, als ich in meinem Bus lag. Und das gefiel mir so gut, dass ich mir den Burschen angeschaut habe. Ich hatte keine Ahnung, wer er war, aber ich meinte zu ihm: "Ich liebe, was du tust." Wir sind in Kontakt geblieben. Irgendwann habe ich ihm die Aufnahme zum Song "Lay" geschickt, und er hat einen coolen Beat dazu entwickelt."
    Musik: "Lay"
    Doch bei dem 67-Jährigen ist nicht alles eitler Sonnenschein. Er kann den Winter in Norwegen nicht mehr ertragen, mit der modernen Musik nichts anfangen und fühlt sich von sozialen Medien und der Telekommunikationstechnik überfordert. Ob er deswegen ein alter Mann ist, weiß er nicht. Aber ein altmodischer, lacht er, ist er auf jeden Fall. Das schlägt sich auch auf einem ansonsten bemerkenswert vitalen und kämpferischen Album nieder.
    "Als wir letztes Jahr Festivals gespielt haben, sagte mein Agent: "Die wollen nur noch DJs und Rapper." Sprich: Das Interesse an Live-Künstlern lässt nach. Worauf ich nur meinte: "Dann gehe ich eben nach Hause. Ist mir doch egal. "Einen Tag später, wurde ich auf einem Parkplatz in Norwegen von einem Elektroauto angefahren. Nicht schlimm, aber schlimm genug. Da habe ich "Last Rodeo" geschrieben. Nach dem Motto: Wenn es das ist, was die Welt will, wenn alles sauber und perfekt sein soll, und Rockbands nicht mehr gefragt sind, möchte ich damit nichts mehr zu tun haben."
    Musik: "Last Rodeo"
    Die nachdenkliche Seite von Seasick Steve steht in direktem Gegensatz zu seinem ansonsten überschwänglichen, positiven Naturell. Lieber denkt Steve laut über einen Diner in Norwegen oder ein Häuschen in Florida nach, würde gerne ein akustisches Blues-Album mit einem Mono-Kassettenrekorder aus den 50ern aufnehmen, und freut sich auf die laufende Deutschland-Tour, die am Freitag in Hamburg gestartet ist – und auf der er von Buddy Luther Dickinson begleitet wird. Für Seasick Steve ein Traum! Für seine Fans sowieso…
    "Luther war fünf Jahre Gitarrist bei den Black Crowes. Bei den Mississippi Allstars spielt er mit seinem Bruder Cody, dem Drummer. Und wir wollten schon immer etwas zusammen machen. Im letzten Sommer war er dann bei allen Festivals dabei. Und im Oktober tourt er mit uns durch Deutschland. Ihr solltet unbedingt vorbei kommen, um euch ihn anzuschauen. Für mich ist er der beste Slide-Gitarrist der Welt. Es gibt keinen, der ihm nahekommt. Was er da macht, ist einfach verrückt. Und ja, wir sind jetzt zu dritt, fast wie eine Band."
    Musik: "Can U Cook?"