Archiv

Norbert Röttgen (CDU)
"Auch Biden-Administration wird auf China und Asien fokussiert bleiben"

Sollte Joe Biden US-Präsident werden, würden zahlreiche Konflikte mit den USA trotzdem bestehen bleiben, sagte der CDU-Politiker Norbert Röttgen im Dlf. Man könne über diese dann aber endlich wieder normal reden. Klar sei, dass Deutschland sich außenpolitisch stärker engagieren müsse.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christiane Kaess |
Joe Biden bei seiner Ansprache während der noch laufenden Auszählung.
Joe Biden hat sich in der laufenden Auszählung früh öffentlich zu Wort gemeldet (Biden Campaign via CNP)
Für Donald Trump ist die Sache klar: Die Demokraten wollen die Präsidentschaftswahl stehlen. Außer ihm und seinen Republikanern sehen das nicht viele so und so kommt es nun doch zu dem Szenario, das viele befürchteten: Die US-Wahl könnte vor Gerichten entschieden werden und das juristische Gezerre könnte dauern.
In Berlin war an diesem Mittwoch von höchsten Stellen wenig bis nichts zu hören zur US-Wahl. Weder die Bundeskanzlerin, noch der Bundespräsident äußerten sich. Über die ungewohnte Stille haben wir mit mit Norbert Röttgen gesprochen. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und bewirbt sich aktuell auch um den Vorsitz der CDU.
Christiane Kaess: Warum dieses laute Schweigen in Berlin?
Norbert Röttgen: Das ist ja nicht überraschend, denn die Wahl ist noch nicht ausgezählt. Es ist offen, wie sie ausgeht. Es war sehr offen über den ganzen Tag hinweg. Nun nähert sich Joe Biden einem Sieg an, aber er ist noch nicht da. Und darum ist es klar, dass für offizielle Regierungsstellen oder gar den Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt zunächst die Ergebnisse da sein müssen.
Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und Bewerber um den CDU-Vorsitz
Norbert Röttgen: "Die USA werden niemals mehr wieder, jedenfalls in überschaubarer Zeit, das Land werden, das alles regelt und uns das Wesentliche abnimmt" (picture alliance/ Jonas Güttler)
Kaess: Aber es ist doch recht bemerkenswert, was sich da gerade in den USA abspielt. Es ist das erste Mal, dass ein Präsidentschaftskandidat sich vorzeitig zum Sieger erklärt und die Auszählung der Stimmen stoppen will. Was halten Sie denn von Trumps Verhalten?
Röttgen: Es zeigt den fundamentalen Mangel von Respekt gegenüber allen Regeln, auch gegenüber dieser Grundregel der Demokratie, dass jede Stimme gleich zählt und dass natürlich die Stimmen ausgezählt werden. Das ist das Kernprinzip der Demokratie, der Mehrheitsbildung. Dafür muss man alle Stimmen auszählen und nicht dann aufhören, wenn es einem selber passt, damit die Wahl als gewonnen erklärt werden kann.
Aber das Verhalten ist natürlich auch überhaupt nicht überraschend. So ist Trump und alle haben gesagt, ich habe auch gesagt, wenn es eng wird, wird genau das passieren, und auch die nächsten Akte werden wie vorausgesagt alle stattfinden. Sie haben ja ein paar Schritte davon schon genannt. Jetzt wird gerichtlich versucht, das Auszählen zu stoppen. Dann werden die festgestellten Ergebnisse angefochten werden. Es wird noch Tage und Wochen dauern.
"Das Land ist tief gespalten"
Kaess: Mangelnder Respekt gegenüber der Demokratie, sagen Sie. Ein weiterer Tabubruch zumindest aus Ihrer Sicht und auch aus der Sicht vieler anderer. Aber alle Tabubrüche, die haben Trump ja bisher nicht geschadet. Das sehen wir auch bei dieser Wahl. Der Rückhalt ist bei einem großen Teil der Amerikaner immer noch sehr stark. War es ein Fehler zu denken, dass Trump ein Ausrutscher der Geschichte wäre?
Röttgen: Wer das gedacht hat, hat tatsächlich einen Fehler gemacht.
Kaess: Sie haben das nicht gedacht?
Röttgen: Nein. Man kann nicht sagen, das war ein Irrtum und die Amerikaner haben es gemerkt und die werden das jetzt leicht und schnell wieder korrigieren. Das war nun wirklich nicht die Situation und ist nicht die Situation in den USA. Im Gegenteil! Das Land ist tief gespalten, tief gespalten, immer tiefer, und auch das Verhalten von Trump an diesem Wahltag hat das wieder ausgedrückt. Aber es sind diese beiden Seiten vorhanden und Unterstützung ist da. Da ist durchgängig eigentlich eine Unterstützung, die typischerweise sagt, trotz Trump, weil er für mein überragendes, für mich entscheidendes Thema steht, ob es das Abtreibungsrecht ist oder ob es niedrige Steuern sind oder ob es das Waffenrecht ist. Das sind eine Reihe von Einzelthemen, die für zig von Millionen von Wählern so überragend sind, dass sie sagen, den Trump wähle ich, egal wie er ist, weil er mein Thema nach vorne bringt.
