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US-Musiker Andrew Bird
Klug, wandlungsfähig, unterhaltsam

Die Texte in seinen Geschichten unternehmen überraschende Wendung: Andrew Bird. Der klassisch ausgebildete Multiinstrumentalist mischt seinen Indie Folk seit 20 Jahren u.a. mit Jazz, Latin oder Country. Auf seinem neuen Album "Are you serious" klingt er teilweise ungewohnt rockig.

Von Christiane Rebmann |
    Der US-amerikanische Musiker Andrew Bird bei einem Konzert in der Danforth Music Hall in Toronto.
    Der US-amerikanische Multiinstrumentalist Andrew Bird. (imago/ZUMA Press)
    "Ich habe den Hang, über mich selbst zu lachen, wenn ein Song zu dunkel wird. Ich finde, es macht keinen Spaß, traurige Musik mit deprimierenden Texten anzuhören."
    Glücklich traurige Songs zu schreiben, das ist die Aufgabe, die sich der US Musiker Andrew Bird selbst gestellt hat.
    Musik - "The New Saint Jude"
    "Anders ist das mit der Melancholie. Das Wort Melancholie bezieht sich ja nicht unbedingt auf etwas Trauriges. Es bezeichnet eher etwas, das glücklich traurig ist. Die Mischung dieser beiden Elemente kann sehr ergiebig sein."
    Andrew Birds Texte sind vielschichtig, manchmal bissig, und seine Geschichten nehmen oft eine überraschende Wendung. Der klassisch ausgebildete Multiinstrumentalist schreibt seit 20 Jahren wunderbar raffinierte Melodien und mischt seinen Indie Folk mit Stilrichtungen wie Jazz, Latina-Musik und Country.
    Musik "Fake Palindromes"
    Andrew Bird kam in Chicago zur Welt. Mit vier Jahren fing er an, Geige zu lernen – das Instrument, dem er sich später in seinem Musikstudium widmete und dessen Klänge er inzwischen gern in Loops verpackt. Auf seinen Alben singt er nicht nur, er pfeift auch. Diesem Markenzeichen verdankte er den Auftrag, den Song "Whistling Caruso" für die Figur Walter in der "Muppet Show" zu schreiben und auch selbst zu pfeifen.
    Musik "Whistling Caruso"
    Bird hat das Pfeifen perfektioniert. Er lässt es mal wie ein Jodeln klingen, mal wie ein Vogelzwitschern, was unzählige Witze über die Verbindung zu seinem Namen hervorgerufen hat. Im Intro zum Song "Saints Preservus" klingt es ähnlich wie die Geige. Er sieht sogar Parallelen zwischen beidem. Wenn ich singe, fühlt sich das für mich ähnlich an, wie wenn ich Geige spiele, erklärt er. Bei beiden gibt es keinen Bund.
    Musik "Saints Preservus"
    Er beherrscht neben der Geige auch Mandoline und Glockenspiel. Als Einflüsse nennt Bird Bach, Mozart und Debussy ebenso wie US Jazz und US Folk. 1996 erschien sein erstes Soloalbum. Er arbeitete mit der Jazz Formation Kevin O'Donnells Quality Six zusammen und ab 1998 mit seiner eigenen Band Andrew Bird's Bowl of Fire, die von Swing, Folk und Jazz inspiriert war. Die Gruppe bekam zwar begeisterte Kritiken, löste sich aber wegen chronischer kommerzieller Erfolglosigkeit im Jahr 2003 auf. Ohne die Begleitmusiker im Rücken musste Bird seinen eigenen Stil entwickeln. Er nutzte dafür die Möglichkeiten, die ihm Geräte wie Loop Pedale oder Mehrspur-Rekorder boten.
