Adalbert Siniawski: Shara Nova, in Ihrem Song "You Wanna See My Teeth" beziehen Sie sich auf den Tod des schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin, der 2012 vom Nachbarschaftswachmann George Zimmermann getötet wurde. Dieser Fall hat in den USA eine Diskussion über Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. In Ihrem Song klingt das Schlagzeug wie Gewehrschüsse, man hört Polizeisirenen und Atemlosigkeit. Warum wollten Sie aus diesem Fall einen Song machen?
Shara Nova: Weil er auf vielfältige Weise zu vielen Menschen Bezüge aufweist. Ich habe einen achtjährigen Sohn - also denke ich darüber als Mutter nach. Dann dachte ich auch an mich als Teenager und wie unterschiedlich unsere Erfahrungen waren: Trayvon wollte in einem Laden Süßigkeiten zu kaufen. Als ich Teenager war, haben uns meine Eltern das verboten. Also fuhr ich heimlich mit dem Rad zum Geschäft um die Ecke, um Süßes zu holen - und dann schnell zurück nach Hause, bevor meine Eltern es bemerkten.
Ich wollte als eine Art "ältere Schwester", die am Leben geblieben ist, den Schmerz ausdrücken und die Unterschiede zwischen uns aufzeigen: Warum musste er sterben und ich nicht? Es ging mir darum, zu vergleichen, was es bedeutet, schwarz oder hellhäutig mit europäischen Wurzeln zu sein. Es gibt eine riesige Kluft zwischen diesen Lebenswelten. Außerdem wollte ich die Geschichte quasi neu schreiben: Ich wollte, das er am Leben bleibt. Ich wollte festhalten, dass er selbst in seinem Tod mehr war, als das, was man über ihn erzählte. Nichts kann den menschlichen Geist einschränken. Und ich will ihn befreit sehen. Aber der Song ist auch sehr vom Schmerz erfüllt.
Ich wollte als eine Art "ältere Schwester", die am Leben geblieben ist, den Schmerz ausdrücken und die Unterschiede zwischen uns aufzeigen: Warum musste er sterben und ich nicht? Es ging mir darum, zu vergleichen, was es bedeutet, schwarz oder hellhäutig mit europäischen Wurzeln zu sein. Es gibt eine riesige Kluft zwischen diesen Lebenswelten. Außerdem wollte ich die Geschichte quasi neu schreiben: Ich wollte, das er am Leben bleibt. Ich wollte festhalten, dass er selbst in seinem Tod mehr war, als das, was man über ihn erzählte. Nichts kann den menschlichen Geist einschränken. Und ich will ihn befreit sehen. Aber der Song ist auch sehr vom Schmerz erfüllt.
"Eine große kulturelle Leere"
Siniawski: Es ist sechs Jahre her, dass Martin erschossen wurde. Da war Obama US-Präsident. Nun ist Trump im Weißen Haus. Hat sich in der Diskussion um Diskriminierung von Schwarzen und Polizeigewalt etwas verändert?
Nova: Ich denke, die Weißen spüren einen Verlust von Identität - und aus der privilegierten Perspektive ist es sehr merkwürdig, das zu sagen. Es gibt eine unendliche Liste von Dingen, die Weiße von der schwarzen Kultur übernommen haben, ob es der Tanz ist, Musik, Mode, Essen. Es gibt vielfältige Formen der Aneignung.
Ich bin von New York nach Detroit gezogen, und der Umzug kurbelt die Gentrifizierung an. Ich verändere den Bürgersteig allein durch die Tatsache, dass ich auf ihm laufe - und ich ebne anderen weißen Menschen den Weg, die denken: "Oh, Detroit ist jetzt cool." Nun, die Stadt war immer schon cool.
Als weiße Amerikanerin muss ich sagen, dass es eine große kulturelle Leere gibt. Was mache ich denn jetzt: shoppen? Ist das etwas, was uns kulturell vereint?
