US-Präsident Trump hat über 30 Millionen Follower auf Twitter. Weil er den Dienst nutzt wie kein anderer, gilt er als erfolgreich und beliebt bei seinen Landsleuten. Nun hat Twitter drei Tweets des US-Präsidenten mit Warnhinweisen versehen. Trump hat daraufhin ein Dekret unterzeichnet zur Beschneidung sozialer Medien. Die
in Kalifornien ansässigen Anbieter reagierten empört.
"Eine Änderung in der Politik von Twitter"
Doch schneidet er sich jetzt nicht ins eigene Fleisch mit seinem Vorgehen gegen soziale Medien? Darüber haben wir mit dem in Bonn lebenden US-amerikanischen Politikwissenschaftler Andrew Denison gesprochen.
Martin Zagatta: Herr Denison, ich weiß, dass Sie Donald Trump oft auch sehr kritisch sehen, aber wenn Twitter da jetzt anfängt, Tweets des Präsidenten als irreführend einzustufen und so zu kennzeichnen, hat er da nicht recht mit seinem Vorgehen? Also wenn es um Nichtstrafbares geht, kann da ein privates Unternehmen, das ja nur als Vermittler auftritt, kann das die Rolle eines Zensors übernehmen?
Denison: Also Mark Zuckerberg, Chef von Facebook, ist der Meinung, dass das ein Problem ist, dass das Zensur bedeutet. Der Zuckerberg sagt immer, wir sollen nicht die Schiedsrichter der Wahrheit sein. Ja, man kann verstehen, warum man ungern diese Rolle übernimmt, auch ungern den Vorwurf der Zensur begegnen muss. Auf der anderen Seite weiß man, dass diese sozialen Netzwerke unheimlich viel Macht anbieten, und Redefreiheit hat auch Grenzen, zum Beispiel wenn jemand "Feuer" ruft in einem überfüllten Kino, und da ist nichts, und Panik ausbricht. In dem Sinne gibt es keine einfache Entscheidung, aber es ist auf jeden Fall eine Änderung in der Politik von Twitter, und es hat eine große Wirkung gehabt auf Trump und auf die Diskussion über die Macht des sozialen Netzwerkes.
Debatte über Briefwahl beeinflusste Twitters Vorgehen
Zagatta: Das wollte ich Sie gerade fragen. Bisher hat man ja die Ansicht vertreten, Trump hat das Recht, Unsinn zu verbreiten, das hat er ja auch jahrelang gemacht. Warum greift Twitter da jetzt ein?
Denison: Wir rätseln alle über diese Entscheidung. Ich sehe drei Gründe, die das erklären könnte. Der erste Grund ist, dass in der Pandemie, was so viel geändert hat, sind auch die Maßstäbe für Wahrheit und Unwahrheit bei den sozialen Netzwerken geändert worden. Sie sind strenger geworden, und der Versuch, Desinformation über diese Krankheit mit seinen Konsequenzen über Leben und Tod zu blockieren, und das war ein gewisser Tabubruch. Hier war Zensur schon im Spiel, und das macht es etwas einfacher, dann den nächsten Schritt zu gehen. Wir haben auch gesehen, wie neulich Donald Trump unter starke Kritik gekommen ist, weil er eine tote Frau schlecht dargestellt hat, und der Witwer von dieser Frau, die mal für einen Journalisten, der gegen Trump ist, gearbeitet hat, Joe Scarborough, der war dann auch entsetzt. Also es gab großen Aufschrei auch über diese Art des Umgangs mit Twitter von Donald Trump. Als dritten Punkt würde ich sagen, dass wir erkennen, wie wichtig dieser Wahlkampf 2020 ist und wie wichtig die Frage ist, ob man wahlberechtigt ist oder nicht, ob es möglich sein wird, mit Briefwahl einen wirklich fairen und gerechten und richtigen Wahlkampf durchzuführen. Daher auch dieses Signal gerade bei der Frage, ob Briefwahl bestehen könnte oder nicht. Also das sind drei Gründe, die vielleicht dazu geführt haben, dass Twitter seine Politik wirklich radikal geändert hat.
Trump: Vom eigenen Scheitern ablenken
Zagatta: Ja, um diese Briefwahl ging es ja in dem einen beanstandeten Tweet. Was würde das denn bedeuten, wenn Trump jetzt mit diesem Dekret durchkommt? Was hätte das für Folgen?
Denison: Okay, das ist sozusagen Kapitel zwei. Das ist Trumps Reaktion, und da sagen einige, oh, da hat der Trump Glück. Endlich hat er ein Feindbild, gegen das er vorgehen kann. Wenn er da Kanonenfeuer gegen Twitter abgibt, ist seine Basis glücklich, und sie sind abgelenkt von seinem Scheitern und die katastrophalen Meinungswerte, die er jetzt in der letzten Woche bekommen hat. Sie sind davon abgelenkt. Das ist der erste Grund. Zweitens, vielleicht denkt er wirklich, dass er die Fähigkeit dann haben wird, diese Dienste zu verhindern, ihn infrage zu stellen, wie Twitter das jetzt gemacht hat, wie zum Beispiel andere das machen. Drittens würde ich vielleicht sagen, es ist einfach klassisch Trump. Es ist ein bisschen voreilig. Es ist aus der Hüfte geschossen, denn alle Experten sagen, es wird keine große Wirkung haben.