    Offen für Pop und Rock
    Auf seinem neuen Album "Are you serious” hat er sich mehr dem Pop und Rock geöffnet, weil das sehr gut zum Inhalt der Lieder passt. Es geht hier ums Erwachsenwerden. Deshalb ist es seine bisher persönlichste Songsammlung. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass er vor fünf Jahren Vater wurde. Die Veränderungen, die sich dadurch in seinem Leben ergaben, fasst er im Banjo- und Gitarrenlastigen und streckenweise hypnotischen "Valleys of the young" zusammen. Er sieht es als eine Art Schlüssellied des neuen Werkes.
    "Wir gründeten eine Familie in New York City. In einer Stadt, die wohl wie keine andere voller Hingabe die perfekte Atmosphäre für Singles schafft. Es gibt da eine gewisse Feindseligkeit zwischen denen, die sich fortpflanzen und denen, die sich dagegen entschieden haben. So fängt der Song an. Aber dann geht es unter die Oberfläche. Und in der letzten Strophe geht es um das eigentliche Thema: Wenn du ein Kind hast, wirst du den Rest deines Lebens mit gebrochenem Herzen herumlaufen."
    Auf die Idee, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, kam der 43jährige, als sein Gitarrist die traurige Geschichte seines Bruders erzählte.
    "Seine betagten Eltern mussten sich um ihren Sohn kümmern, der versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Da ist also dieser 45-Jährige, dessen kranke, alte Eltern ihn im Krankenhaus besuchen müssen. Als wir darüber sprachen, sagte jemand: Wenn du Kinder hast, hast du andauernd ein gebrochenes Herz."
    Musik "Valleys of the Young"
    Ist Kinderkriegen also selbstsüchtig oder mutig? Eine Antwort auf die Frage, die er sich selbst im Song stellt, fällt ihm nicht leicht.
    "Wenn wir das erste Kind bekommen, sind wir doch alle unglaublich stolz. Und das kann ziemlich nervig für diejenigen um uns herum sein, die keine Kinder haben. Ich bin mir meiner Freude und meines Stolzes bewusst. Andererseits ist mir klar, dass in diesem Moment nur ich diese Gefühle habe. Ich würde also sagen, es ist mutig. Weil es nicht einfach ist."
    Seit der Geburt seines Sohnes hat er aufgehört, seine Gedanken nur um sich selbst kreisen zu lassen.
    "Seit er da ist, bin ich näher an meinen eigenen Gefühlen dran. Damit hatte ich früher immer Probleme. Ich bin auch ungeduldiger mit meinem eigenen Hang zur Nabelschau geworden. Ich neige immer noch dazu. Aber ich habe jetzt viel mehr den Drang, sehr direkt zu kommunizieren. Ich habe keine Zeit mehr, die Dinge in eine poetische Form zu bringen."
    Dazu kommt, dass er jetzt häufig Kinderlieder singt, sich also musikalisch auf einem für ihn ungewohnt einfachen Niveau bewegt. Das findet er reizvoll. Er hat in seinem Sohn mittlerweile einen sehr aufmerksamen Zuhörer. Allerdings erfüllt ihn das mit ambivalenten Gefühlen.
    "Er hört mir oft zu, während ich an meinen Songs arbeite. Das klingt jetzt vielleicht nicht sehr respektvoll, aber es ist ein bisschen so, als hätte ich einen Papagei neben mir. Ich sitze auf dem Sofa und summe neue Melodie-Ideen vor mich hin, und er singt sie im Laufe des Tages alle nach. Er ist wie eine Erweiterung meiner Person, aber außerhalb meiner Person. Ich höre diese Melodien wie durch den Filter eines anderen Gehirns."
    Auch der Sound seiner Musik hat sich verändert. Bird klingt nicht mehr so sanft und ätherisch folkig wie auf seinen früheren Alben. Statt sich auf Geige, Glockenspiel und Pfeifen zu konzentrieren, spielt er zugänglichere, griffigere Musik mit mehr Gewicht auf Gitarren, Banjo, groovigen Bässen und verfremdeten Geigentönen. Meist wird das Ganze vom Schlagzeug in Form gehalten.
