Stefan Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Christer Garrett. Guten Morgen, Herr Garrett!
Christer Garrett: Schönen guten Morgen.
Heinlein: Wird sich Amerika überzeugen lassen? Joe Biden eine gute Wahl von Barack Obama?
Garrett: Ich denke, über längere Sicht auf alle Fälle, ganz bestimmt unter den Demokraten. Und unter den Republikanern, unter spezifisch gesagt den moderaten Republikanern hat er gute Chancen.
Heinlein: Was hat denn Joe Biden, was Barack Obama nicht hat?
Garrett: Der hat eine überzeugende Geschichte, was seine Arbeitsklassen-Geschichte betrifft. Er ist in bescheidenen Hintergründen groß geworden und blieb so, pendelt zwischen zu Hause und Washington, DC zum Beispiel. Der ist so aus der Working Class, wenn wir so wollen, und das braucht Obama ganz bestimmt.
Heinlein: Aus der Working Class. Joe Biden hatte ja selbst Ambitionen, Präsident zu werden, Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Wird er seinen persönlichen Ehrgeiz denn hinten anstellen können?
Garrett: Auf alle Fälle. Das ist für ihn, glaube ich, so habe ich zumindest den Eindruck, wirklich ein letztes großes Kapitel für seine politische Karriere. Da ist eine Art politische Welle mit Barack Obama im Lande und da sieht Biden, habe ich den Eindruck, wirklich die Chance, ein bisschen Geschichte zu schreiben. Das sah man auf alle Fälle auch bei seiner Rede am Samstag. Er hat das wirklich überzeugend rübergebracht.
Heinlein: Wie wichtig ist denn insgesamt die Entscheidung über den zweiten Mann für den weiteren Verlauf des Wahlkampfes? John McCain wird ja erst im Laufe dieser Woche bekannt geben, wen er an seiner Seite haben wird.
Garrett: Da gibt es verschiedene Meinungen. Ich denke, die Rolle hat sich in den letzten Jahren ausgebreitet im Sinne von, es spielt wirklich eine klare und bedeutende Rolle. Für Obama zum Beispiel bringt Biden ein paar extra Teile zum Puzzle, wie man ins Weiße Haus überhaupt kommt. Noch einmal: ganz bestimmt unter den unabhängigen Wählern. Die sind ausschlaggebend: weiß, Mittelschicht, Arbeiterklasse. Gerade in der Region, woher Biden stammt, Pennsylvania, Delaware und so weiter. Das kann durchaus eine entscheidende Rolle spielen.
Heinlein: Herr Garrett, blicken wir auf Denver. Dort beginnt heute der demokratische Nominierungsparteitag - sehr gewöhnungsbedürftig für Europäer, denn es ist eine gigantische Show über vier Tage.
Garrett: Auf alle Fälle!
Heinlein: Geht es nur um Inszenierung von Politik, oder auch um Inhalte?
Garrett: Dieses Mal geht es wirklich um Inhalte, ganz besonders bei den Demokraten, weil immer noch sehr spannend, wenn wir so wollen, ist die Beziehung zwischen Hillary Clinton und Barack Obama. Es heißt, was auf dem Boden bei dieser Konvention passiert, das wird alles inszeniert und sehr sorgfältig geplant. Da haben Sie vollkommen Recht. Aber es gibt immer noch unbekannte Faktoren, wenn wir so wollen, weil letztendlich geht es um Menschen und deren Emotionen gegenüber Politik. Von daher bleibt es wirklich ein bisschen offen und spannend bei den Demokraten.
Heinlein: Erklären Sie uns noch einmal, Herr Garrett. Warum braucht denn die amerikanische Politik diese große Politik-Show, diese großen Inszenierungen?
Garrett: Bis sagen wir zu den 70er Jahren war das wirklich von viel Inhalt, weil es war eher so eine elitäre Veranstaltung. Große wichtige Politiker, kurzum weiße Männer mit Einfluss, haben sich gesammelt und haben wirklich dann einen Kandidaten gekürt. Der Parteitag hatte wirklich eine wichtige Rolle gespielt.
Inzwischen ist es ein bisschen viel Show geworden, aber es geht auch um Konsens. Es geht um Momentum in der Wahl. Es geht wirklich darum, dem Land zu zeigen: hier haben wir einen Kandidaten demokratisch gekrönt und der vertritt ihre Interessen. Es hat also symbolischen Charakter, aber gerade dadurch einen wichtigen Charakter.
