Jasper Barenberg: Heftig umstritten war das Berufungsverfahren von Richter Brett Kavanaugh in den USA von Anfang an, denn Donald Trumps Kandidat könnte im obersten US-Gericht für viele Jahre ein konservatives Übergewicht zementieren. Deshalb haben die US-Demokraten die Nominierung von Anfang an nach Kräften bekämpft. Aber erst seit drei Frauen Kavanaugh öffentlich schwere sexuelle Übergriffe in den Schul- und Studienjahren zur Last gelegt haben, ist dieses Verfahren zu einem politischen Drama von ungeahnter Sprengkraft geworden. Heftig wird seit Tagen über die Aussage der Psychologie-Professorin Christine Blasey Ford vor dem Senat diskutiert, aber auch über die Art und Weise, wie Brett Kavanaugh die Anschuldigungen in seiner Anhörung vehement zurückgewiesen hat. Zunehmend kommt aber auch die Sorge ins Spiel, dass zentrale demokratische Prinzipien und Einrichtungen der USA Schaden nehmen könnten. Am Telefon ist Constanze Stelzenmüller von der Brookings Institution in Washington D.C., einer der traditionsreichsten unabhängigen Denkfabriken in der amerikanischen Hauptstadt. Schönen guten Morgen, Frau Stelzenmüller.
Constanze Stelzenmüller: Ja, guten Morgen; hier aber noch guten Abend.
Barenberg: Frau Stelzenmüller, können Sie den Moment bestimmen, an dem das oft geübte, traditionsreiche und ja auch durchaus oft umstrittene Nominierungsverfahren eines Kandidaten für den obersten Gerichtshof in diesem Fall so aus dem Ruder gelaufen ist?
Stelzenmüller: Sie meinen beim Fall Kavanaugh?
Barenberg: Beim Fall Kavanaugh. Wann ist dieser normale Prozess der Nominierung und der Prüfung durch den Senat so aus dem Ruder gelaufen?
"Charakter für das Amt nicht geeignet"
Stelzenmüller: Das ist schwer zu sagen, weil es so viele Punkte gegeben hat, die sich wie eine Perlenkette aneinanderreihen, dass man eigentlich kaum noch hinterherkommt, und die Zeitungen ja so große Übersichtslisten veröffentlichen, damit man das noch mal nachschauen kann. Das habe ich eben auch gemacht. Ich habe mir das Hearing fast ganz angeschaut und ich fand, ehrlich gesagt, schon die Einführungsbemerkung des Vorsitzenden des Justizausschusses im Senat, Senator Grassley, sehr, sehr eigenartig: sehr parteiisch, unkonzentriert, herablassend. Da musste man kein gutes Gefühl haben, als das anfing. Dann auch die sehr eigenartige vorgeschobene weibliche Prosecutor, wie man in Amerika sagt, eigentlich keine Anklägerin, sondern in diesem Fall Ermittlungsrichterin, die die republikanischen Senatoren voranschickten und an die sie Fragen delegiert hatten. Sie haben aber dann ihr Fragerecht gleich wieder zurückgenommen. Christine Blasey Ford hat sehr professionell, obwohl sichtlich emotional angefasst, trotzdem ausgesagt. Ich habe das bewundert. Und das, was ich von den Aussagen von Kavanaugh gesehen habe, muss ich sagen, hat mich auch einigermaßen erschüttert. Ich verstehe diejenigen meiner amerikanischen Freunde - auch die, die Juristen sind - die sagen: Hier hat jemand ein Temperament, einen Charakter gezeigt, der sich eigentlich für diesen hohen Beruf, der auch eine Berufung ist, nicht eignet.
Barenberg: Jetzt gibt es diese, sagen wir, maximale Eskalation in dieser Auseinandersetzung. Wer ist aus Ihrer Sicht dafür verantwortlich: Donald Trump, die Republikaner im Senat, die widerständigen Demokraten, alle zusammen?