Was wir im Fall von Trump erleben, sind Weiße, die Angst haben, ihre Identität zu verlieren. Und sie haben diese kapitalistische Überlebensangst. Dann musste ich erkennen, dass auch ich Teil dieses Konzepts bin - als Musikerin, als Mensch.
Was wir im Fall von Trump erleben, sind Weiße, die Angst haben, ihre Identität zu verlieren. Und sie haben diese kapitalistische Überlebensangst. Dann musste ich erkennen, dass auch ich Teil dieses Konzepts bin - als Musikerin, als Mensch.
"Ich sollte besser diesen Job annehmen! Ich sollte mich schwer anstrengen! Denn ich weiß nicht, wie ich sonst als Künstlerin überleben sollte." Dies bestärkt den Kapitalismus und die Aneignung. Während der Regierung Obama war es einfach, stolz zu sein. "Jaaa, super! Ich stehe voll hinter diesem Präsidenten!" Und jetzt einen Präsidenten zu haben, der uns damit konfrontiert, was Rassismus ist - und dass der Rassismus in dir selbst steckt - das ist hart. Aber es ist notwendig.
Siniawski: Sie leben in Detroit, einer einst aufstrebenden Stadt, die sich nach dem Niedergang der Autoindustrie im Abschwung befindet. Wie gehen die Menschen in Detroit mit den Spannungen in der US-amerikanischen Gesellschaft um?
Nova: In den vergangenen vier Jahren sind viele Unternehmen entstanden, es wird viel investiert. Die Innenstadt sieht überhaupt nicht mehr so aus, wie damals, als ich nach Detroit gezogen bin. Die Weißen sind gekommen, und es werden große Geschäfte gemacht. Doch welche Folgen hatte das für die Menschen in der Nachbarschaft, die ihr ganzes Leben dort sind? Man sieht, dass der so genannte Durchsickerungseffekt nicht funktioniert - und ich bin direkte Zeugin. Die Alteingesessenen haben mitnichten neue Jobs bekommen. Im Vergleich zu den zugezogenen Weißen werden von den alteingesessenen Detroitern kaum neue Unternehmen gegründet. Da gibt es eine große Ungleichheit in den Erfahrungen.
Siniawski: Lassen Sie uns über andere Songs sprechen. "Champagne" hat mich ein bisschen an die #MeToo-Bewegung erinnert. Da heißt es: "Niemand kann es aufhalten, was jetzt hochkommt", "Ich werde nicht weinen" und so weiter. In "Supernova" singen Sie - in Zeiten, in denen Ausländer abgewiesen werden - "ich liebe Dich, auch wenn du mir fremd bist". Ich dachte: Ist "A Million And One" Ihr erstes Album mit politischen Bezügen, vielleicht unterbewusst?
Nova: Es geht sicherlich um Beziehungen zwischen Menschen und gleichzeitig darum, wie wir uns selbst in der Gesellschaft sehen. Wie werden wir gemeinsam die Klimaerwärmung meistern, die Veränderungen, die es geben wird, wenn Menschen flüchten müssen, wenn Menschen an einen anderen Ort ziehen müssen, um buchstäblich zu überleben?
Ich musste das auf einer persönlichen Ebene auch durchlaufen. Ich war mein ganzes Erwachsenenleben lang verheiratet, erlebte eine große Krise und musste gehen. Also geht es mir um beides: Um mich und meine persönliche Unabhängigkeit, meinen Weg, mich auszudrücken und mit meinen eigenen Worten das zu sagen, was ich zu sagen habe. Aber auch darauf zu schauen, wie ich als ein sich artikulierendes Individuum in die große Menschheit hineinpasse. Darum geht es im Titel "A Million And One".
Ich musste das auf einer persönlichen Ebene auch durchlaufen. Ich war mein ganzes Erwachsenenleben lang verheiratet, erlebte eine große Krise und musste gehen. Also geht es mir um beides: Um mich und meine persönliche Unabhängigkeit, meinen Weg, mich auszudrücken und mit meinen eigenen Worten das zu sagen, was ich zu sagen habe. Aber auch darauf zu schauen, wie ich als ein sich artikulierendes Individuum in die große Menschheit hineinpasse. Darum geht es im Titel "A Million And One".