    "Bei Songs wie "Capsized" musste ich mich sehr beherrschen, um nicht in eines meiner typischen wilden Geigensoli zu verfallen, sondern den Raum frei zu lassen für das Schlagzeug, das hier den Groove angibt. Der Song hat nur zwei Akkorde, und an der Melodie ist nichts Bemerkenswertes. Das Wichtigste sind der Bass und das Schlagzeug. Um sich damit zu begnügen, braucht man viel Geduld und Vertrauen."
    Musik "Capsized"
    Den Song "Capsized" hat Bird über die Jahre live in sehr unterschiedlichen Versionen gespielt. Hier manifestiert er sich in einer überraschend souligen Form, in der sich der Erzähler bewusst vor seinen Helden Bill Withers und The Meters verbeugt. "Ich wollte weniger intellektuell klingen", sagt Bird.
    "Capsized” bildet auch die erste Hälfte einer Art Klammer für das Album, das mit der erstaunlich romantischen Ballade "Bellevue” endet.
    "Ich beende ein Album gern mit etwas, das sich anfühlt, als würdest du aus dem hinteren Teil eines Zuges rauswinken. Du bist vielleicht durch wirklich harte Zeiten gegangen, aber es gibt immer noch Hoffnung am Ende des Tunnels. Das Album fängt mit ‚Capsized‘ an, einem ziemlich dunklen Song darüber, wie nach einer Trennung deine ganze soziale Struktur zusammenbricht. All deine Freunde sind weg. Dein ganzes Leben ist auf den Kopf gestellt. Du gehst durch deine Heimatstadt und hast das Gefühl, du trägst eine Zielscheibe auf deinem Rücken."
    Das Album endet mit "Bellevue", einem Song darüber, dass du den Menschen gefunden hast, mit dem du zusammenbleiben möchtest.
    Musik "Bellevue"
    Bird schrieb seine Texte diesmal nicht aus der distanzierten Perspektive eines Dritten. In vielen der Songs auf "Are you serious" geht es um eine Krise in seinem Privatleben. Seine Frau, die Tänzerin und Designerin Katherine Tsina, erkrankte an Schilddrüsenkrebs. Sie wurde operiert und bekam Bestrahlungen. In dieser Zeit musste Bird den damals einjährigen Sohn wegen der radioaktiven Gefahr von der Mutter fernhalten. Er verarbeitete diese Erfahrung auf ungewöhnlich humorvolle Art im Song "Puma".
    "In 'Puma' geht es um die Art, wie meine Frau mit der Krankheit umging - Mit Humor und Tapferkeit. Deshalb hat dieser Song so eine feierliche Stimmung. Aber die Sprache ist sehr klar. Da wird sehr deutlich gesagt, was geschieht."
    Der Refrain entstand, als seine Frau auf die Untersuchungsergebnisse wartete.
    "Diese Zeile stammt von ihr. 'Ich habe Angst davor, dass mir die Ärzte eröffnen, dass ich eine Frau bin und kein Puma'. Das ist die Basis des Songs. Sie sagte das zu mir, als die Ärzte noch alle möglichen Untersuchungen machten, um herauszufinden, was mit ihr nicht stimmte. Es war ihre Art, ihre Angst zu unterdrücken. Mit Humor. 'Ich habe Angst, dass sie mir sagen, dass ich menschlich bin und kein Katzenwese'‘.
    Musik "Puma"
    Die Krise ist überwunden. Birds Familie hat sich gefangen.
    "Inzwischen sind alle gesund, und das Leben ist viel einfacher als in Manhattan. Wir haben jetzt ein Haus mit Garten. Alles ist gut. Vor allem: Meine Frau ist wieder gesund."
