Archiv

Kommentar zur US-Wahl 2024
Wegschauen und hoffen hilft nicht

Die Zeit einer innenpolitisch stabilen USA ist vorbei, mit schwerwiegenden Folgen für die Rolle der USA in der Welt, kommentiert Doris Simon. Ein klarer Blick auf das, was nach der Präsidentschaftswahl kommen könnte, sollte Grundlage von Entscheidungen sein.

Ein Kommentar von Doris Simon |
Trump-Unterstützer stehen vor dem Trump Tower in New York um den früheren US-Präsidenten zu unterstützen
Trump-Anhänger vor dem Trump-Tower in New York. Der Ex-US-Präsident liegt aktuell weit vor seinen republikanischen Konkurrenten. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Jorge Estrellado)
Was passiert, wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl im November 2024 gewinnt?
Diese Frage steht bei jedem Besuch eines ausländischen Politikers in Washington im Raum, eigentlich seit dem ersten Tag von Joe Bidens Präsidentschaft. Freunde und Verbündete machen sich zunehmend Sorgen, knapp elf Monate vor der Wahl. Entscheidend ist aber, dass sie sich konkret auf ein solches Szenario einstellen.
So viel im politischen und medialen Betrieb hyperventiliert wird, gerade vor Wahlen, so sehr ist in diesem Fall Selbstberuhigung à la „So schlimm wird es nicht kommen“ die absolut falsche Reaktion. Wie auch die Hoffnung mancher, US-Gerichte würden Trump schon von der Wahl ausschließen.
Natürlich kann es sein, dass Joe Biden es doch noch einmal schafft, frei nach dem Motto „Ich oder die Demokratie“. Bis November kann sich einiges tun. Aber traditionelle Wählergruppen der Demokraten haben sich vom US-Präsidenten abgewendet, viele junge US-Bürger, Schwarze und insbesondere Latinos wollen Biden nicht wieder ihre Stimme geben.

Die Basis will den „real deal“, sie will Donald Trump

Eine klare Tendenz gibt es auch im Lager der Republikaner: Es sieht nicht so aus, als ob Trumps Mitbewerber ihn um die Präsidentschaftskandidatur bringen könnten: seine frühere UN-Botschafterin Nikki Haley liegt zwar auf Aufholkurs, aber deutlich hinter dem früheren Präsidenten, abgeschlagen sogar in ihrem Heimatstaat. Und viele der Milliardäre, die nun Haley unterstützen, haben vorher auf Ron de Santis als Wunderwaffe gegen Trump gesetzt. Doch die Millionen für de Santis sind verpufft, der Traum geplatzt. Die Basis will den „real deal“, sie will Donald Trump.
Was heißt das für die Verbündeten und Freunde der USA? Wie sollen sie sich vorbereiten auf eine erneute Präsidentschaft des Mannes, der wegen teils schwerwiegender Vergehen angeklagt ist? Der in Dauerschleife demonstriert, wie wenig ihm Demokratie und Rechtsstaat im eigenen Land und internationale Verpflichtungen sowieso bedeuten? Der Autokraten wie Viktor Orban und Wladimir Putin bewundert und hofiert?

Die beste Vorbereitung darauf ist ein Realitätscheck.

Sollte Donald Trump eine zweite Amtszeit als Präsident antreten, ist eines klar: Dieses Mal wird er durchregieren. Um ihn herum wird es niemanden mehr geben, der Nein sagt oder die Notbremse ziehen kann. Kein konservatives Establishment mehr im Weißen Haus aus Diplomatie, Militär oder anerkannten Anwaltskanzleien. Die Strippen ziehen stattdessen enge Vertraute und erwiesene Loyalisten, die die Bundesbehörden Trump-treu umbauen.
Traditionelle Vorgehensweisen werden nicht mehr funktionieren: Kein ausländischer Politiker sollte darauf hoffen, dass die alten Kontakte in den US-Kongress nach Trumps Wahl noch etwas bewegen. Schon jetzt haben viele Transatlantiker und Freihändler in der republikanischen Partei, mürbe geworden, das Handtuch geworfen. Traditionen zählen nichts mehr in dieser Partei, die Lichtjahre entfernt ist von den Führungsmacht-Republikanern der Reagan-und Bush-Ära.
Kanada verfolgt deshalb seit ein paar Jahren die Strategie, in Washington, aber auch überall in den US-Bundesstaaten den Nutzwert des eigenen Landes für die USA herauszustellen. Das Argument: Kanadische Produkte und Entscheidungen beeinflussten das Leben der US-Bürger, selbst wenn sie es nicht merkten. Es sei nicht nur Kanada, das die USA brauche - beide Länder seien aufeinander angewiesen.

Bedeutung der einzelnen Staaten wird weiter zunehmen

Auch Deutschland muss seine Kontakte auf Ebene der US-Bundesstaaten mit Hochdruck intensiv ausbauen. Die Bedeutung der einzelnen Staaten wird weiter zunehmen, und ein guter Draht zu vergleichsweise pragmatischen republikanischen Gouverneuren ist umso wichtiger, wenn in Washington nur noch „America First“-Ideologen das Sagen haben, die nicht sonderlich interessiert sind an Gesprächen mit deutschen Politikern und Diplomaten. 

Selbstberuhigung ist unangebracht

Die Zeit einer innenpolitisch stabilen USA ist vorbei, mit schwerwiegenden Folgen auch für die außenpolitischen Beziehungen und die Rolle der USA in der Welt - trotz aller Anstrengungen des aktuellen US-Präsidenten. Ein klarer Blick auf das, was nach der US-Präsidentschaftswahl kommen könnte, sollte für Freunde und Verbündete der Vereinigten Staaten Grundlage ihrer Entscheidungen sein. Selbstberuhigung à la „So schlimm wird es nicht kommen“ ist schon jetzt unangebracht. Mit oder ohne Trump als Präsident im Weißen Haus.
Porträt: Doris Simon
Doris Simon, geboren 1964 in Bonn, ist Deutschlandradio-Korrespondentin für die USA und Kanada. Nach ihrer Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München und einem Studium der Geschichte, Politik und Kommunikation arbeitete sie als freie Journalistin für Fernsehen und Hörfunk in Bonn und Berlin. Für RIAS Berlin und später Deutschlandradio berichtete sie als Korrespondentin aus Bonn und Brüssel, sie hat als CvD und in der Programmdirektion im Deutschlandfunk gearbeitet und war viele Jahre Moderatorin und Redakteurin der "Informationen am Morgen".