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US-Kongresswahlen
"Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit Trump zu arbeiten"

Die "Midterms", die Kongresswahlen in der Mitte der Amtszeit des US-Präsidenten, gelten auch als Votum über die Politik Donald Trumps. Allerdings könne die EU mit Trump auch zu Ergebnissen kommen, wenn sie mit einer Stimme spreche, sagte Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt von der SPD im Dlf.

Niels Annen im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Donald Trump in Montana; er steht auf einer Bühne, hinter ihm Zuschauer.
    Die Präsidentschaft von Donald Trump stellt auch die Politiker in Deutschland und Europa vor neuen Herausforderungen (AFP)
    Mario Dobovisek: Aus dem Klimaabkommen zurückgezogen, den Atom-Deal mit dem Iran gekündigt, den Nahen Osten mächtig durcheinandergewirbelt, den Atom-Abrüstungsvertrag mit Russland in Frage gestellt, ebenso die NATO, weiten Teilen der Welt den Handelskrieg erklärt, und immer wieder blicken seine internationalen Partner bang auf die Twitter-Timeline. Was kommt wohl als nächstes, fragen sie sich. Die außenpolitische Bilanz zwei Jahre nach der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika fällt für sie ernüchternd aus.
    Doch auch bei sich zuhause in den USA polarisiert Trump weiter, erst recht vor den Zwischenwahlen, den "midterms", die darüber entscheiden werden, ob er weiter durchregieren kann, oder mit starkem Gegenwind der Demokraten etwa im Repräsentantenhaus rechnen muss. Ab Mittag, zwölf Uhr deutscher Zeit, öffnen die ersten Wahllokale, zunächst an der Ostküste. Darüber sprechen möchte ich mit Niels Annen von der SPD, Staatsminister im Auswärtigen Amt, dort unter anderem zuständig für Nordamerika. Guten Morgen, Herr Annen!
    Niels Annen: Ja, einen wunderschönen guten Morgen.
    Dobovisek: Zwischenwahlen gleich Zwischenbilanz. Meine Liste aus der Moderation ließe sich weiter fortführen. Herr Annen, welche Entscheidung Donald Trumps hat Sie bisher am meisten schockiert?
    Annen: Mich hat eigentlich am meisten schockiert eine Entscheidung, die er schon relativ früh getroffen hat und die schon fast wieder in Vergessenheit geraten ist, nämlich die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens. Das ist vermutlich die Entscheidung, die langfristig die allergrößten Auswirkungen auf uns, aber vor allem auch auf nachfolgende Generationen haben wird.
    Aber insgesamt muss man sagen, wir haben eine lange Liste von Auseinandersetzungen, die zum Teil harte und wirklich schwierige Fragen nach sich ziehen, das Iran-Abkommen, das unsere Sicherheit hier ganz direkt betrifft. Das heißt, wir sind es eigentlich nicht gewohnt, mit den Vereinigten Staaten über Fragen zu diskutieren, bei denen unsere Sicherheit betroffen ist, und zwar negativ. Wir waren es gewohnt, auch mal zu streiten, Stichwort Irak-Krieg. Aber dass dort eine Regierung Entscheidungen trifft, die grundsätzlich dieses Verhältnis in Frage stellen, das ist schon etwas Neues und das macht mir auch Sorgen.
    Demonstranten protestieren mit Plakaten vor dem Weißen Haus gegen den Rückzug der USA aus dem internationalen Klimaschutzabkommen.
    Demonstranten protestieren vor dem Weißen Haus gegen den Rückzug der USA aus dem internationalen Klimaschutzabkommen. (afp / Paul J. Richards)
    Dobovisek: Müssen wir zwei Jahre nach der Wahl Donald Trumps festhalten, Donald Trump ist kein verlässlicher Partner?
    Annen: Er ist der gewählte Präsident und insofern bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, als mit ihm zu arbeiten. Es ist auch richtig, dass wir das versuchen. Wir haben beispielsweise gesehen, dass wir dort, wo wir uns selber organisieren, wo die Europäische Union mit einer Stimme spricht - das es etwa in Handelsfragen der Fall -, mit den Amerikanern, auch mit diesem Präsidenten zu Ergebnissen kommen können. Aber dafür müssen wir uns ganz schön zusammenreißen.
    Und ja, es ist eine veränderte Situation. Aber ich glaube, es hilft kein Klagen, sondern wir müssen selber erkennen, dass wir uns vor allem in Europa besser und gemeinsam auf diese Situation einstellen müssen. Es liegt in unser eigenen Hand und es liegt nicht auf der amerikanischen Seite.