"Alle Parteien haben schwaches Bild abgegeben"
Stelzenmüller: Ich glaube, man muss sagen, dass alle Fehler gemacht haben. Die Republikaner im Justizausschuss - das habe ich ja eben schon gesagt - waren wenig beeindruckend. Der Kandidat selber, Kavanaugh. Natürlich hat auch Christine Blasey Ford Erinnerungslücken gehabt, die in einem wirklich gerichtsförmigen Verfahren noch einmal Anlass zu Untersuchungen geben würden. Aber das FBI, das ja den ganzen Fragen noch mal hinterhergestiegen ist, hat ja gar nicht die Erlaubnis gehabt, das zu tun und mit ihr zu reden, oder mit Kavanaugh zu reden. Ich finde, dass alle Parteien hier eigentlich ein sehr schwaches Bild abgegeben haben, so glaubwürdig ich persönlich das Vorbringen von Professor Ford finde. Das hat, glaube ich, mehr beschädigt als nur diesen konkreten Nominierungsprozess. Man muss doch sich jetzt auch fragen, ob der Senat nicht beschädigt worden ist, mindestens der Justizausschuss. Ich glaube, die Parteiführungen haben sich beschädigt, und wenn das so weitergeht, dann ist auch die höchste Institution des Landes, das Verfassungsgericht beschädigt.
Barenberg: Die Republikaner haben sich ja auf den Standpunkt gestellt, es steht Aussage gegen Aussage. Daran hat sich in den Augen der Republikaner auch nach dem weiteren FBI-Bericht nichts geändert. "Lasst uns jetzt abstimmen!" Ist das legitim?
Bewusste Eskalation vor den Zwischenwahlen?
Stelzenmüller: Herr Barenberg, es geht doch eigentlich gar nicht wirklich um diesen Vorfall vor 36 Jahren. Da steht tatsächlich Aussage gegen Aussage. Da sind auf beiden Seiten Lücken. In einem wirklich justizförmigen Verfahren wäre das sehr vertieft zu untersuchen. Das Problem jetzt für die meisten vernünftigen Beobachter sind doch die explosiven Ausführungen, das Selbstmitleid, die mangelnde Impulskontrolle, die Kavanaugh bei dieser Anhörung gezeigt hat, und man muss sich sogar fragen: War es wirklich mangelnde Impulskontrolle, war es Temperament oder war es sogar Kalkül, war es ein bewusster Verweis auf Verschwörungstheorien und auf Vorwürfe, die sogar sich auf die Kenntnis bezogen, von denen die Republikaner wussten, dass sie die republikanische Basis mobilisieren würden auf eine Weise, wie es den Republikanern den ganzen Sommer über im Vorfeld der Zwischenwahlen am 8. November nicht gelungen ist. Wie schon gesagt: Ich möchte das selber nicht entscheiden, aber ich glaube, die Möglichkeit eines bewussten Kalküls darf man nicht ausschließen. Jedenfalls ist der Präsident gestern bei seiner Rally in Mississippi voll eingestiegen auf diese verschwörungstheoretische Schiene, und offensichtlich mit Erfolg, wie die Umfragen zeigen.
Barenberg: Brett Kavanaugh hat in der Tat - das haben ja viele Beobachter kritisch bemerkt - so etwas wie Parteipolitik seinerseits in diese ganze Auseinandersetzung gebracht mit seinen Vorwürfen.
Stelzenmüller: In der Tat!
Barenberg: Ist das im Grunde genommen ein Normbruch in den Vereinigten Staaten, wo ja Überparteilichkeit und Unparteilichkeit eines der wesentlichen Kriterien sind, wenn es beispielsweise um eine Institution wie das Verfassungsgericht geht?
