Der IS sei eine Bedrohung für die ganze Region, sagte Kornblum im Deutschlandfunk. Obama genieße in den USA zwar "keine hundertprozentige Unterstützung für die Intervention", er sorge sich aber um die Anrainerstaaten.
Warum Obama nicht früher angegriffen habe, sei jetzt nicht mehr wichtig. Entscheidend sei nun, ob "man eine generelle allgemeine Unterstützung" für den Einsatz erhalte und ob die "Methode der Bombardierung ausreiche, um die Gefahr zu unterdrücken". Wobei der ehemalige Berliner US-Botschafter betonte, die USA würden bereits eng mit "Kräften im Irak, vor allem mit sunnitischen Gruppen" zusammenarbeiten.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Vorletzte Nacht haben die USA damit begonnen, zusammen mit fünf arabischen Staaten Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat und ihrer Verbündeten in Syrien anzugreifen. In drei Wellen wurden Ziele aus der Luft und von Schiffen aus bombardiert. Ob heute Nacht weitere Angriffe geflogen worden sind, das ist noch nicht klar. Offiziell wollte gestern in Washington das alles in der Regierung zunächst noch keiner einen Krieg nennen. Aber was ist es sonst, fragt der Top-Moderator von CNN, Wolf Blitzer?
O-Ton Wolf Blitzer: "Es sieht aus wie ein Krieg, es fühlt sich an wie ein Krieg, hört sich an wie ein Krieg. Wenn Flugzeuge Bomben abwerfen, dann ist das für mich Krieg."
Meurer: Die US-Offensive gegen die Terrormiliz Islamischer Staat ist im vollen Gange. Seit vorletzter Nacht werden Stellungen auch in Syrien bombardiert. Zuvor hatte US-Präsident Obama noch den syrischen UNO-Botschafter in New York über den Einsatz informieren lassen. Washington legt Wert auf die Feststellung "informieren lassen". Um Erlaubnis hätte man nicht gefragt. Auch fünf arabische Staaten leisten an der Seite der USA militärische Unterstützung.
John Kornblum war US-Botschafter in Deutschland, jetzt ist er in Berlin am Telefon. Guten Morgen, Herr Kornblum.
John Kornblum war US-Botschafter in Deutschland, jetzt ist er in Berlin am Telefon. Guten Morgen, Herr Kornblum.
John Kornblum: Guten Morgen!
Meurer: Führt US-Präsident Barack Obama die USA jetzt doch wieder in einen Krieg wie seine Vorgänger?
Kornblum: Na ja. Wie Ihr Bericht auch dargestellt hat: Das Wort "Krieg" ist wahrscheinlich schon angebracht hier. Die Frage ist, warum er das tut und welche Ziele er hat. Ich finde es erstens eine sehr mutige Entscheidung von ihm. Es gibt ganz klar eine Bedrohung, aber er hat nicht unbedingt hundertprozentige Unterstützung Zuhause. International ist das noch unklar, also er begibt sich noch ein bisschen in unbekannte Gewässer, wie man sagt, und wir müssen sehen, wie er das weiter behandelt.
Meurer: Es sagen ja etliche, das kommt zu spät. Inwiefern, wie beg ründen Sie, dass das jetzt mutig sein soll?
Kornblum: Na ja, zu spät ist wieder eine Definition, die man selber empfindet. Was ist zu spät? Man könnte sagen, es ist zu spät, weil man vor über einem Jahr nicht in Syrien eingegriffen hatte. Man kann sagen, es ist zu spät, weil man die Lage im Irak vielleicht falsch eingeschätzt hatte. Das stimmt alles.
Aber was jetzt passiert ist, dass diese Gruppen oder die Gruppe der ISIS oder IS, wie sie auch heißen, ganz klar mehr als eine Bedrohung gegen Irak sind. Sie haben ihre Ziele, aber auch all ihre Kapazitäten gesammelt, sodass sie auch die ganze Region bedrohen können, und ich glaube, ein Teil der Begründung für Obamas Entscheidung sind die ganz großen Sorgen der Anrainerstaaten, die auch westliche Alliierten sind, dass diese Gruppen auch sie bedrohen könnten.