    "Schon unter Obama haben sich die Amerikaner aus Europa sich zurückgezogen"
    Dobovisek: Aber irgendwie funktioniert das offensichtlich nicht, Herr Annen. Die deutsche Außenpolitik, insgesamt die europäische hat es mit Annäherung versucht, mit Distanz, in Sachen Iran gar jetzt mit Konfrontation, mit ziemlich scharfer Konfrontation. Aber nichts scheint so richtig im Verhältnis zu den USA zu fruchten. Warum nicht?
    Annen: Ich bin nicht ganz Ihrer Meinung. Ich glaube schon, dass wir es gerade in den letzten Wochen und Monaten schon erreicht haben, eine neue Amerika-Politik zu formulieren. Heiko Maas hat dazu eine ganze Reihe von Äußerungen getroffen, eine wichtige Rede gehalten. Im Grunde genommen sind es ja zwei Säulen, auf denen diese Politik basiert. Auf der einen Seite – darüber haben Sie ja in Ihrem Beitrag gerade geredet – auch mit dem amerikanischen Parlament, aber auch anderen Akteuren der amerikanischen Politik enger zusammenzuarbeiten, beispielsweise die Gouverneure, die in den USA ein wichtiges Wörtchen mitzureden haben und zum Beispiel beim Klimaschutz in vielen Bereichen auch Partner für uns sind, aber auf der anderen Seite auch klar unsere Interessen zu verteidigen.
    So stehen wir zusammen mit den Europäern, den wichtigen Europäern zum Beispiel in der Frage der Verteidigung des Iran-Abkommens. Aber dass man jetzt glaubt, man könnte von heute auf morgen, innerhalb weniger Wochen oder Monate in dieser Konstellation die amerikanische Seite vom Gegenteil überzeugen, ich glaube, das wird nicht passieren, und wir müssen jetzt einen Weg finden, mit Herrn Trump und seiner Administration umzugehen.
    Aber ich glaube, wir müssen uns auch selber mit der Frage beschäftigen, was hat sich eigentlich in den USA grundsätzlich geändert. Es gab auch schon unter dem Präsidenten Obama, mit dem wir viel besser zusammenarbeiten konnten und der sehr viel Unterstützung auch in Deutschland genossen hat, erste Tendenzen, dass sich die Amerikaner ein wenig zurückziehen aus Europa, aus den internationalen Politikinstitutionen, und das ist die eigentliche Herausforderung neben dem Management der Tagespolitik.
    "Sind in einer Zeit, in der Politiker direkt über die sozialen Medien ihre Anhängerschaft mobilisieren können"
    Dobovisek: Jetzt haben viele nach der Wahl beruhigt und gesagt, das war alles Wahlkampf-Rhetorik, wird schon alles nicht so schlimm werden. Wie werten Sie das heute?
    Annen: Nein. Ich glaube, wir müssen alle lernen, das ernst zu nehmen, was Politikerinnen und Politiker im Wahlkampf sagen. Wir haben jetzt beispielsweise in einem anderen wichtigen Land einen sehr ähnlich verlaufenen Wahlkampf bedauerlicherweise erleben müssen. Ich rede über Brasilien. Natürlich ist auch dort der Herr Bolsonaro der gewählte Präsident.
    Aber ich glaube schon, dass man sagen muss, all diese Ratgeber, die uns gesagt haben, ach wissen Sie, wenn der erst mal Präsident wird, wenn er sich in die neuen Institutionen eingefügt hat, das Amt wird den Mann mehr prägen als der Mann das Amt, das stimmt alles nicht. Wir sind in einer Zeit, in der Politiker wie Herr Trump direkt über die sozialen Medien ihre Anhängerschaft mobilisieren können und wir offensichtlich auch gelernt haben, dass die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft und die Polarisierung, letztlich die Spaltung der Gesellschaft ein machtvolles Instrument sind, um ihre Politik durchzusetzen.
    Niels Annen (SPD), Obmann des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, steht in der Bundespressekonferenz den Journalisten Rede und Antwort. 
    Niels Annen (SPD), Obmann des Auswärtigen Ausschusses (imago stock&people)
    Dobovisek: Dazu gehört aber auch, dass Trump ja viel versprochen hat. Viele haben da mit den Achseln gezuckt und gesagt, es ist unwahrscheinlich, das wird gar nicht passieren. Jetzt hat Trump aber in vielen Punkten geliefert. Sind das deutsche, sind das europäische Politiker einfach nicht mehr gewöhnt?
    Annen: Ich glaube, wir sind diese Form der Politik nicht gewöhnt gewesen, und das ist ja eigentlich auch eine gute Sache, denn es wäre, denke ich, die falsche Antwort, wenn wir jetzt den Politikstil von Herrn Trump kopieren würden. Das passiert allerdings auch in Europa. Es gibt ja eine ganze Reihe auch von europäischen Regierungen, die unter dem Einfluss von populistischen Parteien stehen, die sich ganz eindeutig auf diesen Politikstil beziehen. Ich sehe das als unsere Aufgabe an, unsere eigene Haltung auch gegenüber dem amerikanischen Präsidenten zu verteidigen. Aber es ist auch unsere Aufgabe, einen Teil der politischen Kultur, die wir hier in Deutschland und Europa aufgebaut haben, mitzuverteidigen. Darin liegt doch langfristig die Herausforderung.
