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US-Hipster-Krankenkasse
Starthilfe durch Obamacare

Keine Filialen, keine Ansprechpartner vor Ort, dafür umfangreiche Hilfe per Smartphone-App: Die US-amerikanische Krankenkasse Oscar richtet sich vor allem an junge Versicherte. Das New Yorker Start-up ist dank Obamacare gut im Geschäft und macht sich trotz Trump-Regierung wenig Sorgen um die Zukunft.

Von Katja Ridderbusch |
    Ein eingegipster Unterarm, auf dem "I love Obamacare" steht
    Mit einer Hipster-Krankenkasse zum Erfolg: Die Initiatoren von Oscar haben Obamacare als Startrampe genutzt. (picture alliance/ dpa/ Yoon S. Byun)
    "Jeder, der hier reinläuft und die Welt von Krankenhäusern und Versicherungen kennt, der sagt, dass hier eine ganz andere Energie herrscht".
    Mario Schlosser ist CEO von Oscar, einer Krankenkasse, die sich anfühlt wie ein Technologie-Start-up. Schlosser führt seine Besucher durch den Firmensitz im New Yorker Szeneviertel Soho, ein Loft mit Holzfußboden, weißen Wänden, roten Heizungsrohren und Pingpong-Tischen. Er zeigt auf einen Oscar-Schriftzug aus Neonröhren an der Wand.
    "Hier ist noch eine lustige Sache. Also, diese Lampe hier, die geht an, wenn ein neues Baby geboren wird bei Oscar."
    Schlosser ist 39, sieht aber aus wie 25, mit T-Shirt und dunkelblondem Wuschelhaar. Er ist Informatiker, kommt ursprünglich aus Hessen, studierte an den Edeluniversitäten Stanford und Harvard und gründete "Oscar" 2012. Seither mischt das fröhliche Start-up den Versicherungsmarkt in den USA kräftig auf. Das Ziel: Oscar soll eine Krankenkasse mit Erlebniswert sein, eine Krankenkasse, die so einfach funktioniert wie ein Musikstreaming-Dienst. Virtuellen Concierge-Teams koordinieren Arzttermine.
    "Wir waren der erste Versicherer, bei dem du über eine mobile App einen Knopf drücken kannst. Der Arzt ruft dich zurück und kann kleinere Probleme sofort lösen. Er kennt auch deine Krankengeschichte schon, kann unsere Daten einsehen", sagt Schlosser.
    Im Zentrum der Oscar-Welt steht eine Smartphone App; es gibt keine Vertreter und keine Filialen. Sogenannte Concierge-Teams aus je vier Oscar-Mitarbeitern - darunter immer eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger - navigieren die Versicherten per Online-Chat oder Video-Call durch das Gesundheitssystem, koordinieren Termine mit Fachärzten und Kliniken.
    David Howard, Gesundheitsökonom an der Emory-Universität in Atlanta, ist skeptisch. Oscar habe sich als verbraucherfreundliche Krankenversicherung positioniert, sagt Howard. Doch zähle für den Kunden am Ende, was eine Versicherung kostet, welche Leistungen sie erstattet und vor allem: mit wie vielen und welchen Ärzten sie Verträge abgeschlossen hat.
    Keine freie Arztwahl in den USA
    In den USA gibt es, anders als in Deutschland, keine freie Arztwahl. Versicherer handeln Verträge mit bestimmten Ärzten und Krankenhäusern aus.
    Das Netzwerk von Gesundheitsversorgern, mit denen Oscar zusammenarbeitet, ist bislang überschaubar, aber teilweise hochkarätig, wie die renommierte Cleveland Clinic in Ohio. Die Prämien bei Oscar liegen mit gut 400 Dollar pro Monat im amerikanischen Durchschnitt.
    Cooles Marketing, innovative Technologie, mobile Kommunikation: eine Krankenversicherung für Hipster?
    "Wir versuchen nicht, Healthcare hipper zu machen. Wir versuchen, Healthcare besser zu machen", sagt Schlosser. Allerdings: Das hippe Image helfe dabei, gute Leute an Bord zu holen. Viele der rund 500 Mitarbeiter waren vorher bei Google, Facebook und Yahoo oder hatten Spitzenpositionen in der Politik - und wären ohne Oscar wohl nie auf die Idee gekommen, bei einer Krankenversicherung anzuheuern.
    Obamacare war die Startrampe für Oscar
    Oscar ist auf einem relativ kleinen Markt aktiv. Die meisten Amerikaner beziehen ihre Krankenversicherung über den Arbeitgeber. Nur etwa 15 Prozent - vor allem Selbstständige - kaufen Policen auf dem freien Markt.
    Genau das ist der Markt, den Obamacare, das Gesundheitsgesetz des ehemaligen Präsidenten, reformiert hat, mit Online-Börsen für staatlich subventionierte Versicherungen. Obamacare war die perfekte Startrampe für Oscar.
    Anders als viele Versicherer in den USA hat sich Oscar in den vergangenen Wochen aber nicht von der anschwellenden Angst vor einem Ende von Obamacare anstecken lassen und für 2018 eine Expansion angekündigt, obwohl Präsident Trump das Gesetz unbedingt kippen will.
    "Ich denke nicht, dass in Washington etwas passiert, was 20 bis 30 Millionen Amerikanern die Gesundheitsversicherung wegnehmen würde", sagt Schlosser.
    "Das würde apokalyptische Szenarien heraufberufen. Und das wissen auch alle Politiker, egal in welcher Partei sie sind in Washington DC."
    Direkter Draht ins Weiße Haus
    Derzeit sieht es ganz so aus, als gehe Schlossers Kalkül auf. Nach vier gescheiterten Abstimmungen im Senat bleibt Obamacare, vorerst zumindest, in Kraft. Schlosser ist sich seiner Sache sicher. Vielleicht auch, weil sein Start-up einen direkten Draht ins Weiße Haus hat. Mitgründer und Hauptinvestor von Oscar ist Josh Kushner, der Bruder von Jared Kushner, Schwiegersohn und Berater von Donald Trump.
    Gesundheitsökonom Howard geht davon aus, dass die Kushner-Brüder hinter den Kulissen intensiv über Obamacare und den Erhalt der staatlichen Zuschüsse auf dem freien Markt für Krankenversicherungen diskutieren. Doch Schlosser winkt ab. Wenn er und sein Kumpel Josh sich träfen, dann sei Politik kein Thema. Ihre Vision eines modernen Gesundheitsversorgers funktioniere auch ohne Geheimdiplomatie - und unabhängig von Obamacare.
    "Natürlich bin ich Optimist", sagt er.
    "Das muss man auch sein, wenn man eine Versicherung startet."
    Oscar ist übrigens nach dem Urgroßvater der Kushner-Brüder benannt.