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US-Präsident in Kenosha
Politologe Denison: "Trumps alte Methode greift nicht mehr"

Mit dem Besuch in Kenosha wolle US-Präsident Donald Trump provozieren und seine Anhänger mobilisieren, meint der Politologe Andrew Denison im Dlf. Doch seit Corona und der Wirtschaftskrise komme Trump mit seinen alten Methoden nicht mehr an. Sein Kontrahent Joe Biden könne davon profitieren.

Andrew Denison im Gespräch mit Dirk Müller |
Donald Trump im Weißen Haus
Die Menschen in den USA schauen mit anderer Perspektive auf Donald Trump, meint der Politikwissenschaftler Andrew Denison (imago-images/Mediapunch)
Proteste, Demonstrationen, Gewalt und Gegengewalt in den USA, in Kenosha im Bundesstast Wisconsin. Dorthin fährt jetzt Präsident Donald Trump - und zwar gegen den Willen des Bürgermeisters und des Gouverneurs. In Kenosha starben zwei Menschen, als ein 17-jähriges Mitglied einer selbsternannten Bürgermiliz mit einem Sturmgewehr auf Demonstranten schoss. Trump nahm den Mann in Schutz. Mit Aktionen wie dieser habe Trump früher mehr Erfolg gehabt, sagte der US-Politikwissenschaftler Andrew Denison von Transatlantic Networks. Die Lage habe sich geändert. Denison glaubt, Trump komme mit seinen Methoden nicht mehr an wie früher.
Andrew B. Denison, Publizist und Politologe aus den USA, aufgenommen am 08.05.2014 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner".
Andrew B. Denison, Politologe (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
Dirk Müller: Ist das gut für Donald Trump, dass er da hinfährt?
Andrew Denison: Ist es gut für Donald Trump, dass er da hinfährt? – Er benutzt seine klassische Methode, die ihn sehr weit gebracht hat. Er hat einen Schnüffler für Konflikte wie kein anderer. Er weiß, Salz in die Wunden zu streuen, und hier in Kenosha weiß er, dass er durch Provokation und Dominanz der Schlagzeilen seine Anhänger mobilisieren kann, wie er das in der Vergangenheit gemacht hat. Die Frage ist natürlich, ob er mehr Leute dabei verliert, die dann genauso engagiert gegen ihn auf die Straße oder zur Wahlurne gehen, wie er mobilisiert für sich selbst.
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"Es ist eine andere Perspektive eingetreten"
Müller: Das ist bestimmt schwierig einzuschätzen, Herr Denison. Sie sagen, Schnüffler, schnüffeln. Ich denke, ohne Sie da korrigieren zu wollen, Sie meinen Gespür für die Situation, dass er damit was erreichen kann. – Wenn wir jetzt diese Fifty-Fifty-Frage stellen, nutzt ihm das mehr, als dass es ihm schadet, hätten Sie da eine Antwort?
Denison: Wenn ich zurückschaue in eine Zeit, wo es eine radikale Ungewissheit gab, oder mich zurückziehe und diese Sache anschaue, dann denke ich, es gibt ein paar alte Regeln in der Politik. Eine der wichtigsten: Für jede Aktion gibt es eine Reaktion. Das sehen wir in den verschiedensten Arten von Präsidenten Amerikas, von Clinton über Bush bis Obama und jetzt Trump. Die Gegenreaktion, die Reaktion gegen Trump ist eine andere als bisher. In seinen ersten drei Jahren hat er die Leute nicht wirklich mobilisiert gegen ihn und gegen das, wofür er steht, dieses exklusive weiße Amerika. Seit Corona, seit der Wirtschaftskrise ist eine andere Perspektive eingetreten. Black Lives Matter ist jetzt zu einer gesellschaftsbreiten Bewegung geworden, was vorher nur ein paar Minderheiten unterstützt haben, auch in der Zeit von Obama. Wir haben eine geänderte Lage, eine Reaktion auf Trump, und das bedeutet für mich, dass seine alte Methode nicht mehr so greifen kann, auch eine weitere Eskalation seiner Methode ist.
"Für immer mehr Leute eine Verzerrung der Wahrheit"
Müller: Fragen wir umgekehrt. Ist das alles gut für Joe Biden?
Denison: Ja, ist das gut für Joe Biden? – Natürlich: Jetzt, wo wir wissen, wenn Trump durch dieses Bild beweisen kann, dass das ganze Land am Brennen ist, dann ist das schwierig für Joe Biden. Aber Joe Bidens Argument, wie wir von dem Kollegen Kößler gehört haben, dass Trump eigentlich der Brandstifter ist, der hier jetzt Benzin auf den Konflikt kippt – ich denke, das sehen viele Leute, weil man guckt ja Fernsehen und man sieht die Unruhen, und Biden hat das kritisiert.
