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US-Klimaforscher Michael E. Mann
Die Strategien der Untätigen

Der US-Klimaforscher Michael E. Mann hat sich bereits heftige Debatten mit Klimawandel-Leugnern geliefert und bekam sogar Morddrohungen. In seinem neuen Buch beschreibt er, dass es mittlerweile aber andere Akteure sind, die wirkungsvollen Klimaschutz verhindern: Dazu zählt er sogar Klimaaktivisten.

Von Sandra Pfister |
Das Buchcover von Michael E. Mann: „Propagandaschlacht ums Klima. Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen“ und im Hintergrund ein Bild von einer Weltkugel in der Kneifzange
Kein Primaklima - Die Welt in der Zange (Cover Verlag Solare Zukunft / Hintergrund (c) imageBROKER/AndyxDeanht)
Normalerweise legt sich Michael E. Mann mit Klimawandel-Leugnern an. Diesmal teilt er auch im eigenen Lager der Klimaretter aus:
"(E)s gibt heute eine scheinbar grenzenlose und sehr lebhafte Gemeinschaft von veganen Aktivisten, die davon überzeugt sind, dass "Fleisch-Scham" die Lösung für den Klimawandel ist. (…) Tierschützer greifen oft Klimawissenschaftler an, nur weil diese darauf hinweisen, dass der Beitrag des Fleischessens im Vergleich zur Verbrennung fossiler Brennstoffe gering ist. Eine solche Feindseligkeit von vermeintlich linker Seite gegenüber faktenbasierten Diskursen hat ironischerweise viel gemeinsam mit den Angriffen von klimawandelverweigernden Rechten auf Klimawissenschaftler."
Die gute Nachricht: Letztere werden weniger. Zumindest leugne kaum noch jemand Ernstzunehmendes den Klimawandel.

Wer Klimaschutz verhindert

Die schlechte Nachricht: Die Bremser haben jetzt einfach ihre Taktik geändert. Sie leugnen nicht mehr, sie lenken ab. Sie tun alles, um nichts tun zu müssen. Mann nennt sie deshalb: die Tatenlosen. Ihren Einfluss spielten sie aus über konservative Politiker und Medien, aber auch über offene oder verdeckte Social-Media-Kampagnen.
In ihrem Lager sieht Michael E. Mann nicht nur die großen Energiekonzerne, sondern auch das Kohleexportland Australien, die Ölförderländer Saudi-Arabien und Russland. Besonders Russland habe viel zu verlieren:
"Dass Russland weiterhin soziale Medien nutzt, um die amerikanische Öffentlichkeit zu manipulieren, ist bekannt. Was weniger Aufmerksamkeit erregt hat, ist die Frage nach dem Warum. (D)ie russische Wirtschaft ist von der fortgesetzten Förderung und Monetarisierung von Russlands primärem Wirtschaftsgut - den Ölreserven - abhängig."
Das große Ziel der tatenlosen Akteure: verhindern, dass Gesetze kommen, die die Wirtschaft entschieden dekarbonisieren; vor allem mit einem CO2-Preis, der der Freisetzung von klimaschädlichen Gasen ein Preisschild aufklebt.

Die Strategien der Tatenlosen

Und hier ist die Wahl der Mittel extrem interessant. Taktik Nummer eins: Verantwortung individualisieren. Dieser Strategie zufolge soll der Einzelne das Gefühl bekommen: Er muss erstmal bei sich selbst anfangen. Indem er kein Fleisch mehr isst, sein Auto verschrottet, selten fliegt.
Der Klimaforscher illustriert dies am Beispiel des individuellen CO2-Fußabdrucks. Dieses Konzept sei vor allem vom Energiekonzern BP vermittelt worden. Im Resultat gingen nun Klimaschützer ständig mit erhobenem Zeigefinger aufeinander los.
"Wenn sich der Klimadiskurs in ein Gezeter über Ernährungs- und Reiseentscheidungen verwandelt und sich um persönliche Reinheit, Bloßstellen von Menschen aufgrund ihres Verhaltens und um Tugendhaftigkeit dreht, werden wir nicht in der Lage sein, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Dann (…) werden sich die Interessen der fossilen Brennstoffwirtschaft durchsetzen."
Weniger Fleisch essen, weniger fliegen, keine Plastiktüten mehr – aber das ist doch sinnvoll, oder? Schon, entgegnet der Autor. Aber der Einfluss des Individuums sei vergleichsweise klein und reiche allein eben nicht aus.
Zur Illustration: Rindfleisch-Essen trage weltweit etwa sechs Prozent zu den globalen Treibhausemissionen bei. Der Flugverkehr nur drei Prozent. Aber 70 Prozent, also mehr als zwei Drittel der Kohlendioxidemissionen weltweit, gehen auf das Konto von etwa hundert Unternehmen: Kohle-, Öl-, und Gaskonzernen. Die könne man nur politisch regulieren, schreibt Mann.

