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US-Kirchen zur Impfung gegen COVID-19
Der heilende Pastor von Baltimore

Auch wenn in den USA schneller geimpft wird als in Deutschland - vor allem unter Afroamerikanern ist die Corona-Impfskepsis verbreitet. Reverend Terris King aus Baltimore kennt die Gründe. Er und andere schwarze Kirchenführer setzen auf Gesundheitsvorsorge und kämpfen gegen Misstrauen.

Von Katja Ridderbusch |
29. Dezember 2020: Ein schwarzer Feuerwehrmann impft einen schwarzen Polizisten in Memphis, Tennessee
Die Impfbereitschaft von Afroamerikanern hält sich in Grenzen (imago images / Karen Focht)
Impfen oder nicht impfen? Diese Frage richtet Timothy Sloan, Pastor einer schwarzen Baptistengemeinde in Houston, Texas, an Amerikas Top-Virologen Anthony Fauci. Und zwar in einem Video-Telefonat, das per Livestream übertragen wird. Und er fügt hinzu: "Warum sollten wir dieser Impfung trauen?"
In den USA wird seit Mitte Dezember gegen Corona geimpft. Erfolgreich. Doch neben logistischen Hürden bei Verteilung und Verabreichung des Impfstoffs treibt Gesundheitsexperten besonders eine Sorge um: die Impfskepsis, ausgerechnet unter Afroamerikanern. Eine Bevölkerungsgruppe, die überproportional schwer von COVID-19 betroffen ist. Die Krankheitsverläufe sind meist schwerer, die Sterblichkeit ist höher. Dennoch lehnen 35 Prozent der schwarzen Amerikaner eine Impfung ab, heißt es in einer Umfrage der Kaiser Family Foundation vom Dezember.
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Reverend Terris King ist nicht überrascht. Selbstverständlich seien Afroamerikaner skeptisch gegenüber einem System, das sie seit Jahrhunderten schlecht behandele, sagt er. Es wäre nicht normal, wenn sie diesem System trauen würden. Terris King ist Pastor der Liberty Grace Church of God, einer schwarzen Kirchengemeinde in Baltimore. Er hat einen Doktor in Arbeitstherapie, war mehr als 30 Jahre lang in leitender Funktion für das amerikanische Gesundheitsministerium tätig, Schwerpunkt: Gesundheit von ethnischen Minderheiten.

Historisches Trauma

Das Misstrauen vieler Afroamerikaner in medizinische Versorgung hat historische Wurzeln. Bis heute klingt das Echo der menschenverachtenden Tuskegee-Studie nach. Zwischen 1932 und 1972 hatten Forscher des öffentlichen Gesundheitsdienstes der USA 400 schwarze Farmpächter im Bundesstaat Alabama, die an Syphilis erkrankt waren, mit Placebos behandelt, um den Verlauf einer unbehandelten Infektion zu studieren. Das historische Trauma sei jedoch nur ein Aspekt, sagt King.
"Es sind vor allem aktuelle, konkrete Erfahrungen. Die Ungleichheit bei der Behandlung von Afroamerikanern in amerikanischen Krankenhäusern ist gut dokumentiert. Hier geht es nicht um Einzelfälle, sondern um ein System der Ungleichheit. Für meine Arbeit bin ich viel durchs Land gereist und habe zum Beispiel mit eigenen Augen gesehen, wie Ärzte bei schwarzen Diabetes-Patienten schneller amputieren als bei anderen. Das ist bis heute so."
Ein Foto aus den 1950er-Jahren zeigt einen weißen Arzt, der einem schwarzen Farmer in Tuskegee Blut abnimmt. Im Rahmen einer Syphilis-Epidemie wurden die schwarzen Farmer entgegen aller ethischen Konventionen nur mit Placebos behandelt, um die Langzeitfolgen der Krankheit zu studieren.
Die Tuskegee-Studie ist ein Grund für das Misstrauen vieler Afroamerikaner, hier ein Foto aus den 1950er-Jahren (Picture Alliance / National Archives)
Nancy Baines ist Afroamerikanerin, 69 Jahre alt. Sie lebt in Atlanta. Nach den Regeln des Bundesstaates Georgia könnte sie sich für einen Impftermin anmelden. Aber Baines will sich nicht impfen lassen. Nicht heute, nicht in der Zukunft. Aus Gründen, die nichts mit der Geschichte zu tun hätten, sagt sie. Sie findet, dass die Entwicklung des Impfstoffs zu schnell gegangen, dass zu wenig über die Nebenwirkungen bekannt sei. Außerdem lehne sie Medikamente generell ab. Als sie sich auf Anraten ihres Arztes vor einigen Jahren gegen Gürtelrose impfen ließ, hatte sie eine allergische Reaktion, erzählt sie. Wenn es um ihre Gesundheit gehe, vertraue sie auf Gott.

