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US-Politikwissenschaftlerin über Trump
"Schicken Sie mir mal vorsichtshalber einen Asylantrag"

Die erste TV-Debatte habe gezeigt, dass sich Donald Trump nicht "mehr als zwei bis drei Minuten auf irgendein Thema konzentrieren kann", sagte Joyce Mushaben, Politikwissenschaftlerin an der Universität in Missouri-St. Louis. Dieser Mann lebe in seiner eigenen Realität, Minderheiten und deren Lebensverhältnisse kenne er nicht. Das sei wirklich zum Heulen, sagte sie im DLF.

Joyce Mushaben im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Donald Trump und Hillary Clinton schütteln sich am Ende des ersten Fernsehduells die Hände.
    Donald Trump und Hillary Clinton schütteln sich am Ende des ersten Fernsehduells die Hände. (picture alliance / dpa / EPA / Peter Foley)
    Daniel Heinrich: Live am Telefon ist jetzt Joyce Mushaben, Politikwissenschaftlerin an der Universität in Missouri-St. Louis. Frau Mushaben, war es das jetzt für Donald Trump?
    Joyce Mushaben: Schönen guten Abend, Herr Heinrich. - Ich möchte am liebsten sagen, dass es jetzt vorbei ist, aber ich bin mir keineswegs sicher. Ich meine, einerseits habe ich dann auch von einigen Leuten, die dabei waren, hier an der Uni zum Beispiel gehört, wer sich schon entschieden hat, hat sich entschieden, und diejenigen, die unentschieden sind, die haben die Debatte wahrscheinlich gar nicht mit angesehen. Das ist ein sehr tief gespaltenes Land im Moment.
    Heinrich: Vor einem Monat hat Kellyanne Conway das Wahlkampfteam von Donald Trump übernommen. Danach wurde The Donald wesentlich ruhiger. Gestern kam wieder der Rüpel raus. Warum eigentlich? Kann der nicht anders?
    Mushaben: Ja ich glaube, er ist einfach nicht dazu in der Lage, sich für mehr als zwei bis drei Minuten auf irgendein Thema zu konzentrieren. Ich meine, das hat er auch gezeigt, indem er nicht einmal auf die inhaltlichen Fragen eingegangen ist, sondern kam immer wieder darauf zurück und mit vielen selbstbezogenen Referenzen, wer ihn alles unterstützt und in welchen Zeitungen er da aufgetaucht ist und so weiter und so fort. Der Mann hat es einfach schwer, sich auf ein Thema zu konzentrieren, und man fragt sich echt, was passiert, wenn der zwei Stunden, drei Stunden lang im Situation Room sitzen muss.
    Heinrich: Nicht nur das, Donald Trump lügt auch. Das ist gestern Abend auch wieder deutlich geworden. Er lügt beim Irak-Krieg, er lügt beim Thema Geburtsurkunde von Barack Obama. Ist das eigentlich vollkommen egal, ob er lügt oder nicht?
    Mushaben: Die meisten sehen das keineswegs als eine Lüge und so wie Hillary dann auch betont hat, der lebt tatsächlich in seiner eigenen Realität. Was er nicht wahrnehmen will oder wahrhaben will, das nimmt er einfach nicht zur Kenntnis. Und man kann ihn natürlich nicht festlegen oder festnageln, indem er eigentlich nie was preisgibt, wie er eigentlich zu einem bestimmten Thema denkt. Der ändert ständig die Meinung, weil er weiß, dass es eventuell gut oder sensationell ankommt.
    "Die ganze Wahlkampagne läuft jetzt nur auf Gefühle hinaus"
    Heinrich: Im Umkehrschluss bedeutet das ja aber, dass Kompetenz eigentlich vollkommen egal ist für das nächste Amt für viele Wähler.
    Mushaben: Ja, das ist wirklich zum Heulen, vor allem nach der Debatte, die Hillary als "policy wonk" bezeichnet haben. Ich finde es natürlich erschreckend, dass die Leute nicht dazu in der Lage sind, ein paar Statistiken irgendwie unter Dach und Fach zu bringen. Aber ich weiß, die ganze Wahlkampagne, die läuft jetzt nur auf Gefühle hinaus.