"Sanfter Untergangsglaube"

Eine weitere Ablenkungs-Strategie: Klimabewusste verunsichern – zum Beispiel mit Fragen wie: Kostet Klimaschutz nicht zu viele Arbeitsplätze? Machen Windkraftanlagen krank? Und töten die Rotoren der Windräder nicht doch ein paar Vögel? Dabei stelle "der Klimawandel für Vögel eine weitaus größere Bedrohung dar (…) als es Windkraftanlagen sind", schreibt Mann.
Die Profiteure des Status quo seien hingegen geübt darin, Zweifel zu säen und künstliche Dilemmata zu kreieren.
Ein weiteres Ablenkungsmanöver besteht darin, die Klimakrise groß zu reden. So groß, dass sich Lähmung breitmacht: Wir können ja eh nichts mehr tun, es ist ohnehin schon zu spät.
"Der sanfte Untergangsglaube hat sich immer mehr verbreitet. Seine Grundgedanken wurden (…) von Organisationen wie Extinction Rebellion übernommen."
Und von vielen Klimaschutzwilligen verstärkt, die in der guten Absicht, Menschen aufzurütteln, Untergangsszenarien an die Wand malten. Damit meint Mann Autoren wie Jonathan Franzen oder David Wallace-Wells. Deren überbordender Pessimismus sei kontraproduktiv, weil er Menschen lähme. Und damit wirke er fast mächtiger als die Werkzeuge der Klimaleugner.

Beruhigende Begriffe

Das vierte große Narrativ, das politische Einschränkungen für Unternehmen verhindern soll: Es gibt doch technische Lösungen für den Klimawandel! Warum CO2-Emissionen reduzieren, wenn man doch das klimaschädliche CO2 zum Beispiel einfach in unterirdische Speicher drücken könne? Michael E. Mann:
"Die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit haben versucht, den tatsächlichen Fortschritt beim Klimaschutz zu kapern, indem sie ‚Lösungen‘ wie Erdgas, CO2-Abscheidung oder Geoengineering propagieren, welche aber keine wirklichen Lösungen sind. Teil der Strategie ist die Verwendung beruhigender Begriffe wie ‚Brückentechnologien‘, ‚saubere Kohle‘, ‚Anpassung‘ oder ‚Resilienz‘."
Wir können uns, findet der Autor, aus der Klimakrise nicht mit Ingenieurskunst herausmanövrieren. Die technologischen Lösungen müssten bei der Menge an klimaschädlichen Gasen immer besser und schneller werden, und ihre Nebenwirkungen seien noch kaum untersucht. Zudem würden dadurch Ressourcen von erneuerbaren Energien abgezogen und zu bloßen Reparaturtechniken umgeleitet.

Mangel an europäischen Beispielen

Michael E. Mann hat die angelsächsische Gabe, wissenschaftlich fundiert und unterhaltsam zu schreiben. Zudem hat er Freude an Provokationen – langweilig wird es also so gut wie nie. Doch sein Buch hat, aus deutscher Sicht, eine große Macke:
Seine Argumentation und seine Fallbeispiele beziehen sich nahezu ausschließlich auf amerikanische Konzerne und Medien. Insofern bleibt im Ungefähren, wie stark europäische Energiekonzerne möglicherweise an den Ablenkungs-Narrativen mitgestrickt haben, oder wie sehr Russland auch die deutsche Klimapolitik zu beeinflussen versucht. Auch sind die Weichenstellungen hier anders: Europa hat bereits einen Emissionshandel und Deutschland einen CO2-Preis.
Dennoch ist es erfrischend, wie der Autor viele gängige Erzählstränge zum Klimawandel gegen den Strich bürstet und demaskiert; vor allem die Annahme, dass wir das Klima retten, wenn jeder Einzelne nur energisch genug seine Konsumgewohnheiten ändert.
Dass wir aber durchaus noch gegensteuern können, davon ist Mann überzeugt. Jetzt muss er noch die Apokalyptiker und die Moralisten im eigenen Lager überzeugen.
Michael E. Mann: "Propagandaschlacht ums Klima. Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen"
übersetzt von Matthias Hüttmann, Tatjana Abarzúa und Herbert Eppel
Verlag Solare Zukunft, 440 Seiten, 29 Euro