Demonstrant mit "Count all votes"-Plakat am Abend der Präsidentschaftswahl auf der Black Lives Matter Plaza in Washington D.C.
Wo die Wahl jetzt entschieden wird
US-Präsident Donald Trump hat den Wahlsieg schon für sich reklamiert, aber auch Joe Biden gibt sich siegesgewiss. Noch ist die Wahl nicht entschieden, in mehreren Staaten wird noch ausgezählt. Es drohen gerichtliche Auseinandersetzungen.
Kaess: Das heißt, Herr Röttgen: Auch wenn Biden gewinnen sollte, ist die USA in den letzten Jahren ein anderer Partner geworden?
Röttgen: Nicht erst in den letzten vier Jahren. Das muss man sagen. Die USA sind ein, wie ich sagte, tief gespaltenes Land. Das werden sie auch bleiben, zunächst einmal, und kein bisschen verändert, wenn Joe Biden gewinnt. Diese Spaltung hat allermindestens angefangen, spätestens zwei Jahre nach Amtsantritt von Barack Obama, indem auch, muss man leider sagen, in Teilen die Radikalisierung der Republikanischen Partei begonnen hat. Ich erinnere an das Stichwort Tea Party. Das ist jetzt nun durch die Amtszeit von Trump noch mal vertieft. Aber dass er überhaupt ins Amt gekommen ist, drückt diese Spaltung schon aus, und das wird das Thema Nummer eins auch der Präsidentschaft von Joe Biden sein: Das eigene Land, natürlich die Pandemie, die Wirtschaft, aber auch diese Spaltung, den Hass, der ins politische System eingedrungen ist, der die Mitte auszehrt, zwei Pole schafft, die nicht mehr Kompromisse schließen können, weil es um Identität geht, worüber man keinen Kompromiss schließen kann.
"Habe einen relativ deutlichen Sieg von Biden erwartet"
Kaess: Dennoch, Herr Röttgen: Es dürfte ein offenes Geheimnis sein, dass auch Sie wie die meisten Politiker in Berlin auf einen Sieg von Joe Biden hoffen. Sie hatten ja in den letzten Tagen noch gewarnt: Der Sieg Trumps könnte Deutschland kalt erwischen. Sind Sie jetzt optimistischer?
Röttgen: Ich bin optimistischer über den Verlauf des gestrigen Tages geworden. Erstens kann ich sagen, ich habe einen deutlicheren, deutlichen, relativ deutlichen Sieg von Joe Biden erwartet, weil ich dachte, dass die enorme Wählermobilisierung, die es ja gegeben hat – das ist ja, glaube ich, die höchste Wahlbeteiligung in 100 Jahren, die stattgefunden hat –, die habe ich noch stärker auf das Konto der Demokraten und von Joe Biden in meiner Erwartung gebucht. Aber es hat sich gezeigt, dass am Wahltag selber auch die Republikaner und Trump enorm mobilisiert haben, und darum ist es so knapp geworden. Es sieht jetzt so aus, die große Zahl bei den Briefwählern und denen, die früh gewählt haben, die bringen jetzt Joe Biden auf die Überholspur, und mit ein bisschen Vorsicht kann man sagen, er wird knapp als erster durchs Ziel fahren.
Ja, das ist keine normale Alternative, wie es frühere gegeben hat, zwischen Al Gore und George Bush und Clinton und George Bush dem Älteren oder was es an Wettbewerben gab. Das ist schon etwas ganz anderes, weil Trump sich gebrochen hat mit 70 Jahren amerikanischer Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg und sich das in so vielen Bereichen gezeigt hat, wie auch gestern wieder in dem Versuch, eine Wahl zu unterbrechen.
Röttgen: Deutschland muss außenpolitisch aktiver werden
Kaess: Jetzt wird Joe Biden, sollte er tatsächlich diese Wahl gewinnen, auch nicht sagen, "America second". Wo muss sich Deutschland anders aufstellen?
Röttgen: Dieses transatlantische Verhältnis muss neu definiert werden, auch neu begründet werden, auch wenn Joe Biden gewählt wird, weil die USA das erwarten. Die USA werden niemals mehr wieder, jedenfalls in überschaubarer Zeit, das Land werden, das alles regelt und uns das Wesentliche abnimmt, unsere Sicherheit garantiert und mit der führenden Rolle sich zufrieden gibt. Das können und wollen die USA nicht mehr tun.
Wolfgang Ischinger: "Europäische Union sollte gemeinsam reagieren – nicht einzeln"
Es sei beschämend, wie die Europäische Union regelmäßig auseinanderfalle, sagte Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, im Dlf. Die EU müsse darauf umgehend reagieren.
Kaess: Aber was heißt das konkret für die deutsche Politik?
Röttgen: Dass wir uns ganz anders, ganz anders, viel substanzieller mit mehr Ressourcen, mit mehr Geld, mit mehr politischer Initiative in dieses transatlantische Verhältnis, in diese Partnerschaft einbringen müssen.