Stelzenmüller: Polarisierung hat es in der amerikanischen Politik schon lange gegeben und auch am Supreme Court. Das letzte Beispiel dafür, das letzte landesweit umstrittene Beispiel dafür, war ja die gescheiterte Nominierung von Merrick Garland durch Barack Obama, die von den Republikanern verhindert wurde. Ich bin selber Verfassungsjuristin, habe über das amerikanische Verfassungsrecht promoviert. Der amerikanische Supreme Court ist eigentlich immer auf die eine oder andere Weise politisiert gewesen. Trotzdem gibt es Grundregeln dafür, wie man sich als Kandidat zu verhalten hat, und aus Sicht der meisten Beobachter, auch von sehr konservativen Beobachtern hier, hat Kavanaugh einige Grundregeln gebrochen. Er ist mit seiner Frau in einem Fox News Interview aufgetreten. Er hat jetzt heute im Wall Street Journal diesen Artikel veröffentlicht. Er hat auf eine Frage der demokratischen Senatorin aus Minnesota, Amy Klobuchar, ob er jemals einen sogenannten alkoholinduzierten Blackout gehabt habe, zurückgefragt: Nein! Haben Sie so was mal gehabt? - Das ist eigentlich alles ungehörig und für einen Kandidaten so noch nicht da gewesen. Manche haben diese Anhörung verglichen mit der Anhörung 1991 von Clarence Thomas, dem schwarzen Richter, dem die schwarze Juraprofessorin vorwarf, er habe sie sexuell belästigt. Clarence Thomas damals war ersichtlich zornig, empört, hat sich aber im Zaum gehalten, anders als jetzt in diesen Tagen Brett Kavanaugh.
"Fast wie ein Bürgerkrieg zwischen Männern und Frauen"
Barenberg: Wenn Sie sagen, dass hier vielleicht die geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln der amerikanischen Verfassung mit Blick auf das oberste Gericht zumindest gedehnt werden, kann man jetzt schon sagen, wo das ganze Verfahren ja auch mitten im Wahlkampf vor den Zwischenwahlen angekommen ist, dass alle Seiten am Ende Schaden nehmen werden?
Stelzenmüller: So wirkt es jetzt. Und ich habe zu Freunden gesagt, man muss den Eindruck haben, es geht jetzt in den Zwischenwahlen nicht mehr nur in einem hochgradig polarisierten Land um die Reputation des Präsidenten oder um ein Referendum über die Arbeit des Präsidenten bisher in den ersten beiden Jahren, oder der Republikaner. Es geht nicht mehr um die Zukunft der Demokraten, sondern es wirkt langsam fast wie ein Bürgerkrieg zwischen Männern und Frauen. Und wenn man hier mit älteren Frauen redet, oder Frauen, die so alt sind wie Christine Blasey Ford und wie Brett Kavanaugh, und zu dieser Generation gehöre ich auch - ich habe Ende der 80er-Jahre ein paar Jahre in Amerika Jura studiert unter anderem -, dann muss man sagen, man hört vielfach, es werden persönliche Erinnerungen wach. Es haben ja viele auch sehr bekannte Frauen jetzt eigene Erinnerungsstücke in den Medien veröffentlicht von sexuellen Belästigungen und Schlimmerem, bis hin zu Vergewaltigungen. Und all das beschwört hinauf eine Epoche, in der in der Tat das Geschlechterverhältnis in Amerika und natürlich auch anderswo - über Deutschland könnte man in dem Zusammenhang auch reden - ein sehr verhärtetes war, ein sehr unangenehmes war, in dem es für Frauen sehr unangenehm war, in damals noch als Männerberufen empfundenen Bereichen wie den Rechtswissenschaften und dem Rechtsanwaltsberuf tätig zu werden. Diese Erinnerungen kochen im ganzen Land hoch und werden, glaube ich, nicht nur die Zwischenwahlen, sondern auch das Erntedankfest am 22. November, bei dem sich traditionell amerikanische Familien über das ganze Land hinweg zusammenkommen in einem Haushalt und sich um den Tisch setzen an einer reich gedeckten Tafel, die könnten dieses Abendessen ziemlich schwierig machen.
Barenberg: Die Einschätzung von Constanze Stelzenmüller von der Brookings Institution in Washington D.C. Vielen Dank für das Gespräch!
Stelzenmüller: Gern geschehen, Herr Barenberg.
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