"Wir müssen JETZT mithelfen, dass die Nation zur Ruhe kommt" – Das steht in einem internen Schreiben an die Angestellten des drittgrößten US-Radiobetreibers Cumulus Media. Es sollen bitte keine Fake News mehr über angebliche Wahlfälschungen verbreitet werden auf den gut 400 Sendern der Gruppe, darum bittet der Chef höchstselbst.
Cumulus gilt als rechtskonservativ und beschäftigt einige äußerst populäre Pro-Trump-Kommentatoren, wie etwa Mark Levin.
Das hier sei die Französische Revolution, sagte der noch am vergangenen Mittwoch in seinem Podcast, keine Woche nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington. Ob er damit die Ausschreitungen selbst meinte oder das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, ist unklar.
Überzeugt von Wahlbetrug und Corona-Verschwörung
Levins Monologe sind nicht gerade kohärent. Jedenfalls scheint er weniger interessiert daran, die Nation zu beruhigen, als sein Arbeitgeber.
Am Ende der Ära Trump sind die USA mehr denn je geprägt von Agitation, Misstrauen - und Falschinformation. Ein gutes Drittel der Bevölkerung glaubt, dass man Trump um seine rechtmäßige zweite Amtszeit gebracht habe. Vierzig Prozent denken, dass das Coronavirus gezielt in einem Labor hergestellt worden sei.
Große Bedeutung der lokalen Medien
Die Verschwörungsideologin Judy Mikovitz behauptete im Juli, reiche US-Eliten hätten das Coronavirus selbst entwickelt. Das Interview sendete die Sinclair-Gruppe, die an die 200 lokale TV-Sender besitzt, und deren Führung bekanntermaßen Trump-freundlich ist. Nach heftiger Kritik versenkte Sinclair das Interview zwar, aber erst, als es schon auf zehn Sendern der Gruppe gelaufen war.
Die lokalen Medien werden neben all den Debatten über Fox News und die sozialen Netzwerke oft vergessen. Dabei sind gerade sie jetzt von größter Bedeutung.
Das Lokalfernsehen sei keineswegs tot, sagt Gregory Martin, Professor für Politische Ökonomie an der Uni Stanford. Martin erforscht den Rundfunk und seinen Einfluss auf die Politik.
"Es gibt so einen Trend, dass die Menschen den Nachrichtenmedien weniger vertrauen, das betrifft aber vor allem die landesweiten Medien. Die Lokalen hingegen haben den Ruf, dass sie sich weniger mit einer der beiden Parteien gemein machten. Deswegen genießen sie wesentlich mehr Vertrauen als zum Beispiel die New York Times oder CNN."
Sparmaßnahmen bei den kleinen lokalen Medien
Laut Umfragen verlassen sich drei Viertel der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner auf ihre lokalen Sender und Zeitungen, während nur etwas mehr als die Hälfte nationalen Medien vertraut. Aber bei den lokalen wird seit Jahren immer mehr gespart. Das gilt für die Sender, die von Großfirmen wie Sinclair und Cumulus gekauft werden – und ebenso für die lokalen Zeitungen.
Maggie Lee berichtet als freie Reporterin über die Hauptstadtpolitik in Atlanta, Georgia. Das wirtschaftliche Interesse an guten Recherchen, sagt sie, lasse merklich nach.
"Einer meiner Abnehmer war jahrelang der 'Telegraph' in Macon, eine der kleineren Städte hier in Georgia. Das war eine dieser alten, starken Zeitungen, wo früher Dutzende Leute im Newsroom saßen. Jetzt – die noch übrig sind, haben keine Lust auf trockene Nachrichten aus der Hauptstadt. Was ich schreibe, ist nicht gerade begehrt. Es wird nicht geklickt, und deshalb kümmert es die Redaktionen längst nicht mehr so wie es sollte."
Neue Finanzierungsmodelle im Journalismus
Für Maggie Lee funktioniert profitorientierter Journalismus im Lokalen nicht mehr. Es brauche stattdessen gemeinnützige Modelle: "Ich bin fest davon überzeugt, dass es für lokale Nachrichten nur ein zukunftsfähiges Modell gibt: nämlich Non-Profit."
In Georgia wie in vielen anderen Regionen beginnen gemeinnützige Stiftungen und Universitäten, die Lücke zu füllen. Die Stimmung nach vier Jahren unter dem Agitator Trump vermischt sich mit der wirtschaftlichen Krise des Journalismus.
Verschwörungsmythen und billige Aufreger werden zur kostengünstigen Alternative zu guten Recherchen. Medienforscher Gregory Martin gibt aber auch zu bedenken:
"Der Ursprung all dieser Desinformation sind nicht die Medien. Sie kommt von Personen in politischen Ämtern. Wir haben jetzt jahrelang zu Fake News in sozialen Medien geforscht, zur Rolle von Facebook und so weiter. Wir haben hier kein technisches Problem. Das Problem ist viel grundsätzlicher: Es liegt in unserem politischen System."