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US-Medien und Trump
"Sind wir schon so abgestumpft?"

Es ist nicht das erste Mal, dass Donald Trump ein sexueller Übergriff vorgeworfen wird. Doch obwohl die Anklägerin diesmal eine bekannte Journalistin ist, bleibt das Medienecho in den USA verhalten.

Von Brigitte Baetz |
US-Präsident Donald Trump bei der 72. Open Golf Meisterschaft der Frauen auf seinem Trump National Golf Course in Bedminster, New Jersey.
Im Zentrum neuer Vorwürfe: Donald Trump (AFP - Saul Loeb)
"It feels as if it´s getting treated with a shrugged shoulder…"
Chuck Todd, Moderator beim liberalen amerikanischen Nachrichtensender MSNBC, war nicht der Einzige, der sich in der US-amerikanischen Medienszene wunderte über die zurückhaltende Berichterstattung zum Fall E. Jean Carroll. Der amtierende Präsident könnte ein Vergewaltiger sein – und viele Redakteure zucken mit den Schultern.
Am Freitag letzter Woche hatte das New York Magazine einen Auszug aus dem Buch der bekannten amerikanischen Journalistin E. Jean Carroll vorab veröffentlicht. Einem Buch, das sich nicht vorrangig dem Thema Trump widmet, sondern in dem Carroll, die unter anderem jahrelang eine Ratgeberkolumne in der Frauenzeitschrift Elle schrieb, über ihre Begegnungen mit Männern berichtet. Allein der Ausschnitt, den das New York Magazine gedruckt hat, zeichnet das Frauenleben eines All-American-Girls: gut aussehend, sportlich, beliebt, das einerseits Karriere in der Medienszene macht, aber seit dem 12. Lebensjahr immer wieder sexuellen Übergriffen ausgesetzt ist. Übergriffe, die mit dem Wissen und dem kulturellen Bewusstsein des Jahres 2019 fassungslos machen – nicht nur angesichts der Dreistigkeit, mit denen sie begangen wurden, sondern auch, weil Frauen einst diese Übergriffe als quasi naturgegeben einfach hinnahmen.
E. Jean Carroll ist heute 75 Jahre alt. Die vermeintliche, in ihrem Buch beschriebene, sexuelle Attacke von Donald Trump vor 23 Jahren will sie heute nicht als Vergewaltigung bezeichnen.*
"I have difficulty with the word. It was a very brief episode of my life…"
Moderatorin: "You don´t want it to define you. Of course, who would, but I say legally, it was rape."
"Sie wollen nicht, dass sie durch diesen Vorfall definiert werden, das verstehe sie", sagt die Moderatorin von CNN, die drei Tage nach der Veröffentlichung durch das New York Magazine mit Caroll spricht, aber rechtlich betrachtet, sei das eine Vergewaltigung gewesen. Der Beschuldigte reagiert darauf wie immer: Er wisse nicht, wer diese Frau sei, und die Anschuldigung sei erfunden.
"I have no idea who this woman is. This is also a woman that has accused other men of things as you know. This is a totally false accusation."
Nicht der erste Fall
E. Jean Carroll ist die 22. Frau, die Donald Trump beschuldigt, sexuell übergriffig geworden zu sein, doch erst die zweite, in deren Fall man auf Basis der Anschuldigungen auch von Vergewaltigung sprechen kann. Umso verwunderlicher, dass die Geschichte mehrere Tage brauchte, um überhaupt im sogenannten News Cycle, also dem Nachrichtenstrom, anzukommen.
Nur die Washington Post nahm die Geschichte sofort auf die erste Seite. Keine der wichtigen Sonntagsnachrichtensendungen im Fernsehen berichtete, obwohl E. Jean Carroll eine bekannte Frau ist und Trumps Verhalten gegenüber Frauen schon seit einem geheimen Gesprächsmitschnitt bekannt ist:
"Grab them by the pussy."
Die New York Times hielt sich zurück
Sind wir angesichts von Trumps Abscheulichkeit schon so abgestumpft?, fragte die Washington Post denn auch vorgestern in einem Kommentar. Und New-York-Times Chefredakteur Dean Baquet gab nach Beschwerden von Lesern öffentlich zu, man habe die Geschichte nicht hoch genug gewichtet. Er begründete es auch damit, dass die Nachricht ja auch schon in der Welt gewesen sei.
Doch damit wollte ihn aber das renommierte Medienmagazin "Columbia Journalism Review" nicht davonkommen lassen. Die New York Times habe den Scoop eines anderen Mediums einfach nicht unterstützen wollen. Doch die Öffentlichkeit verliere, wenn das Ego von Redakteuren wichtiger sei als das Interesse der Leser. Und der White-House-Korrespondent der Associated Press, Jonathan Lemire, sagte, es sei für Journalisten und die Öffentlichkeit einfach schwer, beim Chaos im Weißen Haus, den vielen Skandalen, noch den Überblick zu behalten und sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren.
"Dieser Präsident macht ständig Schlagzeilen, in einer solchen Geschwindigkeit. Wenig bleibt an ihm hängen."
Trotzdem fand auch er es überraschend, dass die Vergewaltigungsvorwürfe nicht die Schlagzeilen beherrschen – so wie das bei #MeToo und dem Weinstein-Skandal beispielsweise der Fall gewesen war. Einmal mehr scheint Donald Trump den Vorwurf der sexuellen Belästigung einfach aussitzen zu können. Jon Allsop schreibt in der "Columbia Journalism Review": Dafür tragen wir, sprich: wir Journalisten, alle eine gewisse Verantwortung.
*Wegen einer missverständlichen Formulierung haben wir diesen Satz geändert.