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US-Intervention im Nordirak
"Wirkung von Luftschlägen wird überschaubar bleiben"

Ein mögliches militärisches Eingreifen der USA im Nordirak müsse von politischen Maßnahmen flankiert werden, sagte der Nahost-Experte Markus Kaim. Doch durch die Haltung des irakischen Ministerpräsident Al-Maliki sei der Irak politisch blockiert, dies mache die Situation "tragisch".

Markus Kaim im Gespräch mit Peter Kapern | 08.08.2014
    Da der Vormarsch der Islamisten im Nordirak inzwischen auch Großstädte erreicht habe, hält Markus Kaim die Möglichkeiten von Luftangriffen für sehr begrenzt. Zugleich rechnet der Nahost-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik nicht damit, dass Ansätze zur einer Lösung allein von US-amerikanischer Seite kommen werden.
    Das Problem des Irak sei längst nicht mehr nur das eines zerfallenden Staates oder regionaler Destabilisierung, sondern habe eine humanitäre Dimension, mit der die gesamte Weltgemeinschaft konfrontiert sei. Dies habe der UNO-Sicherheitsrat in "bemerkenswerter Weise" anerkannt, indem er am Donnerstag Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Nordirak benannt habe. Daher werde der Ruf nach einem Eingreifen auch andere Staaten erreichen. Zugleich lasse bislang keine andere mögliche Ordnungsmacht "Appetit" erkennen, sich zu engagieren.
    Der Regierung Obama werde es schwer fallen, es bei womöglich wirkungslosen Luftschlägen zu belassen. Zu groß sei der innenpolitische Druck in den USA, nach all den Opfern und Milliarden-Kosten des Irak-Feldzugs, das Land nun sich selbst zu überlassen.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Einen möglichen Völkermord wollen die USA also im Irak verhindern, so Präsident Obama in der vergangenen Nacht. Und in der Tat: Hunderttausende sind im Norden des Irak auf der Flucht, zu einem großen Teil sind sie abgeschnitten von jeder Hilfslieferung. Die US-Streitkräfte werfen deshalb Lebensmittel, Wasser und Medikamente ab, aber sie sind von ihrem Oberbefehlshaber auch zu gezielten Luftschlägen autorisiert. In Berlin ist uns Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik zugeschaltet. Guten Tag!
    Markus Kaim: Ich grüße Sie, Herr Kapern!
    Kapern: Herr Kaim, ist mit dem Eingreifen der USA der Spuk der IS-Milizen jetzt bald beendet?
    Kaim: Da bin ich noch sehr zurückhaltend, weil wenn wir die Rede des amerikanischen Präsidenten aus der vergangenen Nacht genau lesen, dann stellen wir fest, dass der Ansatz doch sehr zurückhaltend ist. Der Beitrag hat es angesprochen, zwei Elemente, zum einen humanitäre Hilfe, Hilfslieferungen für die Tausende von Flüchtlingen, und einige gezielte Militärschläge. Ob das wirklich das Blatt im Irak wenden kann, sei mal dahingestellt angesichts der Schwäche der irakischen Armee und der Tatsache, dass wir es ja hier mit einer Gruppe zu tun haben bei der IS, die mittlerweile in urbanen Ballungszentren Einzug gehalten hat, Stichwort Mosul im Juno, dementsprechend ist es auch gar nicht so einfach, mit Luftschlägen diese wirklich zu treffen.
    "Es ist ein Problem humanitären Ausmaßes"
    Kapern: Was also können die USA mit dem, was der Präsident jetzt avisiert hat, denn wirklich bewegen?