Aber wenn man ein bisschen ins Land schaut und man sieht, dass jeder kleine Staat und die ganzen College Towns auch in Wyoming große Demonstrationen haben, wo viel mehr Weiße auf der Straße waren als Schwarze auf der Straße waren, wo es eine friedliche Demonstration war, wo es keine brennenden Gebäude gab, das ist der persönlich unmittelbare Eindruck, den die Leute haben, wenn die auf die Straße gehen. Daher denke ich, Trump stellt für immer mehr Leute eine Verzerrung der Wahrheit dar, und es kommt – ja, ich muss sagen, ein Wunschdenken auch, aber es gibt Gründe zu denken, es kommt nicht so an wie vorher.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
"Nicht mehr eine Komödie, sondern eine Tragödie"
Müller: Brandstifter Donald Trump – das wurde auch immer wieder kolportiert, geschrieben, interpretiert. Viele stimmen da zu, nicht nur in den Netzen, auch viele Kommentatoren in den USA, in Europa allemal, in Deutschland sowieso. – Wenn das immer (und das seit Monaten, wie Sie es beschrieben haben), im Grunde seit Jahren immer so eindeutig ist, dass Donald Trump in vielen, vielen Fällen immer der Täter ist, warum ist er immer noch so stark, dass sich viele fragen, aufgepasst, er könnte die Wahl dennoch gewinnen?
Denison: Ja! Erstens müssen wir erkennen, nach drei Jahren, wo ich das eher als Komödie gesehen habe: Mit Covid, Wirtschaftskrise und Fragen der Gerechtigkeit unter den Schwarzen sind wir in eine andere Lage gekommen. Es ist nicht mehr eine Komödie, sondern eine Tragödie. Da sind Tote, da sind Arbeitslose, Leute aus ihren Häusern geworfen. Das ist eine andere Lage. Und daher denke ich, dass seine Macht nicht mehr das ist, was es war. Aber die Frage stellt sich trotzdem, auch hier in Deutschland: Kann er verlieren?
Wir wissen schon, in den USA haben die ländlichen Gegenden viel mehr Macht als die Großstädte wegen des Wahlsystems. Eine Mehrheit der Amerikaner ist gegen Trump. Zehn Millionen mehr Leute haben 2018 gegen ihn gestimmt als für ihn. Es macht es aber schwer, einen klaren Sieg zu bekommen – erster Punkt. Zweiter Punkt: Trump würde es in aller Wahrscheinlichkeit bestreiten und versuchen, seine Anhänger anzuzetteln, um das in Frage zu stellen. Und da hat er Macht, Herr Müller. Da hat er Macht, die manchen Leuten Angst macht, wenn er einen Teil des Militär auf seiner Seite hat, oder wenn er sonstige Gesetzgebung, Notstandsgesetzgebung benutzen kann. – Ja, eine schwierige Zeit steht Amerika bevor, kein Zweifel.
Müller: Dieser Mobilisierungsfaktor, von dem Sie gesprochen haben, der jetzt auch wieder zugenommen hat – klar, jetzt beginnt die heiße Phase des Wahlkampfs, wobei viele ja den Eindruck hatten, dass Donald Trump irgendwo immer im Wahlkampf war. Jetzt haben Sie gesagt, am Anfang war das Komödie, jetzt ist das langsam tragische Tragödie. Dieser Mobilisierungsfaktor in den USA, sagen ja viele Beobachter, ist viel, viel wichtiger noch als in Europa, in Deutschland, wo ohnehin viel mehr traditionell jedenfalls immer noch zur Wahl gehen als in den USA. Ist das der große Risikofaktor für diejenigen, die Donald Trump los werden wollen? Davon gibt es ja viele. Ist das die Unbekannte? Das heißt, wie stark kann er seine Bewegung, seine Wähler, seine Anhänger, seine Fans noch einmal an die Wahlurne bringen?
Denison: Ja, man sagt, es geht nicht um Wahlen, sondern um die Stimmen auszuzählen und wer das tut. Joe Biden sagt, seine große Angst ist, dass Trump seine Niederlage nicht akzeptieren wird. Die Sorge ist da. Umso mehr, Herr Müller, weil Covid stellt die ganze Frage von Wahlen, in Schlange stehen und an diesem Dienstag sowieso mit dem Bus hinfahren, stellt das alles in Frage. Der natürliche Weg, dieses Problem mit Briefwahl zu lösen, ist schon lange vehement von Republikanern bestritten und kritisiert worden, weil sie wissen, Wahlbeteiligung hilft den Demokraten. Also ein perfekter Sturm oder wie in Kalifornien der Wald ist leider trocken und brandreif, und man kann nur hoffen, dass genug Amerikaner auf allen Ebenen, von der Stadt bis zum Bund in Washington, auch die Vorbereitung dafür machen, dass Trump nicht ehrenvoll absagt und die Macht weitergibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.