Jetzt. Nach vier Jahren. Jetzt schalten sie weg. Am Ende der Präsidentschaft eines Lügenbarons stellen die berichtenden Nachrichtensender wie CNN, MSNBC und ABC fest, dass sie die Lügen von Trump durchaus als solche bezeichnen können. Und dass sie seine Rede unterbrechen können, um zu sagen: Wir verbreiten hier gerade Unsinn.
"Nun, hier sind wir wieder in der ungewöhnlichen Lage, nicht nur den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu unterbrechen, sondern auch den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu korrigieren", sagte zum Beispiel der NBC-Moderator Brian Williams, nachdem der Abgewählte in seiner ersten Rede nach der Wahlnacht die Echtheit der Ergebnisse in Zweifel zog.
MSNBC brach die Übertragung der Rede nach kurzer Zeit komplett ab, sie hatten einfach keine Lust mehr auf Bullshit.
"Fox News wirkten wie frisch gerettete Geiseln"
In dieser Abkehr von dem gerade abgewählten Präsidenten lag natürlich ein triumphierender Rückgewinn von Deutungshoheit. Und Erleichterung. Und, ja, vielleicht auch ein wenig grimmige Genugtuung. Sogar Fox News wirkten wie frisch gerettete Geiseln, die sich nun endlich von ihrem Stockholm-Syndrom befreien konnten, als sie mit überraschender Flexibilität von Hofberichterstattung zu Vom-Hof-jagen-Berichterstattung wechselten.
Es ist ein bemerkenswerter Moment in der Nachrichtengeschichte - diese Geste einer Presse, die immer noch teilweise hilflos versucht, den Umgang mit postfaktischen PolitikerInnen auszuhandeln: Chronisten, die sich weigern, den gerade eben noch mächtigsten Mann der Welt abzubilden. Aber ist es ein Moment medialen Heldenmuts oder auch ein bisschen nachrichtlicher Gratismut?
Mich stört hierbei nicht die inszenierte Abkehr als solches. Ich halte es für einen anzuerkennenden Versuch, mit der Wirklichkeit umzugehen, wenn Nachrichtenanbieter vermelden, dass sie etwas eben nicht vermelden können oder wollen. Mich stört das Timing. Jetzt, wo Fox News ökonomisch weniger darauf angewiesen ist, seinen amerikanischen Sonnenkönig zu bespaßen, jetzt, nachdem CNN voher gefühlt jedem seiner Tweets eigene Sondersendungen gewidmet hat, ja, jetzt sich mit Reporter-Geste ostentativ abzuwenden, wo er als Verlierer die kleinste Violine der Welt auf dem sinkenden Schiff spielt, ist so einfach wie spät.
Nachrichtenanbieter haben Trumps Spiel zu lange mitgespielt
Denn auch wenn diese Stummschaltung aus Sicht der Journalisten vielleicht etwas Gerechtes hat - nach vier Jahren, in denen Trump die freie Presse nahezu täglich zum Feind erklärt hat, muss man auch festhalten: Die Nachrichtenanbieter haben Trumps Spiel bis dahin mitgespielt.
Es ist es ihnen nicht gelungen, wirksame Gegenstrategien zu entwickeln - und damit waren und sind sie bis jetzt Teil des Problems.
Das demonstrative Deplattforming des ehemaligen Präsidenten kommt nun zu einem Zeitpunkt, an dem es vielleicht ausgerechnet jetzt kontraproduktiver ist, als es eine positive Wirkung hätte. Während einer theatralischen Inszenierung der Republikaner, die zumindest nach einem sich anbahnenden Staatsstreich aussehen soll, ist journalistisches Ohren-zuhalten und "Ich-kann-dich-nicht-mehr-hören-wir-haben-gewonnen-schallalalaaaaaaa" rufen nicht der souveränste Umgang.
Trump sozusagen zu canceln wäre vorher ein Akt demokratischer Selbstermächtigung gewesen. Jetzt ist es eine etwas zu dankbar angenommene Gelegenheit, zum Abschied nochmal Kante zu zeigen, ohne dabei etwas riskieren zu müssen. Das ist schlechtes Timing oder Opportunismus. Diese beiden Eigenschaften sollte man lieber dem abgewählten Reality-Star überlassen.