    Kaim: Ich glaube, der Ansatz wird nicht nur ein amerikanischer bleiben, sondern der Sicherheitsrat hat ja in der vergangenen Nacht bemerkenswerterweise zum ersten Mal von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen. Das heißt, das Problem des Irak ist nicht nur ein Problem zerfallender Staatlichkeit im Irak, es ist mittlerweile nicht mehr nur ein Problem von regionaler Destabilisierung, sondern es ist ein Problem humanitären Ausmaßes, vor dem die gesamte internationale Gemeinschaft steht. Von daher gehe ich davon aus, dass auch in den nächsten Wochen weitere Staaten mit Erwartungen konfrontiert sein werden, einen Beitrag zu leisten. Konkret bei den USA - da kann man nicht genug betonen, dass der Schritt zwar richtig ist, gegen die IS vorzugehen, aber wie jede militärische Aktion auch diese zu kurz springt, wenn sie nicht gepaart ist mit einer politischen Ordnungsvorstellung, die durchgesetzt werden soll. Und diese liegt ja auf dem Tisch: Entweder ein Rücktritt von Ministerpräsident Maliki oder mindestens eine Regierung der nationalen Einheit, etwas, was seit Juno eigentlich bereits diskutiert wird, was der amerikanische Außenminister auch in Bagdad vorgetragen hat. Aber angesichts der Tatsache, dass er aus einer Position der Stärke heraus agiert, Ministerpräsident Maliki, gibt es bisher kein Einlenken von seiner Seite. Und das macht das Ganze so tragisch.
    Eine karge Landschaft nahe Mossul. Zwei kurdische Soldaten laufen über ein Feld.
    Zwei kurdische Soldaten nahe Mossul. (Christophe Petit Tesson, dpa)
    Kapern: Lassen Sie mich noch mal zurückkommen, Herr Kaim, auf etwas, was Sie eben gesagt haben, dass nämlich sich Erwartungen jetzt noch an andere Staaten richten werden. Welche Beiträge müssen Ihrer Meinung nach andere Staaten leisten, und welche Staaten?
    Kaim: Also grundsätzlich sind natürlich Konturen dessen vorstellbar, was auch im Beitrag angeklungen ist. Entweder im humanitären Sinne die Einrichtung von Schutz- und Pufferzonen. Nur, man darf sich keiner Illusion hingeben, auch diese erfordern groß angelegte militärische Operationen. Ähnlich ist es ja auch bereits im Falle des syrischen Bürgerkrieges diskutiert worden. Und wenn wir uns eine Schutzzone für Hunderttausende von Flüchtlingen in einem bergigen Gebiet vorstellen, dann erfordert das einen erheblichen Militäreinsatz vor allen Dingen mit Bodentruppen, und das ist ja etwas, was der amerikanische Präsident in der vergangenen Nacht gerade ausgeschlossen hat. Und ich sehe im Moment auch keine europäische Macht, die bereit wäre und daran interessiert wäre, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Und so fatal oder so zynisch das klingen mag, im Moment sehe ich keinen größeren Appetit von westlichen Industrienationen, sich dort zu engagieren.
    "Von einem Mechanismus würde ich nicht sprechen"
    Kapern: Kann es bei Obamas Mantra, "No boots on the ground", keine US-Bodentruppen, tatsächlich bleiben, oder ist da ein Mechanismus in Gang gesetzt worden in der vergangenen Nacht, der wie ein Sog wirkt auf die Vereinigten Staaten?
    Kaim: Von einem Mechanismus würde ich nicht sprechen. Ich würde es nicht so stark formulieren, wie Sie es gerade getan haben, aber ich glaube, Ihr Punkt ist richtig. Die Wirkung von vereinzelten punktuellen Luftschlägen wird aller Voraussicht nach überschaubar bleiben. Und es wird Stimmen in den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt stärken, die nach mehr rufen werden, aus nachvollziehbaren Gründen, weil sie sagen werden, das ist nicht effektiv genug. Insbesondere auch deshalb, weil es auch einen starken Debattenstrang in den USA gibt, der sagt, wenn wir jetzt nichts tun oder zu wenig tun, dann sind all die Opfer, die wir in den Jahren 2003 bis 2011, also bis zum Abzug der USA aus dem Irak, sind all die Opfer, die wir gebracht haben, die Tausenden von Kriegstoten, die Tausende von Kriegsversehrten, die Milliarden, die die USA in den Irak gezahlt haben, dann war all das vergeblich. Und das ist auch noch ein Unterargument, weshalb es der Regierung Obama schwerfallen wird, nach einzelnen Luftangriffen, die gegebenenfalls ergebnislos bleiben, einfach innezuhalten.
    Kapern: Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik zur Entwicklung der Dinge im Irak. Herr Kaim, danke, dass Sie Zeit für uns hatten.
    Kaim: Herzlich gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.