    Nachdem die Familie in New York auf dem Höhepunkt der Krankheit seiner Frau aus der Wohnung geworfen worden war, fühlt er sich jetzt sehr wohl in Los Feliz, einem Stadtteil von L.A. Das Leben ist viel entspannter als in der kinderfeindlichen Ostküstenmetropole, hat er festgestellt. Hier kann er zu seinem eigenen Erstaunen auch gut Songs schreiben.
    "Jahrelang hatte ich gezögert, nach L.A. zu ziehen. Obwohl es mich immer schon gereizt hatte. Aber ich war misstrauisch, wenn Leute sagten, dass es sich dort sehr angenehm lebt. Ich komme ja aus Chicago. Die Menschen dort glauben, dass sie leiden müssen, um gute Kunst machen zu können. Aber jetzt kann ich überall gut arbeiten. Die Landschaft beeinflusst selbstverständlich die Art, wie ich Melodien höre. Aber was das Schreiben betrifft – das kann ich überall tun."
    Eine Reihe seiner Songs hat er auf Reisen geschrieben, zum Beispiel auf Flughäfen.
    "Viele Melodien entstehen, während ich darauf warte, dass das Flugzeug starten kann. Ich pfeife dann in meinen Rekorder. Dieses Gefühl, dass man weder hier noch dort ist, ist sehr gut fürs Schreiben. Du steckst in diesem Zwischenzustand fest und musst irgendwie die Zeit rumkriegen. Du musst dich selbst unterhalten."
    In einer wesentlich ruhigeren Umgebung entstanden die Texte zu seinem aktuellen Werk. Einen Großteil schrieb er auf der Veranda einer Farm in Illinois. Dort hatte er schon als Kind oft die Ferien verbracht und später auch kurze Zeit gelebt. Und diesmal diente ihm die Farm als Interimszufluchtsort nach einer problematischen Phase.
    "Nachdem wir nach einer wirklich schwierigen Zeit in New York unsere Zelte dort abgebrochen hatten, machten wir uns auf den Weg nach Kalifornien und legten einen längeren Zwischenstopp auf der Farm ein. Und ich fing sofort an, Songs zu schreiben. Es gab dort keine Ablenkung. Es war, als würde ich von Gefühlen überflutet. So schrieb ich in fünf Tagen zwei Drittel der Songs. Diese Geschwindigkeit ist ungewöhnlich für mich."
    Musik "Roma Fade"
    "Ich denke, wenn ich ständig da draußen leben würde, wäre das musikalisch und atmosphärisch anregend. Andererseits weiß ich nicht, ob ich bei einem so isolierten Leben auf Dauer gute Ideen entwickeln könnte. Es war, als würden wir in unserem Leben eine kurze Zeit innehalten und durchatmen. Das war möglich, weil wir uns an dem Ort sicher fühlten. So konnten wir verarbeiten, was geschehen war. Und so kam alles raus. Ich weiß, das klingt ein wenig nach Klischee. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ein Künstler bin, der so etwas tut. Diese Attitüde ‚Ich habe in zwei Wochen auf dem Dachboden einen Roman geschrieben‘ – passt eigentlich nicht zu mir. Aber ich schrieb wie im Fieberwahn.
    Zu den Songs, die er in dieser Phase komponierte, gehört das beschwingte "Roma Fade” in dem er zum tanzbaren Viervierteltakt über die Zeit singt, als er noch um seine Frau warb. Die beiden liefen sich immer wieder bei Partys über den Weg, und Bird bewunderte sie anfangs nur aus der Distanz. Es ist das erste Mal seit 13 Alben, dass Andrew Bird mit einem Produzenten gearbeitet hat. Tony Berg hatte ihm schon bei früheren Alben als Musiker geholfen. "Ich habe immer ein gesundes Misstrauen gehabt, was Einmischung von außen betrifft", sagt Bird. "Aber jetzt wollte ich, dass Tony bei den Aufnahmen die Aufgabe übernahm, die Lektoren bei Büchern übernehmen."