Gesundheitsaufklärung im Gottesdienst

Und gerade deshalb könnten Kirchen bei der Gesundheitsaufklärung in schwarzen Gemeinden eine Schlüsselrolle spielen, sagt Pastor Terris King aus Baltimore. Afroamerikaner sind religiöser als der Bevölkerungsdurchschnitt, heißt es in einer Pew-Studie. Etwa 80 Prozent identifizieren sich als Christen.
"Es ist die Verantwortung der Kirchen, die Gläubigen ganzheitlich im Auge zu haben, den Körper und die Seele. Ich sorge mich auch um das wirtschaftliche Wohl meiner Gemeindemitglieder, wie sie wohnen, was sie essen und trinken. Da fügt sich das Gesundheitsthema nahtlos ein."
King ist seit langem ein Pionier in der Mission, Gesundheit und Gott zu verknüpfen. Gemeinsam mit der Johns-Hopkins-Universität bietet die Liberty-Grace-Kirche Ernährungsberatung an, mit der Maryland Food Bank betreibt sie eine Testküche mit frischen Lebensmitteln. Auch finden in Kings Kirche regelmäßig Screenings für Bluthochdruck, Diabetes und HIV/Aids statt – Erkrankungen, von denen Afroamerikaner besonders betroffen sind.
Seit Beginn der Corona-Pandemie lädt King Ärzte, Wissenschaftler und Pharmavertreter zu Gottesdiensten ein, um Fragen der Gemeindemitglieder zu beantworten – auch zum Thema Impfen.

Kirchen, Friseure, Schönheitssalons

Zusammen mit dem Gesundheitsamt von Baltimore und verschiedenen Universitäten hat er außerdem ein "Train-the-Trainer"-Programm gestartet – und zwar an drei Orten:
"Kirchen, Friseure, Schönheitssalons. Das sind gewissermaßen die heiligen Plätze in der afroamerikanischen Kultur. Dahin gehen wir und teilen unsere Ängste, unsere Sorgen. Deshalb wollen wir die Mitarbeiter an diesen drei Orten über Corona und über Impfkampagne informieren und schulen, damit sie den Menschen, die zu ihnen kommen, dabei helfen, Fiktion und Fakten zu trennen."
Der schwarze Pastor Terris King
Terris King will durch Aufklärungsarbeit die Impfbereitschaft in der schwarzen Bevölkerung steigern (Privat)
Nicht nur in Houston und Baltimore, sondern überall in den USA widmen sich Kirchen, insbesondere schwarze Kirchen, dem Thema Impfen und Impfskepsis – mit Aufklärungskampagnen, aber auch mit praktischen Tipps, bei der Vereinbarung eines Impftermins zum Beispiel. Die First Baptist Church of Decatur, eine progressive und ethnisch gemischte Gemeinde in Atlanta, richtete bereits im März eine Coronavirus Task Force ein. Deren Mitglieder stehen in ständigem Kontakt mit Ärzten und Gesundheitsämtern.

"Mit Expertenwissen zum Impfen ermutigen"

Die Kirche könne die Menschen mit Daten, Informationen und seriösem Experten-Wissen versorgen und zum Impfen ermutigen, sagt Dilshad Premji, Mitglied der Task Force und Schatzmeisterin der Kirche. Aber dann müssten sie selbst entscheiden, was sie tun. Zwingen könne man niemanden. Randall Hampton brauchte keinen Zwang. Der 70-Jährige, seit Jahren Mitglied in der First Baptist Church of Decatur, hat mehrere Freunde durch COVID-19 verloren.
"Ich habe meine erste Spritze Mitte Januar bekommen. Ich konnte es nicht abwarten, habe die Pfleger sogar gefragt, ob sie mir nicht gleich die zweite Dosis geben können. Aber das ging nicht. Ich habe über die Impfstoffe recherchiert, habe Fachartikel gelesen, auch die Informationen der Kirche waren hilfreich. Und ich glaube, der Impfstoff ist sicher."
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Gab es Momente, in denen der Blick durch die historische Linse ihn hat zweifeln lassen? Er wisse um die Geschichte der medizinischen Experimente mit Afroamerikanern, sagt er. Aber das habe ihn nicht beeinflusst. Das sei die Vergangenheit, und er wolle im Hier und Jetzt leben.
Gesundheitsexperten und Kirchenführer sind vorsichtig optimistisch, dass im Verlauf der Impfaktion und dank hartnäckiger Aufklärungsarbeit das Misstrauen von Afroamerikanern in das Impfen abnimmt. Eigentlich sei es ganz einfach, sagt Terris King, der Pastor aus Baltimore.
"Am Anfang muss Demut stehen. Man muss zuhören und anerkennen, dass es berechtigte Gründe für das Misstrauen gibt. Erst dann kann man über das Impfen reden. Wenn wir glaubwürdige Informationen und Fakten liefern, werden dann in Zukunft mehr Afroamerikaner bereit sein, sich impfen zu lassen? Ja, da bin ich mir sicher."