    Und wir werden heute sehen, ob diese sogenannten "midterm elections", die Wahl des Kongresses in den Vereinigten Staaten, den Kurs von Herrn Trump bestätigt oder nicht. Deswegen sind diese Wahlen durchaus wichtig, weil sie auch einen Hinweis darauf geben, ob diese Spaltungspolitik in den Vereinigten Staaten Früchte trägt, oder ob sich am Ende doch diejenigen durchsetzen, die häufig dann bei diesen Wahlen eigentlich zuhause geblieben sind, weil sie gedacht haben, sie sind vielleicht doch nicht ganz so wichtig. Also ein spannender Tag und auch ein Tag, der mit darüber entscheidet, …
    "Müssen als allererstes an uns selber glauben, weil andere werden uns die Arbeit nicht abnehmen"
    Dobovisek: Rechnen Sie damit, Herr Annen, dass die Demokraten ab morgen wieder mehr Einfluss haben werden?
    Annen: Ach wissen Sie, alle Umfragen deuten darauf hin. Aber wir haben einen extrem interessanten Wahlkampf erlebt mit einer auch hier wieder hohen Polarisierung. Beide Seiten scheinen, sehr mobilisiert zu sein. Der Vorteil liegt bei den Demokraten. Aber wir haben auch alle nicht damit gerechnet, dass Herr Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen würde. Also wir müssen die nächsten Stunden abwarten.
    Dobovisek: Sie haben auch über Europa gesprochen, auch über Deutschland, dass wir im Prinzip auch aus Trump Lehren ziehen sollten. Jetzt sind ja gerade diejenigen, die versuchen, anders zu reagieren, wie zum Beispiel die SPD und auch die Union, kläglich damit gescheitert, wenn wir auf die Wahlergebnisse gucken. Beide Volksparteien haben zweistellig verloren bei den letzten Wahlen. Ist das gescheitert?
    Annen: Wenn ich eine Zwischenphase, in der wir große Probleme haben, jetzt als ein endgültiges Verdikt über unsere Politik akzeptieren würde, …
    Dobovisek: Die Zwischenphase dauert schon ganz schön lange an!
    Annen: …, dann dürfte ich ja keine Politik machen. Nein, ich glaube, wir haben in Europa, aber sogar global eine Krise dieser Parteien, die versuchen, wie unsere Parteien als Volksparteien so etwas wie einen Beitrag zu einem gesellschaftlichen Kompromiss und zum Zusammenhalt zu leisten. Dafür gibt es viele Gründe. Einige Gründe liegen auch in Fehlern, die wir selber gemacht haben. Trotzdem habe ich den Eindruck, es gibt einen generellen Trend. Aber wir sind ein starkes Land und die SPD beispielsweise ist weiterhin, auch was die Mitglieder angeht, die stärkste Partei in diesem Land.
    Wir sind überall organisiert, haben Ansprechpartner. Wir müssen uns selber etwas mehr zutrauen. Ich glaube, wenn wir immer mit runtergezogenen Mundwinkeln durch die Gegend laufen und über die Schwierigkeiten klagen, dann wird uns am Ende auch niemand wählen. Wir brauchen etwas mehr Zuversicht. Und ich glaube, dass man auch in anderen Ländern unserer Nachbarschaft schon feststellen kann, was passiert, wenn diese Volksparteien dauerhaft in die Defensive geraten oder auch ihre Unterstützung verlieren. Ein zersplittertes Parteiensystem, das ist nicht das Ende der Demokratie, aber das verändert die Kultur eines Landes, und ich glaube, dass wir gute Argumente haben, dafür diese Arbeit fortsetzen zu müssen, und ich glaube auch, dass wir eine große Zukunft haben. Wir müssen aber als allererstes selber an uns glauben, weil andere werden uns die Arbeit nicht abnehmen.
    Dobovisek: Strahlt Andrea Nahles als Parteichefin genug Zuversicht aus?
    Annen: Absolut! Wir haben gestern beispielsweise eine sehr wichtige Klausurtagung gehabt. Wir haben uns untergehakt und wir sind zusammengerückt in dieser Situation. Darauf habe ich eigentlich die ganzen letzten Wochen schon gewartet. Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis dieser Sitzung und ich glaube, dass wir eine Grundlage haben, hier weiterzuarbeiten, selbstverständlich mit Andrea Nahles an der Spitze.
    Dobovisek: Der SPD-Politiker Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Ich danke Ihnen für das Interview.
    Annen: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.