    "Tony hat sehr viel Erfahrung. Und er gab mir sehr konkrete Ratschläge. Ich wollte mir nichts durchgehen lassen. Wenn ich zu träge war, einen Text richtig auszuarbeiten oder einen Song optimal zusammenzusetzen, trieb er mich an. Ich wollte, dass alles in Frage gestellt wird."
    Prominente Kollegen
    Und er hatte das Glück, dass er auch die Gelegenheit bekam, sich von prominenten Kollegen beraten zu lassen.
    "Ich hatte interessante Unterhaltungen mit den Legenden des Songwriting, Randy Newman und Paul Simon. Wir sprachen darüber, was das eigentlich ist, was wir da machen."
    Bird ist nicht der Typ, der Bob Dylan unterwürfig verehrt oder vor Ehrfurcht erstarrt, wenn er Randy Newman begegnet. Seiner Meinung nach gibt es immer noch genügend Raum für gute Arbeit. Das sieht offensichtlich auch sein Vorbild Randy Newman so.
    "Randy guckte ein paarmal im Studio vorbei, als ich dort an meinem letzten Album arbeitete. Er ist so witzig. Er hat diese Art, sich selbst aus einer gewissen Distanz wahrzunehmen. Das braucht man wohl, wenn man bis an sein Ende gute Arbeit leisten will. Er ist ja jetzt Ende 70. Er hörte sich ein paar meiner Lieder an und gab seine Kommentare ab. Er kritisierte nicht. Seine Bemerkungen waren sehr freundlich und positiv. Sehr intuitiv. Er schreibt ja jetzt vor allem Filmmusik. Und er sagte zu mir: ‚Mann, ich weiß auch nicht. Ich hör mir mein altes Zeug an und denke: Wie zur Hölle habe ich das hingekriegt? ‘ Er teilte also mit mir diesen Moment des Selbstzweifels, der ihn immer noch überkommt – obwohl er schon so alt ist. Er machte dann eine lange, bedeutungsschwangere Pause, und dann sagte er: 'Und plötzlich bist du tot! ‘"
    Es war das erste Mal, dass er sich um Feedback bemühte, sagt Andrew Bird. Inzwischen plant er ein entsprechendes Projekt.
    "Unsere Gespräche weckten in mir den Wunsch, eine Art Songwriterkreis zu gründen, mit Randy, Amy Mann und John Prine." Ich dachte, wir könnten doch wunderbar gegenseitig unsere Werke rezensieren."
    Musik "Truth lies low"
    Dass Bird im minimalistisch angelegten "Truth lies low" ungewöhnlich hoch singt, lässt den Refrain wie einen souligen Gefühlsausbruch wirken. Das passt gut zum Text, denn mit diesem Lied tritt er den ungeliebten doppelzüngigen Kritikern auf die Füße.
    Legendäres Studio
    Für die Aufnahmen zogen sich Bird und seine Musiker für ein paar Tage in das legendäre Sound City Studio in Los Angeles zurück, in dem schon Nirvanas "Nevermind" und Neil Youngs "After the Gold Rush" entstanden waren. Bird hatte den Gitarristen Blake Mills, den Bassisten Alan Hampton sowie dem Schlagzeuger Ted Poor dabei.
    "Die wichtigste Person unter den Begleitmusikern ist der Drummer. Er beeinflusst am stärksten, wie ich singe und phrasiere. Ich habe noch nie mit einem so guten Drummer wie Ted gearbeitet. Und dann Blake Mills, der inzwischen ein gesuchter Produzent ist, aber eben auch ein großartiger Gitarrist. Er hat eine Menge dieser mutigen, interessanten Sounds beigesteuert. Die Sessions im Sound City Studio waren sehr intensiv. Ich habe mit Musikern gespielt, die die Messlatte sehr hoch legten. Es gab einen gesunden Konkurrenzkampf. Wir sind nicht gegeneinander angetreten. Wir haben ja alle für die eine Sache gearbeitet. Aber normalerweise bin ich der beste Musiker im Studio. Und diesmal habe ich mit Leuten gearbeitet, die so gut wie ich oder besser waren."