Heinlein: Wie groß ist denn die Gefahr, dass Obama durch dieses gigantische Krönungsfest in Denver erneut als Politik-Popstar dasteht, mit großer Rede, aber ohne Substanz? Das wird ihm ja vorgeworfen in den letzten Wochen.
Garrett: Das ist eine sehr gute Frage. Sein Team weiß, sie müssen da wirklich höllisch aufpassen, nicht zu viel, wenn wir so wollen, "Berlin vor der Siegessäule" auszustrahlen, sondern eher wirklich Bescheidenheit, Inhalte, aber auch neuen Wind, wenn wir so wollen, und die richtige Chemie zusammen zu bringen aus verschiedenen Zutaten. Mehrere Leute werden ihn inhaltsmäßig vorstellen, Al Gore zum Beispiel, der ehemalige Vizepräsident, Joe Biden auch in seiner Rede, andere auch, Hillary Clinton auch. Diese Mischung aus Emotion, Ausstrahlung, aber auch Inhalten müssen die richtig hinkriegen.
Heinlein: Wird er das hinbekommen, Hoffnung, Wandel, Versöhnung? "Yes, we can", das sind ja seine Botschaften. Sind das nur hohle Phrasen für viele Amerikaner und warum?
Garrett: Ich denke, diese Mischung aus Versöhnung und Vorwärtsbewegung ist wichtig, weil das Land ist insgesamt zurzeit so verunsichert - sei es Außenpolitik, sei es Innenpolitik. Sie sehen sich nach wirklich nicht nur ein bisschen Konsens, sondern nach einer wirklich klar erkennbaren Richtung, Richtung im Sinne von Wirtschaft für die Mittelschicht aufzubauen und zu fördern, mehr Sozialsicherheitspolitik zu betreiben. Von daher ist diese politische Saison wirklich sehr, sehr wichtig für das Land insgesamt, was das Selbstbewusstsein betrifft.
Heinlein: Streben nach Sicherheit, nach Führung, sagen Sie. Gibt es keine Wechselstimmung in den USA, denn die Mehrheit der Amerikaner ist unzufrieden mit der Regierung Bush?
Garrett: Ja. Auf alle Fälle gibt es eine Mehrheitsmeinung, denke ich mir, sogar unter den Republikanern. Gucken wir die republikanische Partei an. Nur etwa die Hälfte dieser Partei ist mit dem Präsidenten zufrieden. Das hieße etwa zwischen 25 und 30 Prozent aller Wähler in den USA sind wirklich mit dieser Regierung zufrieden. Kurzum: eine große Mehrheit sind unzufrieden. Aber wenn es wirklich am Tag der Wahl darauf ankommt, wählt man wirklich was Neues oder wählt man vielleicht Erfahrung und was weiß ich, Weisheit und Sicherheit, dann sind dies die starken Karten für McCain zum Beispiel. Das weiß man einfach nie.
Heinlein: Frage zum Schluss. Sie haben McCain erwähnt, Herr Garrett. Nach Denver kommt St. Paul (US-Bundesstaat Minneapolis), der Konvent der Republikaner. Wen wird denn McCain zuvor zu seinem Vize bestimmen? Eine junge weiße Frau?
Garrett: Das ist ein sehr kluger Tipp sozusagen. Sehr schwierig zu sagen. Ich hätte zum Beispiel nicht auf Joe Biden getippt. Ich hätte auch auf eine weiße Frau getippt, zum Beispiel die Gouverneurin aus Kansas, Kathleen Sebelius. Da war ich völlig daneben. Also das ist schwierig zu sagen. Es hängt viel von der Persönlichkeit des Kandidaten ab. Zum Beispiel dass Obama Joe Biden ausgesucht hat, spricht eigentlich viel über ihn. Er war bereit, einen älteren weißen Mann auszusuchen, mehr Erfahrung und so weiter, weil dies sind genau seine Schwächen, wenn wir so wollen. Der Kandidat muss wirklich selbstbewusst sein, um seine Schwäche anzuerkennen. Ob McCain dieses Zeug besitzt oder nicht, das müssen wir abwarten.
Heinlein: Haben wir noch ein wenig Geduld, Herr Garrett. - Im Deutschlandfunk heute Morgen der US-amerikanische Politikwissenschaftler Christer Garrett. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Garrett: Sehr gerne. Wiederhören!