    Heinrich: Frau Mushaben, Sie betreiben auch Gender Studies. Nach all diesen sexistischen Ausfällen von Donald Trump, welche amerikanische Frau kann diesen Mann eigentlich ernsthaft wählen?
    Mushaben: Ja das kann ich leider nicht beantworten. Aber ich weiß schon, dass es welche gibt. Wir gehen dennoch davon aus, dass die Gendergap in dieser Wahl wahrscheinlich am größten sein wird, seitdem man überhaupt diese Gendergap entdeckt hatte.
    Wir haben drei Themen, die äußerst wichtig sind. Erstens, was Hillary Clinton angesprochen hatte, die Erhöhung des Mindestlohnes. Frauen werden in erster Linie davon betroffen, weil sie in diesen low wage, no progress Jobs in dem Dienstleistungsbetrieb stecken. Zweitens das Thema Bundesverfassungsgericht. Der nächste Präsident beziehungsweise oder hoffnungsweise die nächste Präsidentin wird dazu in der Lage sein, drei Bundesverfassungsrichter oder Richterinnen zu ernennen, und das wird die Weichen stellen für dieses Land mindestens für die nächsten 20 Jahre. Und das dritte Thema ist dann race relations, weil das die Frauen überwiegend auch trifft, wenn das Frauen sind, die Männer, Söhne, Kinder und sonst was verlieren und nach wie vor in tiefen, billig bezahlten Dienstleistungsjobs stecken.
    Heinrich: Sie sprechen das Thema schon an. Die Universität, an der Sie unterrichten, liegt in St. Louis. Für unsere Hörer hier in Deutschland: St. Louis liegt nicht weit entfernt von Ferguson, und Ferguson ist bekannt trauriger Weise vor allem aufgrund der Polizeigewalt gegen Schwarze in letzter Zeit geworden. Wie sehr hat eigentlich dieses Race-Thema diese Debatte beeinflusst?
    Mushaben: Ja das ist noch ein bisschen näher dran. Die Universität, die liegt etwa drei Meilen von Ferguson entfernt, und ich würde sagen, mindestens 15 Prozent unserer Studenten und Studentinnen kommen daher. Gestern Abend, als die etwa 120 Studenten diese Debatte mit angesehen haben, hat meine Kollegin mir erzählt, es sind mindestens ein Viertel dabei gewesen, die Minderheiten angehören, und die waren zutiefst bestürzt, sichtlich irritiert, als Donald Trump das Thema Anhalten und Abtasten angesprochen hatte. Das sind gerade diejenigen, die immer unter diesem racial profiling zu leiden haben. Das sind gerade diejenigen, die aus heilen Familien oder wirklich aus städtischen Gemeinschaften herkommen, die in den Kirchen aktiv sind, die versuchen, sich weiterzubilden, und Donald Trump schreibt das alles ab, als sei das alles nur eine Hülle, was sie tagtäglich erleben. Ich glaube schon, dass diese Kluft auch wachsen wird.
    "Der lebt ja in seiner eigenen Realität"
    Heinrich: Meinen Sie eigentlich, dass der das wirklich meint, oder ist das Taktik?
    Mushaben: Ob er das wirklich meint, ist schwer zu sagen. Man weiß wirklich nicht, was dieser Mensch so in seinem Kopf durchwühlt und so weiter und so fort. Der hat keinen festen Standpunkt, der lebt ja in seiner eigenen Realität. Der kann nicht sagen, weiß er einmal in einer schwarzen Kirche gewesen ist, dass der ein intensives Verständnis dafür hat, wie die Lebensverhältnisse in Chicago sind. Er sprach immer wieder an, er würde da Eigentum, Grundstücke besitzen und so weiter, und dann redet er von Kriminalität, er redet von Statistiken, die gar nicht stimmen. Der kennt solche Minderheiten und deren Gemeinschaften und deren Probleme nicht, weil er nie damit physisch konfrontiert worden ist.
    Heinrich: Trotz all dieser "Fehler", die man Donald Trump anlasten kann, so weit entfernt ist Hillary Clinton nicht. Ganz sicher ist das nicht, dass sie diese Wahl gewinnt, überhaupt nicht. Woran liegt das eigentlich? Sie ist eine erfahrene Politikerin, sie ist definitiv die kompetentere Bewerberin für das Amt. Das wurde auch während der TV-Debatte deutlich. In den USA sagen viele Wähler, ich muss mit meinem Präsidenten auch ein Bier trinken gehen wollen. Hat Hillary Clinton bei diesem Punkt ein Problem?