"Mit dem Alter setzt eine Art Entspannung ein"
Siniawski: Lassen Sie uns über den Sound sprechen, der hat sich auch ein wenig verändert. Im Hintergrund hört man funkige Gitarren und schwere, industrielle Synthesizer. Einige Songs sind wie gemacht zum Tanzen. Wie kam es dazu?
Nova: Wegen dieser persönlichen Transformation, die ich durchlebt habe, deswegen wollte ich den Sound auf diesem Album reduzieren. "Lass uns zum Kern, zu dem Grundlagen zurückkehren - also: die Stimme und das Schlagzeug!" Meinen Schlagzeuger Earl Harvin kenne ich wirklich schon viele, viele Jahre, und im Zentrum meiner Popmusik geht es um meine Beziehung zu seinem Schlagzeugspiel. Also haben wir ersteinmal darüber gesprochen:
"Okay, wie wär’s, wenn wir uns auf die Drums und Vocals fokussieren?" Und dann wurden einige Keyboards hinzugefügt - aber sehr sparsam eingesetzt im Vergleich zum Rest meiner früheren Arbeiten. Ich habe für Orchester geschrieben, für Marschkapellen, für alle Arten von Chor- und Kammerensembles - ich habe richtig viel Zeug gemacht! Aber Am Ende des Tages hatte ich das Gefühl, an einem Punkt in meiner Karriere gekommen zu sein, an dem ich mir selbst nicht mehr beweisen muss, was ich kann. Natürlich will ich Neues entdecken und mich weiterentwickeln. Aber ich bin nicht mehr so darauf erpicht, zu beweisen, dass ich klug bin und Grenzen ausloten kann. Mit dem Alter setzt eine Art Entspannung ein, und darüber bin ich sehr glücklich.
Siniawski: Entspannung - aber man hört doch elektronische Töne und tanzbare Beats.
Nova: Die Vorgängerplatte hieß "This Is My Hand" - es ging mir darum, den Körper zu umfassen. Und ich dachte, wenn ich den Körper umfasse, sollte ich besser auch lernen, wie man sich bewegt. Und Tanzmusik war ein wichtiger Teil dieses Prozesses, ja.
Das Corsogespräch mit Shara Nova -
hören Sie hier in englischer Originalversion
"Der Tod von Träumen und Erwartungen"
Siniawski: Da gab es einen Begriff in unserem Gespräch: Transformation. Ist das ein Schlusselbegriff für Shara Nova - formally known as Worden - und auch für Ihre Stadt Detroit?
Nova: Im Sinne von, dass das Persönliche manchmal das Generelle widerspiegelt, ja. Wir machen alle eine Transformation durch, wir werden alle an einen anderen Ort gedrängt. In meinem Leben fühlte sich das an wie der Tod. Es war ein Tod von Träumen, der Tod von Erwartungen. Es war schockierend, mich selbst Dinge machen zu sehen, von denen ich nie glaubte, dass ich sie tun könnte.
Die Frage für mich persönlich ist: Wie gehe ich jetzt mit Demut durchs Leben - wissend, dass ich Dinge tun kann, zu denen ich früher nicht fähig war? Und dennoch ehrenhaft zu handeln - mit Freundlichkeit anderen gegenüber und auch gegenüber mir selbst. Und die Zukunft in etwas zu verwandeln, das Platz hat für alle - inklusive die eigenen Schattenseiten.
Die Frage für mich persönlich ist: Wie gehe ich jetzt mit Demut durchs Leben - wissend, dass ich Dinge tun kann, zu denen ich früher nicht fähig war? Und dennoch ehrenhaft zu handeln - mit Freundlichkeit anderen gegenüber und auch gegenüber mir selbst. Und die Zukunft in etwas zu verwandeln, das Platz hat für alle - inklusive die eigenen Schattenseiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.