IS: Mehr als nur eine terroristische Bedrohung
Meurer: Warum hat Obama nicht angegriffen, als die rote Linie überschritten war und Giftgas in Syrien eingesetzt wurde?
Kornblum: Ja, das kann man fragen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Es war nicht nur Obama, sondern auch zum Beispiel das britische Unterhaus hat das entschieden abgelehnt damals. Das sind alles Wenn-Fragen, die jetzt eigentlich nicht mehr so wichtig sind. Die Frage ist jetzt, wenn es nicht zu spät ist, ist die Strategie die richtige, wird man eine generelle, allgemeine Unterstützung dafür kriegen und ist die Methode dieser Bombardierung auch ausreichend, um die Gefahr zu unterdrücken.
Meurer: Ist die brutale Wahrheit, Herr Kornblum, dass Giftgas in Syrien die nationale Sicherheit der USA nicht bedroht hat, aber die ISIS-Rebellen jetzt schon?
Kornblum: Na ja, Ihre Frage ist eigentlich nicht richtig in diesem Fall. Giftgas - wenn Sie meinen, dass das eine humanitäre Frage war, das kann sein. Aber diese Bewegung, wenn sie so stark und so aggressiv ist, wie man meint, bedroht nicht nur die USA, sondern auch Europa sehr stark. Und Sie werden sehen: Europäische Verbündete, auch in ihrer strategischen Zurückhaltung, versuchen, sich auch irgendwie damit zu engagieren, weil man weiß, dass das hier was anderes ist als nur eine terroristische Bedrohung.
Meurer: Die USA fliegen im Moment Angriffe aus der Luft, operieren mit Tomahawk-Raketen von Schiffen aus. Wird es dabei bleiben können?
Kornblum: Das ist die große Frage und das wird heute Morgen auch in der amerikanischen Presse sehr ausführlich diskutiert. Obama hat gesagt, dass es keine amerikanischen Bodentruppen geben wird. Es gibt sogenannte, das sind immer die berühmten Berater, die doch am Boden sind, aber die nicht in Kampfstärken da sind. Es gibt auch Engagements der arabischen Staaten in verschiedenen Größen und auf verschiedene Weisen. Ob das bei Luftangriffen bleiben kann, ist natürlich im Moment nicht klar.
Große Leistung der Vereinigten Staaten für die Weltsicherheit
Meurer: Wovon könnte das abhängen Ihrer Einschätzung nach?
Kornblum: Das könnte davon abhängen, inwiefern man die Lage beruhigen kann, aber inwiefern auch man die Lage im Irak stabilisieren kann. Die Strategie, die auch ausgelegt wurde gestern vom Präsidenten und anderen, ist natürlich nicht nur Bombardierung, sondern es ist enge Zusammenarbeit mit den Kräften in Irak, vor allem auch mit sunnitischen Gruppen, und zu sehen, dass man auch die interne Lage im Irak stabilisiert, davon abgesehen, wie man da mit der Bombardierung vorangeht.
Meurer: Die Amerikaner sind jahrelang gescholten worden, Herr Kornblum, dafür, dass sie militärisch Kriege geführt haben im Irak. Jetzt werden sie dafür gescholten, dass sie es zu spät tun im Fall Syriens. Ärgert Sie das?