    Art der Mediendarstellung baut auch Stereotypen auf
    Mushaben: Nehmen Sie das bitte nicht persönlich, aber ich glaube, die Medien, vor allem die sozialen Medien haben eine Menge damit zu tun. Wenn immer wieder betont wird, diese Frau ist nicht vertrauenswürdig, wenn immer wieder gesagt wird, sie lügt, sie hat ja was versteckt, Bengasi, E-Mails, was weiß ich, dann ist es natürlich klar, dass die Leute das irgendwie ein bisschen verinnerlichen, weil sie nicht die Zeit oder nicht die Kraft oder nicht die Ressourcen dafür haben, sauber auf den Grund zu gehen, selber bestimmten Themen nachzuforschen und so weiter und so fort. Diese Art der Mediendarstellung, die baut sich nur auf solche Stereotypen und so weiter und so fort, und Hillary hat es natürlich besonders schwer als Frau. Sie käme nie auf die Idee, so auf das Podest zu hauen, wie Donald Trump es sich leisten kann, denn es würde sofort heißen, sie sei hysterisch und demnächst stehen wir vor dem Atomkrieg und so weiter und so fort. Die muss wirklich zwischen zwei Stühlen sitzen.
    Heinrich: Hat Hillary Clinton bei der TV-Debatte die Chance verpasst, auch ihre "menschliche Seite" rauszukehren und gegen diese Fehler anzureden, die Sie gerade beschrieben haben?
    Mushaben: Keineswegs. Ich glaube, die meisten von uns haben groß aufgeatmet, als wir gesehen haben, dass sie ein bisschen zugelächelt hat und dass sie ab und zu mal einen Witz machen konnte. Die hat ja eine menschliche Seite. Das ist fast wie Angela Merkel. Alle Leute, die sie persönlich kennen, erzählen von ihrem Humor, von ihrer Großzügigkeit, von ihrem tiefen Verständnis, was den Alltag angeht, was die Mittelklasse anbetrifft. Ich glaube nicht, dass es an ihr liegt. Es liegt einfach an dieser kurzen Darstellung, die wir in den Medien immer wieder sehen, und dass dieser Frau auch endlich mal eine Chance gegeben werden muss, das Land richtigzustellen. Wir haben es dringend nötig.
    Heinrich: Frau Mushaben, kurz zum Schluss. In der US-Geschichte hat es wohl selten zuvor so zwei unbeliebte Kandidaten gegeben im jeweils anderen politischen Lager. Das gilt für beide. Das war jetzt die erste TV-Debatte. Es folgen noch zwei. Was wird denn bis zur nächsten Debatte passieren, dass sich daran etwas ändert?
    Mushaben: Das kann ich natürlich nicht hundertprozentig sagen. Erstens, weil ich seit 1776 oder 1789 nicht wahlberechtigt gewesen bin, und ich weiß, dass zur Zeit Lincolns die Debatten auch ganz heiß abgelaufen sind. Aber damals hat man natürlich weder Fernsehen, noch soziale Medien gehabt. Wir kriegen ein bisschen mehr mit. Aber auf der anderen Seite: Ich weiß noch, obwohl ich sehr jung und dynamisch war, kaum zum Kindergarten gegangen bin, als Lyndon Baines Johnson gegen Barry Goldwater gekämpft hat. Da ist es auch sehr heiß zugegangen. Ich glaube, jede Generation hat mit einer anderen Art Hässlichkeit zu kämpfen oder mit einer anderen Art sozialer Konflikte und Risse zu kämpfen. Ich kann es eigentlich nicht so pauschal beurteilen.
    Heinrich: Das sagt Joyce Mushaben, Politikwissenschaftlerin an der Universität Missouri-St. Louis. Haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Mushaben: Gern geschehen und schicken Sie mir bitte mal vorsichtshalber einen Asylantrag mit.
    Heinrich: Das machen wir und das Flugticket kommt auch noch hinterher.
    Mushaben: Ja, gut. Ich bedanke mich. Schönen Abend noch.
    Heinrich: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.