    Analog mag er lieber
    Er hört nicht nur gern Vinylschallplatten. Er zieht auch die analoge der digitalen Aufnahmetechnik vor.
    "Ich kann den Unterschied eindeutig hören. Vielleicht ist es ja so etwas wie ein Placebo Effekt. Aber ich glaube das nicht. Außerdem – es hilft immer, wenn man an etwas glaubt, wenn man eine Platte macht. Wenn man die Musik analog aufnimmt, kommt einem der Prozess irgendwie heiliger vor. Das hat also sicher auch eine psychologische Komponente. Aber bei den Stimmen und den Drums höre ich ganz klar einen Unterschied."
    Eine Vorliebe, die ihren Preis hat. Vor allem, wenn man sie so konsequent verfolgt, wie es Bird bei diesem Projekt tat.
    "Wir nahmen live auf 16-Spurband auf. Da kann man ja nachträglich nichts verändern. Du musst also einfach gut spielen. Die Arrangements müssen stehen, wenn du anfängst. Und dann musst du sie so gut wie möglich umsetzen. Weil du ja keine Fehler korrigieren kannst. Selbst die wirklich guten, bekannten Musiker setzen sich dem heutzutage nur noch selten aus. Es waren also zehn sehr intensive Tage."
    Die Musiker stießen an ihre Grenzen, als sie für den Song "Left handed Kisses” ein Duett mit Fiona Apple aufnahmen.
    Digital für einen Song
    "Wir sangen beide zu dem, was wir schon aufgenommen hatten. Und dann stellten wir fest, dass wir für unseren gemeinsamen Gesang ja nur eine Spur hatten. Sie sagte etwas, das man nicht so gut im Radio sagen kann. Aber okay, wir sind hier ja im deutschen Radio. Sie sagte: 'Was ist denn das hier für eine beschissene Art, ein Album aufzunehmen?' Und dann sind wir auf Digitaltechnik umgeschwenkt. Aber nur dafür. Der Rest ist analog."
    In "Left handed Kisses" klingen Andrew und die ungewohnt kratzstimmige Fiona ein wenig wie eine moderne Version von Johnny Cash und June Carter. Die beiden Künstler spielen in diesem ironischen Stück ungleiche Liebespartner, die sich trotz großer Unterschiede zueinander hingezogen fühlen. Der Song hat verschiedene Ebenen. Ausgangspunkt war, dass sich Bird die Aufgabe stellte, ein einfaches Liebeslied zu schreiben, obwohl er wusste, dass er darin nicht besonders gut ist.
    "Ich sagte: 'Ich werde das Wort Baby in den Refrain einbauen, um es für mich noch schwieriger zu machen. Damit ich auch mit diesem einfachen Liebeslied leben kann.‘ Ich schrieb aus der Warte eines Menschen, der sehr skeptisch ist, was Schicksal und all diese romantischen Bezüge betrifft, von denen die Menschen denken, dass du an sie glauben musst, um romantisch sein zu können. Deshalb singe ich: 'Wie willst du mir erklären, dass du mich in der Menge gefunden hast und wir für einander bestimmt sind, wo ich doch nicht daran glaube, dass wir durch die Sterne gelenkt werden?‘ Doch dann fand ich, dass dieser Standpunkt nicht passend ist für ein Liebeslied. Schließlich spielen ja auch alle möglichen Arten von Gefühlen mit. Und da kommt Fionas Stimme rein. Ich mokiere mich hier über meine übliche Leidenschaft, alles zu intellektualisieren."
    Musik "Left handed kisses"
    Vor den Aufnahmen zu "Left handed Kisses” tranken sich Andrew Bird und Fiona Apple mit reichlich Whiskey Mut an.
