Bernd Lechler: Ihr Album behandelt Ihre Zeit als etwa 18-Jähriger. Es sind alte Songs, die jetzt gesammelt veröffentlicht wurden. Warum jetzt?
Nahko: Ich betrachte meine Alben wie ein Buch. Das heißt, die drei mit Nahko & Medicine For The People sind drei Kapitel. Das Soloalbum nun ist wie eine Fußnote. Oder der Prolog zum vierten Kapitel.
Lechler: Die Musik ist weitgehend akustisch, bedient sich bei keinem angesagten Trend - so etwas scheint Sie nicht zu interessieren.
Nahko: Da stimme ich nicht zu, ich finde, die Musik hat sehr wohl gegenwärtige Bezüge, zum Beispiel mischt ein Viertel der Songs akustische Instrumente mit Beats. Das hat Spaß gemacht, diese Songs für Experimente zu nutzen. Afrikanische Rhythmen auszuprobieren, einen Walzer, verschiedene World Beats - damit es interessanter wird.
Lechler: Was ich meinte, war vielleicht, dass die Musik nicht urban klingt. In den Texten geht es viel um die Natur, um Spiritualität - würden Sie sagen: Auch wenn Sie vor allem über sich selbst singen, haben die Songs eine übergeordnete Botschaft?
Nahko: Auf jeden Fall. Für mich ist das zentrale Thema: Der junge Draufgänger verlässt sein Zuhause. Die Welt liegt dir zu Füßen, was machst du nun damit? Man erlebt die erste Liebe und muss damit umgehen. Und den ersten Verlust! Für mich war es der Verlust meines Zuhauses - ich wusste nicht, wo das war. Oder die Liebe zum Reisen. The road ... Im Song "Susanna" muss der Held sich zwischen der Frau und dem Weiterziehen entscheiden. Ich wähle in dem Lied die Straße.
Lechler: Es gibt noch diese eingestreuten Zwischenspiele, die klingen, als sprächen Sie in ein Diktiergerät oder Ihr Handy.
Nahko: Smartphones gab es damals noch nicht, das waren noch Klapphandys. Ich hatte einen alten Kassettenrekorder, und ich klopfe mir selbst auf die Schulter, dass ich den mitnahm und täglich darauf sprach - teils lächerliches Zeug! Ich fuhr kreuz und quer durch Nordkalifornien und Oregon und freestylte jeden Tag, was ich so alles getan hatte.
Lechler: Ein Eintrag heißt "Too Much Kerouac". Worum geht es?
Nahko: Damals lasen wir viel Kerouac. Und hörten Bright Eyes, Broken Social Scene, Feist, The Doors, Paul Simon ... Es geht einfach um das Gefühl "on the road". Später wurde mir klar, wie pessimistisch Kerouac eigentlich war. Aber die Freiheit in seinem Schreiben inspirierte mich sehr.
Lechler: Und Sie selbst, waren Sie als Musiker unterwegs, oder einfach auf Reisen?
Nahko: In dieser speziellen Zeit verbrachte ich zwei Sommer in Alaska, und über den Winter fuhr ich nach Louisiana. Den zweiten Weg nach Alaska machte ich von Portland aus mit meinem Van, aber dann hatte ich irgendwo in Kanada eine Motorpanne und musste die letzten tausend Meilen trampen. Und das letzte Jahr, um das es hier geht, lebte ich auf Hawaii, arbeitete bei Bauern und lernte etwas über Landwirtschaft. Ich wurde Landarbeiter, wenn man so will. Als Mann muss man ja schon einen Nagel einschlagen können.
Lechler: Wäre Musikmachen allein zu... leichtfertig?
Nahko: Nein. Weil ich schon als Jugendlicher entschieden habe, dass ich auch schwitzen will. Bis heute liebe ich die Arbeit mit der Erde. Ich besitze Pferde, ich arbeite auf Pferdefarmen und bin überhaupt ständig draußen.
Lechler: Wo ist denn gegenwärtig Ihr Zuhause?
Nahko: Es sind drei Orte. Ich habe eine Wohnung in L.A., am Strand - ich brauche das Meer, ich bin Surfer. Bald ziehe ich aber um, nach Oregon, wo ich geboren wurde, zurück in die Wälder und an den Fluss. Und ich habe noch ein Haus in Hawaii, wo wir auch regelmäßig sind.
Lechler: Nach Hawaii, las ich, seien Sie auch gegangen, um einen Vulkan zu retten.
Nahko: Tolle Geschichte. Sie stimmt nicht ganz, aber die Version gefällt mir! "Da war ich nun, und rettete den Vulkan." Nein, ich hatte eben vor drei, vier Jahren ein Haus auf der Hauptinsel und protestierte also ganz normal als Bewohner dagegen, dass ein heiliger Berg bebaut wurde. Da sollte ein 18-stöckiges Teleskop drauf, auf einen religiösen Ort, der den Hawaiianern sehr wichtig ist. Das konnte verhindert werden.
Wir haben auf Englisch mit Nahko gesprochen - Hören Sie hier die Originalfassung des Corso-Gesprächs.
Lechler: Würden Sie also sagen, Sie sind nicht nur Musiker - und Handwerker und Landarbeiter -, sondern auch Aktivist?