Kornblum: Nein, es ärgert mich nicht, weil ich diese Lage seit Jahren, vielleicht sogar in meinem Fall persönlich, seit Jahrzehnten erlebt habe. Das ist ein bisschen die Rolle von dem Land, das für die Sicherheit der anderen sorgt. Es gibt kein Land auf der Welt, das annähernd so viel Stärke, aber auch so viel Engagement für die Weltsicherheit zeigt wie die Vereinigten Staaten, und das bedeutet, dass man auch manchmal Fehler macht, und die Fehler von Bush brauchen wir gar nicht zu beschreiben. Aber das bedeutet auch, dass man sehr oft angegriffen wird, weil die anderen zwar Unterstützung brauchen, aber aus irgendwelchem Grund zeigen wollen, dass sie nicht dabei sind.
Meurer: Ist die Politik der militärischen Zurückhaltung, die Barack Obama angestrebt hat, gescheitert?
Kornblum: Nicht gescheitert, aber man sieht, wie schwierig es ist. Wir hatten eine ähnliche Lage vor mehr als 30 Jahren mit Jimmy Carter. Er trat ins Amt und sagte, wir werden nicht mehr überall intervenieren, wir werden unsere Truppen zurückziehen etc. Das erste Ergebnis war große Aufregung unter den europäischen Verbündeten und Carter war in Europa einer der unbeliebtesten Präsidenten, die wir je hatten. Obama nach Bush hat eine ähnliche Strategie eingeleitet und ganz entschieden zum Beispiel sich aus Afghanistan und Irak zurückgezogen. Ich glaube, er hat gesehen, und hoffentlich die Welt hat gesehen, dass es nicht so leicht ist, einfach zu sagen, wir intervenieren mehr. Es muss einen Prozess geben um diese Krisengebiete wie dem Nahen Osten, aber auch wie die Grenzländer zur ehemaligen Sowjetunion. Es muss einen Prozess geben und nicht nur zu sagen, wir sind entweder für Intervention oder dagegen.
Meurer: Der Prozess führt jetzt dazu, dass die USA, Herr Kornblum, faktisch Baschar al-Assad helfen in Syrien, indem sie und die Verbündeten Assads Feinde angreifen. Wie kommt man aus so einer Sache heraus?
Kornblum: Ja, das ist ein empfindlicher Punkt, und der Präsident hat gestern versucht, das auch, wenn Sie wollen, zu erklären. Er sagte, nur weil wir die Feinde von Assad angreifen, bedeutet das nicht, dass wir mit Assad zusammenarbeiten. Die letzten Angriffe wurden in Syrien aber doch notifiziert durch den UNO-Botschafter in New York, sodass man keine Missverständnisse haben würde. Sie haben Recht, man hat sich ein bisschen in eine Ecke begeben, und wir werden sehen, wie man da rauskommt. Aber wie gesagt: Die Feinde meines Feindes sind immer noch meine Feinde.
"Europäern fehlt Fähigkeit zur Strategie"
Meurer: Haben die USA Syrien deswegen vorgewarnt und die Angriffe mitgeteilt, angekündigt, damit nicht die syrische Luftabwehr amerikanische Flugzeuge angreift?
Kornblum: Könnte sein. Es könnte sein, dass das ein Teil der Begründung war. Aber ich glaube auch, es war, um Syrien zu sagen, passen Sie auf, hier sind Gebiete, die bombardiert werden, und da sollte man versuchen, Zivilisten und so viele wie möglich davon fernzuhalten.
Meurer: Kurze Frage noch, Herr Kornblum: Was sollte Deutschland jetzt tun?
Kornblum: Na ja, ich mache immer dasselbe Argument mit den Europäern. Es ist nicht eine Frage von massivem militärischem Engagement. Es ist eine Frage von strategischen Kenntnissen und strategischen Entscheidungen, um eine allgemeine Politik des Westens zu unterstützen. Diese Fähigkeit zur Strategie fehlt den Europäern immer noch sehr.
Meurer: John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, zum Krieg der USA und verbündeter Nationen gegen die Terrororganisation Islamischer Staat in Syrien jetzt auch. Herr Kornblum, besten Dank nach Berlin und auf Wiederhören.
Kornblum: Ich bedanke mich. Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.