    "Ich habe ja viele Songs, in denen ich mich mit mir selbst unterhalte, in denen sich alles um meine eigenen Neurosen, meine Selbstzweifel dreht. Aber normalerweise verwende ich da kein er oder sie, keine Pronomen, es sind einfach Stimmen. Wenn man diese Dialoge nach außen kehrt, muss man festlegen, wer was sagt. Fiona brachte so etwas Romantisches mit hinein. So eine grenzenlose Leidenschaft. Aber wir spielen hier natürlich auch Rollen. Ich musste darauf achten, nicht zu leidenschaftlich zu singen. Denn darauf kam es ja an. Ich sollte ein wenig zu kontrolliert klingen. Es hat geklappt. Als ich vor vier Jahren anfing, den Song zu schreiben, hätte ich nicht gedacht, dass daraus mal ein Duett mit Fiona Apple entstehen würde. Dass hier offensichtlich das Schicksal seine Hand im Spiel hatte, ist ja an sich schon witzig."
    Bird verarbeitet gern ernsthafte Themen auf humorvolle Art. Oft wirkt es, als würde er aus der Metaebene auf sich und seine Mitmenschen herabsehen und ihr Verhalten mit einer analytischen, aber wohlwollenden Haltung kommentieren. Eine Fähigkeit, die er schon sehr früh entwickelte.
    Er orientiert sich beim Songschreiben immer noch an dem, was er als Jugendlicher lernte, in einem Kurs über Deutsche Lieder.
    "Nehmen Sie Schumann, der Texte von Heine und Goethe in Kunstlieder umsetzt. Damals dachte ich: ‚Die Jungs haben ja überhaupt keinen Humor.‘ Das fand ich schon wieder witzig. Mit 19 fing ich an, die Originalwerke selbst musikalisch umzusetzen. Und ich stellte fest, dass sie plötzlich in eine ganz andere Richtung gingen. Ich fing mit dunkler Musik an, und in der Mitte knipste ich sozusagen das Licht an. Das schien die Bedeutung der Texte komplett zu verändern. Ich habe ziemlich lange damit herumexperimentiert."
    Musik "Are you serious"
    Andrew Bird hat sich von jeher gern mit dem menschlichen Verhalten und dem, was es auslöst, beschäftigt. Im Song "Chemical Switches" analysiert er zu akustischen Gitarrenklängen die Dynamik von Gewaltausbrüchen an Hand einer Erfahrung aus der Zeit, als er in einem ähnlichen Alter war wie jetzt sein Sohn.
    "Ich war sechs. Mein Freund und ich spielten im Wald mit Steinschleudern. Wir stießen dabei auf das Zelt unseres Nachbarn, das in seinem Garten stand. Wir bewarfen es mit kleinen Kieseln. Wir hatten uns vorher vergewissert, dass niemand drin war. Aber dann war es plötzlich, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Wir fingen an, immer größere Steine auf das Zelt zu werfen. Am Ende hievten wir sogar große Ziegel hoch und schmetterten sie auf das Zelt. Wir zerstörten es komplett. Es war wie eine Massenhysterie. Wir wurden erwischt, und ich erinnere mich, dass ich mich sehr geschämt habe. Ich bin heute äußerst misstrauisch, wenn sich Menschen zusammenrotten, egal ob zum Singen, Chanten oder für Sportveranstaltungen. Ich versuche, Massenansammlungen zu vermeiden. Ich stelle hier die Frage: Was ist passiert? Ich hatte meinen Kopf verloren. Gut, ich war erst sechs. Aber trotzdem."
    Wer oder welche Kraft sorgt dafür, dass das Ruder umgelegt wird und aus einem harmlosen Spiel
    Zerstörung wird? Die musikalische Auseinandersetzung mit dieser derzeit höchst aktuellen Frage lässt Andrew Bird mit einem harmlosen Pfeifen anfangen.
    Musik "Chemical Switches"