Nahko: Ganz bestimmt. Was ich als Musiker mache, ist für mich eigentlich auch ein Engagement. Es ist Energiearbeit - wie Massagetherapie oder Reiki oder Akupunktur. Oder Radio! Die Stimme, die durch den Äther geht, erzeugt ja auch eine Reaktion bei den Hörern. Und wenn man auf der Bühne steht, dann kann das die Zuschauer auch verwandeln. Sie erleben etwas, sei es nur eine gute Zeit, oder sie machen sich tiefgründige Gedanken und gehen vielleicht verändert aus dem Konzert.
Aber ich bin auch im engeren Sinne Aktivist. Ich arbeite für verschiedenen Organisationen in den USA. Da geht es um saubere Energie in Reservaten, um Sommercamps für benachteiligte junge Natives, oder um die Austrocknung der Flüsse in Nordkalifornien und Oregon. Das ist mein Territorium.
Lechler: Was alles mit Ihrer Herkunft zu tun haben wird. Ihre Großeltern waren Filipinos, richtig?
Nahko: Väterlicherseits, ja. Und meine Mutter hat indianische Wurzeln in Puerto Rico.
Lechler: Was bedeuten diese multikulturellen Wurzeln für Sie - und vielleicht auch Ihre Musik?
Nahko: Früher haben sie mir alles bedeutet. Ich sehe meine Aufgabe darin, zwischen jungen Leuten von solch gemischter Herkunft Brücken zu bauen. Eine Heimat zu beschreiben. Einen Platz in der Welt. Deswegen muss meine Musik junge Leute ansprechen, sie soll ihnen sagen: Es ist alles gut. Hier ist ein Weg.
Lechler: Beziehen sich auch Ihre Tattoos darauf?
Nahko: Unbedingt. Ich gehöre zu einem Tattoo-Kollektiv, das sich für die traditionellen Tattoos aus Puerto Rico engagiert. Meine eigenen sind aber teils philippinisch, teils Taíno - so hießen die puertoricanischen Ureinwohner -, teils indianisch. Aber wenn man sich genauer damit befasst, entdeckt man viele kulturübergreifende Symbole, ob in Europa, Amerika oder bei den australischen Aborigines. Unsere Leute waren alle Seefahrer und tauschten Zeichen und Gaben.
Lechler: Ist das Klavier Ihr Hauptinstrument? Etwas unhandlich für einen Traveller ...
Nahko: Unterwegs greift man natürlich eher zur Gitarre. Aber: Ja, ich komme vom Klavier. Ich fing mit sechs an, nahm zehn Jahre klassischen Unterricht und habe auch als musikalischer Leiter bei Musicals gearbeitet. Auch in Alaska, da war es Ragtime, die Klaviermusik der 20er bis 40er Jahre.
Lechler: Für das neue Album nun haben Sie den Namen gekürzt, die Band ist weg, "Dragonfly" war ein kleiner Hit - es wirkt, als wollten Sie an ein größeres Publikum ran.
Nahko: Das würde ich nicht sagen. Ich mache im Grunde nach wie vor einfach mein Ding, und was hängen bleibt, bleibt hängen. Das hier ist meine erste Pressereise. Macht großen Spaß, einfach reden und erzählen. Ich glaube, dass oft umso mehr zu einem kommt, je weniger man anschiebt. So hat sich das über die Jahre alles ganz natürlich entfaltet. Ich habe ein tolles Team um mich versammelt, trotzdem hat mich der große Mainstream-Erfolg nie interessiert. Aber ich war mir immer sicher, dass ich Leute erreichen werde. Und die Band ist ja nicht weg, die spielen auf dem Album und kommen auch mit auf Tour. Ein Soloalbum zu machen, bedeutete weniger Druck - es musste nicht das große vierte Medicine-For-The-People-Album werden - und mehr Raum für Experimente. Dass der "Dragonfly"-Song so gute Reaktionen bekam, ist natürlich toll, und die Leute werden auch das Album mögen. Es ist ja sehr zugänglich, auch wenn man die Band nicht kennt. Kann man einfach mal auflegen.
Lechler: Letzte Frage - als Amerikaner verkörpern Sie ja so ziemlich das exakte Gegenteil von Donald Trump und dessen Weltsicht. Sie reisen in Ihrer ganz eigenen Welt - wie sehr beeinflusst er trotzdem Ihr Leben?
Nahko: Ich stamme von Immigranten ab, da spielt das natürlich eine Rolle. Für viele in meiner Familie und auch für viele meiner Freunde haben seine Entscheidungen ganz direkte Konsequenzen. Wie er Einwanderer behandelt. Wie unverhohlen bigott und rassistisch er ist. Wir haben jetzt ein Regime in Amerika, das sich immer mehr dem anpasst, was aus den Hochburgen der Rechten kommt, das ist heftig. Und beängstigend.
Aber ehrlich gesagt, was mich viel mehr beunruhigt als die Tatsache, dass die Staatenlenker auf der Welt so sind, wie sie sind, ist der Planet. Die Erde reagiert. Ich sage immer: Sie rülpst. Und hoffentlich kotzt sie nicht irgendwann, das wäre nämlich für viele von uns tödlich. Aber wenn wir an das Wetter der letzten Monate in meinem Land und auch in Mexiko denken - Jahr für Jahr haben wir neue Temperaturrekorde. Es besteht kein Zweifel, dass der Planet sich erwärmt. Wir erleben Erdbeben, Hurrikans, Brände ... Wobei am Ende unsere Aufgabe gar nicht ist, die Erde zu retten. Die wird immer da sein. Wir müssen uns wieder auf uns selbst konzentrieren. Und gut zueinander sein.