Knapp hat Bernie Sanders die Vorwahl der demokratischen Partei in New Hampshire gewonnen. Der 78-jährige Senator erhielt nach den zunächst vorliegenden Ergebnissen allerdings nur 26 Prozent der Stimmen, ein deutlicher Rückgang zu den 60 Prozent bei der Vorwahl 2016. An zweiter Stelle mit 24 Prozent lag der gemäßigte Demokrat Buttigieg. Der 38-Jährige frühere Bürgermeister hatte die erste Vorwahl in Iowa knapp vor Sanders gewonnen. Die gemäßigte Senatorin Amy Klobuchar kam in New Hampshire auf 20 Prozent, ihre linke Kollegin Elizabeth Warren auf neun - und Ex-Vizepräsident Joe Biden auf acht Prozent. Fragen zum Rennen um die US-Präsidentschaft an den Politologen Andrew Denison.
Dirk Müller: Am Telefon ist nun der amerikanische Politikwissenschaftler Andrew Denison. Er ist selbst bekennender Demokrat. Guten Tag!
Andrew Denison: Ja, bekennender Demokrat, bewaffnet und gefährlich, Laramie (Wyoming) aufgewachsen. Aber ja, Demokrat.
Müller: Demokrat. Inzwischen aber auch demokratisiert?
Denison: Ja, demokratisiert. Ich weiß die Schwächen und die Stärken der demokratischen Partei. Sie kennen ja vielleicht (die Zuhörer auch) Will Rogers, alter Philosoph Amerikas. "Gehören Sie zu einer organisierten Partei", wird gefragt. "Nein, ich bin ein Demokrat." Da ist immer ein bisschen Desorganisation in dieser Partei.
Müller: Okay. Sie sind Freigeist und Politikwissenschaftler, Andrew Denison, deswegen jetzt hier bei uns im Interview. – Jetzt fehlt mir ein bisschen der Anschluss an das, was ich vorher gesagt habe. - Wir wollen über Joe Biden reden, dieses katastrophale Abschneiden, abgeschlagen auf Rang fünf. War es das für den Ex-Vizepräsidenten?
Denison: Ist das nicht klassisch amerikanisch, was hier mit Joe Biden passiert? Es ist ein Paradox im Land der unbegrenzten Widersprüche. Wenn Ihre Zuhörer mal in den Meinungsumfragen schauen, werden sie sehen, dass Joe Biden immer noch national der Favorit ist, und er war immer vorher der Favorit. Aber er konnte irgendwie nie Fuß fassen und seine Art ist nie angekommen, auch seine Ansprüche vielleicht. Auf jeden Fall ist er in Iowa und in New Hampshire stark gefallen und ist trotzdem noch oben in den nationalen Meinungsumfragen.
Müller: Das heißt, es ist doch gar nicht so wichtig, wie viele tun, wie viele Korrespondenten auch interpretieren? Was in Iowa passiert ist, was jetzt in New Hampshire passiert ist, ist nur ein Teil eines ganz, ganz großen Spektakels?
Denison: Aber einen wichtigen Teil, einen sehr wichtigen Teil. Deshalb verbringen die Kandidaten mehr als ein Jahr in diesen zwei kleinen Bundesstaaten New Hampshire und Iowa und sie setzen alles darauf, und daraus ist eine gewisse Überraschung gekommen. Nicht, dass Bernie Sanders gewonnen hat - das haben alle gewusst -, aber dass er nicht so gewonnen hat, wie man erwartet hat, und dass auch Bernie Sanders und Warren zusammen, beide die Linken in der Partei, nicht so gewonnen haben, wie man erwartet hat. Biden ist verloren gegangen, aber Amy Klobuchar und Pete Buttigieg, das sind jetzt die neuen Fahnenhalter der moderaten Gruppe der Partei und die haben gut abgeschlagen. Bernie Sanders hat ja gegen Hillary Clinton mit 60 Prozent gewonnen. Das war ein Sieg. Aber diesmal ist er gerade vorbeigekommen, gerade vor Pete Buttigieg vorbeigekommen.