Christer Garrett: Schönen guten Morgen.
Heinlein: Wird sich Amerika überzeugen lassen? Joe Biden eine gute Wahl von Barack Obama?
Garrett: Ich denke, über längere Sicht auf alle Fälle, ganz bestimmt unter den Demokraten. Und unter den Republikanern, unter spezifisch gesagt den moderaten Republikanern hat er gute Chancen.
Heinlein: Was hat denn Joe Biden, was Barack Obama nicht hat?
Garrett: Der hat eine überzeugende Geschichte, was seine Arbeitsklassen-Geschichte betrifft. Er ist in bescheidenen Hintergründen groß geworden und blieb so, pendelt zwischen zu Hause und Washington, DC zum Beispiel. Der ist so aus der Working Class, wenn wir so wollen, und das braucht Obama ganz bestimmt.
Heinlein: Aus der Working Class. Joe Biden hatte ja selbst Ambitionen, Präsident zu werden, Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Wird er seinen persönlichen Ehrgeiz denn hinten anstellen können?
Garrett: Auf alle Fälle. Das ist für ihn, glaube ich, so habe ich zumindest den Eindruck, wirklich ein letztes großes Kapitel für seine politische Karriere. Da ist eine Art politische Welle mit Barack Obama im Lande und da sieht Biden, habe ich den Eindruck, wirklich die Chance, ein bisschen Geschichte zu schreiben. Das sah man auf alle Fälle auch bei seiner Rede am Samstag. Er hat das wirklich überzeugend rübergebracht.
Heinlein: Wie wichtig ist denn insgesamt die Entscheidung über den zweiten Mann für den weiteren Verlauf des Wahlkampfes? John McCain wird ja erst im Laufe dieser Woche bekannt geben, wen er an seiner Seite haben wird.
Garrett: Da gibt es verschiedene Meinungen. Ich denke, die Rolle hat sich in den letzten Jahren ausgebreitet im Sinne von, es spielt wirklich eine klare und bedeutende Rolle. Für Obama zum Beispiel bringt Biden ein paar extra Teile zum Puzzle, wie man ins Weiße Haus überhaupt kommt. Noch einmal: ganz bestimmt unter den unabhängigen Wählern. Die sind ausschlaggebend: weiß, Mittelschicht, Arbeiterklasse. Gerade in der Region, woher Biden stammt, Pennsylvania, Delaware und so weiter. Das kann durchaus eine entscheidende Rolle spielen.
Heinlein: Herr Garrett, blicken wir auf Denver. Dort beginnt heute der demokratische Nominierungsparteitag - sehr gewöhnungsbedürftig für Europäer, denn es ist eine gigantische Show über vier Tage.
Garrett: Auf alle Fälle!
Heinlein: Geht es nur um Inszenierung von Politik, oder auch um Inhalte?
Garrett: Dieses Mal geht es wirklich um Inhalte, ganz besonders bei den Demokraten, weil immer noch sehr spannend, wenn wir so wollen, ist die Beziehung zwischen Hillary Clinton und Barack Obama. Es heißt, was auf dem Boden bei dieser Konvention passiert, das wird alles inszeniert und sehr sorgfältig geplant. Da haben Sie vollkommen Recht. Aber es gibt immer noch unbekannte Faktoren, wenn wir so wollen, weil letztendlich geht es um Menschen und deren Emotionen gegenüber Politik. Von daher bleibt es wirklich ein bisschen offen und spannend bei den Demokraten.
Heinlein: Erklären Sie uns noch einmal, Herr Garrett. Warum braucht denn die amerikanische Politik diese große Politik-Show, diese großen Inszenierungen?
Garrett: Bis sagen wir zu den 70er Jahren war das wirklich von viel Inhalt, weil es war eher so eine elitäre Veranstaltung. Große wichtige Politiker, kurzum weiße Männer mit Einfluss, haben sich gesammelt und haben wirklich dann einen Kandidaten gekürt. Der Parteitag hatte wirklich eine wichtige Rolle gespielt.
Inzwischen ist es ein bisschen viel Show geworden, aber es geht auch um Konsens. Es geht um Momentum in der Wahl. Es geht wirklich darum, dem Land zu zeigen: hier haben wir einen Kandidaten demokratisch gekrönt und der vertritt ihre Interessen. Es hat also symbolischen Charakter, aber gerade dadurch einen wichtigen Charakter.