"Glaube nicht, dass Dekret juristisch durchkommen wird"
Zagatta: Gehen Sie davon aus, dass dieses Dekret juristisch durchkommt?
Denison: Ja, eben, das ist es. Ich glaube nicht, dass es juristisch durchkommen wird. Ich meine, natürlich, in Trumps Hetze gibt es immer einen Kern der Wahrheit. Wir sind alle unsicher, wie man mit sozialen Netzwerken umgehen soll, und wann darf man Feuer rufen und Panik anzetteln und Hetze und all das und wann nicht, wann ist es Freiheitsrecht. Da sind die Geister getrennt. Aber dass Trump mit diesem Dekret jetzt plötzlich die sozialen Netzwerke entmachten wird, nein, ich glaube nicht, aber bis jetzt haben die sozialen Netzwerke Trump eher geholfen als den Demokraten. Ob das sich ändert oder ob er einen Weg findet, die doch weiter zu seinen Gunsten zu nutzen, das wissen wir nicht.
"Twitter kann ohne Trump leben"
Zagatta: Da schließt sich ja oder ergibt sich ja die Frage daraus, ist Trump nicht sogar mehr auf Twitter angewiesen als Twitter umgekehrt auf ihn.
Denison: Ja, das ist immer eine gute Frage bei der Zusammenarbeit. Ja, Trump ist eindeutig auf Twitter angewiesen, und man rätselt immer, warum Twitter bis jetzt nichts gemacht hat. Das werden wir erst rausfinden können. Aber Twitter kann ohne Trump leben, aber die wollen trotzdem nicht in dieses Feuer reingehen, wenn sie es nicht müssen. Daher rätsele ich weiter, über die wirklichen Motive in diesem Kampf jetzt mit Trump zu suchen.
"Trump muss um seine Wiederwahl fürchten"
Zagatta: Das sagen ja – Sie haben es vorhin auch angedeutet – viele Experten, er wolle jetzt mit diesem Angriff auf soziale Medien von seinen vielen Misserfolgen ablenken, auch von diesen mehr als 100.000 Coronatoten. In Umfragen hat der US-Präsident trotz aller Kapriolen zuletzt ja noch ganz gut abgeschnitten. Muss er tatsächlich, aus Ihrer Sicht, muss er tatsächlich um seine Wiederwahl fürchten?
Denison: Ja, er muss um seine Wiederwahl fürchten, und er hat eine leichte Erhöhung der Unterstützung bekommen, aber das ist ziemlich schnell wieder weggefallen, und der Durchschnittswert bei RealClearPolitics ist jetzt zehn Prozent Unterschied zwischen die, die für ihn sind, 44, und die, die gegen ihn sind, 54. Wo hat er Probleme? Er hat Probleme in den Bundesstaaten, die er gewinnen muss. Florida, Ohio, Wisconsin, Michigan, Autowerkstatt Michigan, Detroit, das sind viele Arbeitslose, die ihn gewählt haben. Ob er die halten kann oder nicht, da zweifeln immer mehr Menschen. Man darf auch nicht vergessen, der Präsident ist nicht alleinentscheidend. Die Mehrheit im Kongress ist auch wichtig, und im Senat haben die Republikaner jetzt eine knappe Mehrheit, denn die kämpfen um Sitze, gefährdete Sitze. In dem Sinne, das sieht jetzt für die Republikaner gar nicht gut aus.
"Je mehr Leute abstimmen, desto größer die Gefahr für die Republikaner"
Zagatta: Herr Denison, Sie haben es auch schon angesprochen, in dem Tweet, um den jetzt so besonders gestritten wird, hat Trump ja die Befürchtung geäußert, dass die Briefwahl das Wahlergebnis verzerren könnte. Warum, wenn es durch Corona so kommen sollte, warum sollte dann eine Briefwahl die Republikaner benachteiligen und die Demokraten begünstigen?
Denison: Ja, das ist eine gute Frage. Es ist so, die Demokraten, gerade in den Großstädten, deren Wählerschaften, das sind Leute, die tagtäglich zur Arbeit gehen müssen, die können nicht zu Hause arbeiten, die können nicht mal schnell freinehmen und zur Wahlurne gehen. Es ist für die wirklich ein Luxus. Briefwahl macht es einfacher. Es ist auch so, dass wenn es Briefwahl gibt, dann gibt es die Möglichkeit für Demokraten, schon vorher die Leute zu besuchen, auf der Straße und zu sagen, bitte machen Sie das. Das ist eine Angst, die die Republikaner haben. Aber je mehr Leute abstimmen, desto größer die Gefahr für die Republikaner.
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