Für Justin Trudeau, den 45-jährigen kanadischen Ministerpräsidenten, wird dieser Antrittsbesuch beim 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten, bei Donald Trump also, keine leichte Übung werden: Zu weit liegen die Ansichten und Haltungen der beiden Nachbarn auseinander.
Donald Trump hat seine Drohungen unmittelbar nach Amtsantritt wahr gemacht und das nordamerikanische Freihandelsabkommen zwischen USA, Mexiko und Kanada zur Disposition gestellt. Trump möchte entweder zugunsten der US-amerikanischen Wirtschaft nachverhandeln oder aber das Abkommen ganz kündigen.
Für 35 von 50 US-Bundesstaaten ist Kanada wichtigster Exportmarkt
Die kanadische Wirtschaft würde das empfindlich treffen – denn mehr als 75 Prozent der kanadischen Produkte gehen in die Vereinigten Staaten. Kanada muss also befürchten, dass sich sein wichtigster Absatzmarkt zu völlig neuen und nachteiligen Konditionen entschließt – mehr noch: Geht im selben Atemzug auch noch der Freihandel mit Mexiko in die Brüche, drohen auch dort für Kanada neue, schwierige Verhandlungen.
Allerdings kann Trudeau auch darauf verweisen, dass die Wirtschaftsbeziehungen mit den Vereinigten Staaten keine Einbahnstraße sind: 35 der 50 US-Bundesstaaten nennen Kanada ihren wichtigsten Exportmarkt. Trudeau hat im Vorfeld seines Besuches schon darauf verwiesen, dass neun Millionen Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten vom Export nach Kanada abhängen.
Selbstbewusst gegen Bedrohungsszenarien
Ebenso selbstbewusst äußerte sich seine Außenministerin Chrystia Freeland, die ein weiteres Bedrohungsszenario bereits vorwegnahm – sollte sich Donald Trump dazu entschließen, auch gegenüber Kanada Schutzzölle einzuführen und damit sein protektionistisch-nationalistisches Wirtschaftskonzept auch gegen den Nachbarn im Norden zu richten, dann werde Kanada Gegenmaßnahmen ergreifen – ergreifen müssen, sagte Freeland.
Ein Hebel könnte dabei auch die umstrittene Keystone XL-Pipeline sein, die Rohöl aus den Ölsand-Anbaugebieten im kanadischen Alberta zu den US-amerikanischen Raffinerien pumpen soll. Donald Trump hat sich erst dieser Tage über die Umwelt-Bedenken seines Vorgängers Barack Obama hinweggesetzt und damit deutlich gemacht, dass sich diese Pipeline in sein energiepolitisches Konzept der Wiederbelebung fossiler Brennstoffe fügt.
Trudeaus wird durch Flüchtlingsstatement zum Anti-Trump
Es geht jedoch bei dem Besuch Justin Trudeaus nicht nur um wirtschaftspolitische Grundsatzfragen – es geht auch um einen tiefen wertepolitischen Dissens zum Beispiel in der Frage der Flüchtlingspolitik: Justin Trudeau hat sich mit seiner Öffnungspolitik gegenüber syrischen Flüchtlingen zum kanadischen Anti-Trump erklärt und ist sich darin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel absolut einig: Trudeau wird sich am kommenden Freitag mit Merkel in Berlin treffen – die wiederum ihren eigenen Antrittsbesuch in Washington plant, ohne dass bereits ein Termin feststünde. Jeder Erfahrungsbericht eines Erstbesuchers im Oval Office Donald Trumps dürfte ihr jedoch hochwillkommen sein.