Bernie Sanders wolle die "Revolution"
Müller: Das ist jetzt Ihre Lesart, sehr interessant. Wir haben Korrespondentenberichte heute Morgen gehört und gelesen, Interpretationen auch studiert, wonach Bernie Sanders als Favorit dort in New Hampshire hineingegangen ist - klar, Nachbarstaat in der Nähe von Vermont. Er ist ja Senator von Vermont. Das war schon klar, haben viele gesagt, dass er gewinnt. Aber dass er trotzdem den Sack zumacht, ist ein klares Zeichen dafür, dass er jetzt der Top Favorit der Demokraten ist. Das sehen Sie noch nicht ganz so?
Denison: Ich meine, die Meinungsumfragen sagen das noch nicht, auch die wettende Meinung, wenn man so will. Trotzdem: Er hat jetzt mehr als alle anderen. Das kann man sagen. Ist er Favorit? Prognosen sind schwer, besonders über die Zukunft. Das was diesen Kampf charakterisiert ist, wie unvorhersehbar er ist.
Müller: Er ist ein Linker, ein demokratischer Sozialist. Ich hatte das auch in meiner Anmoderation noch einmal erwähnt. Das wäre vor vielen, vielen Jahren unvorstellbar gewesen, dass jemand mit diesen Positionen ernsthaft in den Vereinigten Staaten reüssieren kann. Er hatte uns oder viele schon vor vier Jahren überrascht - Sie haben das eben auch noch mal erwähnt - in der Auseinandersetzung mit Hillary Clinton, war dann letztendlich doch unterlegen. Sind die Zeiten für ihn jetzt noch besser?
Denison: Sind die Zeiten für ihn noch besser als damals bei Hillary Clinton? Ich meine, damals waren die Zeiten schlecht. Ja, die Zeiten sind für ihn besser. Er hat Organisation, er ist bekannt. In einer Zeit der Polarisierung kann er gut polarisieren. Ja, er ist nicht nur Logos; er ist Pathos und Ethos. Er regt die Gemüter auf und gerade die jungen, komischerweise, und das ist eine klassisch amerikanische Art. Wenn man versucht, irgendwie in die Zukunft zu schauen, dann denke ich immer, für jede Aktion eine Gegenreaktion. Trump ist auch mit Obama und seiner Krankenversicherung und seiner Einwanderungspolitik und dass er schwarz ist und schlau, Trump ist mit Obama zu erklären. Aber die Reaktion gegen Trump ist auch eine und eine großartige und ein Teil ist sehr radikal. "Revolution" will Bernie Sanders, aber eine andere, sehr pragmatisch wie die Amerikaner, radikal und pragmatisch, und die sagen, es geht um nichts anderes als diesen Mann Trump so schnell wie möglich rauszukriegen, bevor er noch mehr Macht sich aneignet.
Müller: Wer ist für Sie der Beste, der das könnte?
Denison: Das ist jetzt nicht fair! - Ich werde von keinem bezahlt, aber ich höre meinem Herzen zu, nicht nur meinem Kopf.
Müller: Das tun viele Wähler ja auch.
Denison: Es muss eine Reaktion gegen Trump sein. Für mich ist Heartland wichtig. Ist das ein Wort, was die Zuhörer kennen? – Country Heartland, fly over Country, das Herzland Amerikas. Denken Sie, nach Nixon kam Jimmy Carter, Gouverneur von Georgia. Nach Reagan und Bush kam Bill Clinton, Gouverneur von Arkansas. Dann kann ein Schwarzer aus Indiana, gerade mal eine Amtszeit im Senat. Und jetzt kommt Amy Klobuchar und Pete Buttigieg und Amy und Pete, die machen ein gutes Rennen. Was ich an Pete Buttigieg schätze, muss ich sagen - der ist für mich der Beste – ist, dass er intelligent ist, wortgewandt. Er ist bescheiden. Er versucht, Brücken zu bauen, nicht Feindböcke und Sündenböcke, sondern Erklärungen und Lösungen. Er war mal Veteran. Er weiß, was es bedeutet, von unten die Regierung zu erleben. Am Ende natürlich der, der am besten organisieren kann in allen 50 Bundesstaaten. Der verdient dann diese Nominierung. Hoffentlich ist das nicht so kostbar und mit so vielen Verletzungen verbunden, dass man dann nicht in der Olympiade am ersten Dienstag im November gegen Trump siegen kann.