Kaess: Mehr Geld für Verteidigung?
Röttgen: Es geht auch darum, dass wir mehr für unsere eigene Verteidigung tun müssen. Das werden die Amerikaner, auch Joe Biden, von uns verlangen, und zwar zurecht, weil es ja unsere Sicherheit ist und der Kalte Krieg 30 Jahre vorbei ist. Dass wir mehr für unsere Nachbarschaft, in der östlichen Ukraine, Belarus, Georgien, und in der südlichen, Naher/Mittlerer Osten, Afrika, nördliches Afrika, tun müssen, dass wir eine Form von Arbeitsteilung bekommen, wo wir den USA einen Teil der Arbeit abnehmen, von der wir verlangt haben, dass Trump sie tut, und kritisiert haben, er tut sie nicht.
Kaess: Und das, glauben Sie, ist politisch durchsetzbar?
Röttgen: Das ist unser absolutes eigenes nationales und europäisches Interesse. Wenn wir uns nicht selber für uns engagieren, andere werden es nicht mehr tun. Und wenn wir es nicht tun, werden wir irrelevant werden, und der zurückgekehrte Großmächte-Konflikt wird uns zur Seite drängen und dann werden wir uns nicht behaupten in unseren Interessen und auch nicht in unseren Werten.
Kaess: Ich hatte Sie gefragt, ob Sie glauben, dass das politisch durchsetzbar ist. Was ist da Ihre Einschätzung?
Röttgen: Das war mein Argument. Es ist absolut notwendig im nationalen Interesse und darum glaube ich daran, dass es durchsetzbar ist, weil es notwendig ist. Wir müssen nur über diese Notwendigkeit viel mehr sprechen. Sonst werden wir eines Tages den Schaden erleben, wenn wir uns nicht um das Notwendige gekümmert haben.
Röttgen: Biden würde den Stil normalisieren
Kaess: Was ist mit dem Streit über Handelsfragen, der ja auch im Raum steht, sollte Joe Biden diese Wahl gewinnen? Was ändert sich dann?
Röttgen: Es wird sich der Stil, die Art, wie wir miteinander umgehen, grundlegend ändern. Wir werden wieder vernünftig und normal miteinander umgehen.
Kaess: Aber Stil ist nicht Inhalt.
Röttgen: So ist es. Wenn Sie von all den Konflikten und Meinungsstreiten den irrationalen Trump-Anteil abziehen, dann bleiben Sie bei dem Kern an Konflikten, an Interessenskonflikten, Meinungsverschiedenheiten, die weiter bestehen bleiben werden.
US-Präsident Trump
Trump geht gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vor
Ergebnisse mehrerer Bundesstaaten sind noch unklar und die US-Präsidentenwahl droht zu einer Hängepartie mit gerichtlichem Nachspiel zu werden. Ein Überblick über mögliche Szenarien.
Kaess: Das heißt konkret? Was wird sich beim Streit über Handelsfragen ändern?
Röttgen: In der Handelspolitik rechne ich nicht damit, dass sofort alles zurückgenommen wird, auch an Zöllen. Ich kann mir vorstellen, dass es dann wieder eine Basis für ein Handelsabkommen, ein mögliches, gibt. Auch die Demokraten finden Nord Stream zwei kein gutes Projekt, das wird sich nicht ändern. Die letzte Sanktionsgesetzgebung kam aus dem demokratisch dominierten Repräsentantenhaus.
Wir werden über China neu reden können, glaube ich, aber auch eine Biden-Administration wird absolut auf China und Asien fokussiert bleiben. Auch da muss man dann Konkretes abwarten.
Wir können uns aber – und das ist die Chance – auf vernünftiger Basis einbringen mit unseren Vorschlägen, aber wir müssen sie dann auch haben, wie wir zum Beispiel uns gegenüber China aufstellen.
Kaess: Das hört sich jetzt ein bisschen so an, Herr Röttgen, als würde, wenn Joe Biden Präsident werden sollte, sich außer dem Stil nicht viel ändern.
Röttgen: Nein. Erstens mal ist der Stil – das haben wir nun gesehen –, das ist enorm wichtig, wie man miteinander umgeht, ob man Vernunft und Rationalität als Basis hat. Aber es ist auch mehr als eine Stilfrage, wenn sich der Gesamtansatz ändert. Ich rechne fest damit, Joe Biden wird natürlich wieder dem Pariser Klimaabkommen und die USA werden dann wieder beitreten. Klimapolitik, Klima-Außenpolitik wird ein wichtiges mögliches Kooperationsfeld werden. Die USA werden dann wieder multilateral sich auch der Welt zuwenden. Dieser ganze Ansatz wird sich grundlegend ändern. Aber dass jetzt heile Welt ist und alle Konflikte weg sind, das wäre auch eine Illusion, und der dürfen wir nicht anhängen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Wahlen in den USA (picture alliance / Wolfram Steinberg)