Heinlein: Wie groß ist denn die Gefahr, dass Obama durch dieses gigantische Krönungsfest in Denver erneut als Politik-Popstar dasteht, mit großer Rede, aber ohne Substanz? Das wird ihm ja vorgeworfen in den letzten Wochen.
Garrett: Das ist eine sehr gute Frage. Sein Team weiß, sie müssen da wirklich höllisch aufpassen, nicht zu viel, wenn wir so wollen, "Berlin vor der Siegessäule" auszustrahlen, sondern eher wirklich Bescheidenheit, Inhalte, aber auch neuen Wind, wenn wir so wollen, und die richtige Chemie zusammen zu bringen aus verschiedenen Zutaten. Mehrere Leute werden ihn inhaltsmäßig vorstellen, Al Gore zum Beispiel, der ehemalige Vizepräsident, Joe Biden auch in seiner Rede, andere auch, Hillary Clinton auch. Diese Mischung aus Emotion, Ausstrahlung, aber auch Inhalten müssen die richtig hinkriegen.
Heinlein: Wird er das hinbekommen, Hoffnung, Wandel, Versöhnung? "Yes, we can", das sind ja seine Botschaften. Sind das nur hohle Phrasen für viele Amerikaner und warum?
Garrett: Ich denke, diese Mischung aus Versöhnung und Vorwärtsbewegung ist wichtig, weil das Land ist insgesamt zurzeit so verunsichert - sei es Außenpolitik, sei es Innenpolitik. Sie sehen sich nach wirklich nicht nur ein bisschen Konsens, sondern nach einer wirklich klar erkennbaren Richtung, Richtung im Sinne von Wirtschaft für die Mittelschicht aufzubauen und zu fördern, mehr Sozialsicherheitspolitik zu betreiben. Von daher ist diese politische Saison wirklich sehr, sehr wichtig für das Land insgesamt, was das Selbstbewusstsein betrifft.
Heinlein: Streben nach Sicherheit, nach Führung, sagen Sie. Gibt es keine Wechselstimmung in den USA, denn die Mehrheit der Amerikaner ist unzufrieden mit der Regierung Bush?
Garrett: Ja. Auf alle Fälle gibt es eine Mehrheitsmeinung, denke ich mir, sogar unter den Republikanern. Gucken wir die republikanische Partei an. Nur etwa die Hälfte dieser Partei ist mit dem Präsidenten zufrieden. Das hieße etwa zwischen 25 und 30 Prozent aller Wähler in den USA sind wirklich mit dieser Regierung zufrieden. Kurzum: eine große Mehrheit sind unzufrieden. Aber wenn es wirklich am Tag der Wahl darauf ankommt, wählt man wirklich was Neues oder wählt man vielleicht Erfahrung und was weiß ich, Weisheit und Sicherheit, dann sind dies die starken Karten für McCain zum Beispiel. Das weiß man einfach nie.
Heinlein: Frage zum Schluss. Sie haben McCain erwähnt, Herr Garrett. Nach Denver kommt St. Paul (US-Bundesstaat Minneapolis), der Konvent der Republikaner. Wen wird denn McCain zuvor zu seinem Vize bestimmen? Eine junge weiße Frau?
Garrett: Das ist ein sehr kluger Tipp sozusagen. Sehr schwierig zu sagen. Ich hätte zum Beispiel nicht auf Joe Biden getippt. Ich hätte auch auf eine weiße Frau getippt, zum Beispiel die Gouverneurin aus Kansas, Kathleen Sebelius. Da war ich völlig daneben. Also das ist schwierig zu sagen. Es hängt viel von der Persönlichkeit des Kandidaten ab. Zum Beispiel dass Obama Joe Biden ausgesucht hat, spricht eigentlich viel über ihn. Er war bereit, einen älteren weißen Mann auszusuchen, mehr Erfahrung und so weiter, weil dies sind genau seine Schwächen, wenn wir so wollen. Der Kandidat muss wirklich selbstbewusst sein, um seine Schwäche anzuerkennen. Ob McCain dieses Zeug besitzt oder nicht, das müssen wir abwarten.
Heinlein: Haben wir noch ein wenig Geduld, Herr Garrett. - Im Deutschlandfunk heute Morgen der US-amerikanische Politikwissenschaftler Christer Garrett. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Garrett: Sehr gerne. Wiederhören!