"Wie wird Trump ihn verteufeln?"
Müller: Ich bleibe mal weiter unfair und frage einfach, was mir jetzt einfällt. Ist er vorzeigbar? Ist er ein Strahlemann? Das ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ist er ein charismatischer Kandidat, dem man hinterherläuft?
Denison: Er ist kein Donald Trump. Er ist das Gegenteil von Donald Trump. Er ist nüchtern, er ist bescheiden, aber er ist authentisch - nicht authentisch, indem er politisch unkorrekt ist und einfach den inneren Schweinehund rauslässt. So ist Trump für manche Leute sehr authentisch. Er ist authentisch auf eine andere Weise, was ich für wichtig halte.
Man muss auch fragen: Wie wird Trump ihn verteufeln? – Trump hat gesagt, seine Religion ist nicht glaubwürdig, der tut das nur so. Das ist nie ein Liebesurteil in Amerika, wenn man so was sagt. Trump hat ihn als Alfred Neuman von MAD Magazine - vielleicht kennen die Zuhörer diese "what, me worry?" von Alfred Neuman – charakterisiert. Aber er muss aufpassen, wie er ihn angreift.
Müller: Sie sagen Religion. Das habe ich nicht ganz verstanden. Was meinen Sie damit? Was hat Trump gemeint?
Denison: Er ist katholisch geboren. Die Eltern sind Professoren in Notre Dame.
Müller: War Kennedy ja auch, Herr Denison.
Denison: Was?
Müller: War Kennedy ja auch, katholisch. Er ist auch Präsident geworden.
Denison: Ja, katholisch. Jetzt ist aber Buttigieg anglikanisch, aber er sagt, seine Religion bewegt ihn ein bisschen wie Mitt Romney, der Republikaner, der im Senat gesagt hat, meine Religion sagt, ich muss gegen Trump stimmen. Das ist etwas, was er mitbringt. Er ist nicht die Revolution; er ist die Nüchternheit. Wir werden mal sehen. Ich weiß nicht. Amy Klobuchar ist auch sehr nüchtern und bodengebunden und nicht so in dieser Ablehnung der Wahrheit. Wir müssen auch fragen, haben die Amerikaner es satt mit dieser Kampagne von Lügen, die die Republikanische Partei jetzt übernommen hat, oder wollen die mit den gleichen Methoden spielen. Da ist noch ein bisschen Unsicherheit, wie man Trump bekämpfen soll – kann man verstehen.
Müller: Jetzt haben wir knapp nur noch eine halbe Minute, aber das möchte ich jetzt auch noch fragen. Spielt Politik in der ganzen Auseinandersetzung eine Rolle?
Denison: Spielt Politik? – Ja, was ist Politik? – Kultur ist, was wir wollen, und Amerika ist mitten in einem Kulturkampf, und Politik ist, wie wir es bekommen. Natürlich spielt Politik hier eine Rolle. Es ist die Organisation, es ist Geld, es ist aber auch Inspiration und Leidenschaft. Politik ist, wie viele Leute abstimmen gehen, und in Iowa, da war die Wahlbeteiligung relativ gering und in New Hampshire auch nicht viel größer.
Müller: Ich meinte damit die Inhalte. Ich meinte damit in erster Linie die Inhalte. Spielen Inhalte eine große Rolle, weil darüber haben wir jetzt gar nicht geredet und ich lese auch wenig davon?
Denison: Ja, aber Inhalte sind Geschichten, die einzelne Personen treffen, und nicht abstrakte politische Sachen wie "Wir haben ein Haushaltsdefizit", sondern "Sie kriegen jetzt mal die Kosten Ihrer Krebsvorsorge bezahlt". Das sind Inhalte. Deshalb hat Trump auch 15 Minuten über Krankenversicherung gesprochen - natürlich eine Verdrehung der Tatsachen, aber er weiß, die Leute wollen nicht nur etwas über die bösen Ausländer hören, sondern sie wollen auch ein bisschen über ihr eigenes Leben.
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