Zum Nachhören im englischen Originalton:
das Corsogespräch mit Jamila Woods
das Corsogespräch mit Jamila Woods
Adalbert Siniawski: Jamila Woods, im Song "Vry Blk" singen Sie: "Ich bin so schwarz, schwarz, schwarz" und "Ich schlage zurück, zurück, zurück". Auch die anderen Stücke sind voller Black Power und Stolz. Warum ist Ihnen diese Botschaft so wichtig?
Jamila Woods: Im Song "Vry Blk" geht es darum, meine schwarze Hautfarbe zu akzeptieren. Früher wollte ich bestimmte Facetten meiner Identität verändern. Ob es meine gelockten Haare waren, die ich glätten wollte. Oder das Gefühl, dass ich mich nicht schön fühlte. Oder, dass ich nicht auf eine bestimmte Art und Weise spreche, oder welche Eigenschaft auch immer. Es geht aber auch um die Machtsysteme, die die Schwarzen jeden Tag unterdrücken - ob es Polizeigewalt ist oder unser Schulsystem. Der Song wendet sich gegen all diese Dinge und benutzt dabei eine Sprache, wie man sie aus Klatschspielen kennt. Das ist für schwarze Mädchen eine sehr wichtige Art der Kommunikation. Und mir gefällt es, über meine schwarze Hautfarbe in einer Sprache zu sprechen, die sozusagen verschlüsselt ist, die für schwarze Mädchen eine spezielle Bedeutung hat.
"Schreib' über das, was dir nahe ist"
Siniawski: Sind Ihre Songs also autobiografisch?
Woods: Ja, sie sind auf jeden Fall davon beeinflusst, was ich selbst erlebt habe. Ich bin auch Poetin. Vor allem die Gedichte von Gwendolyn Brooks inspirieren mich sehr. Sie hat immer gesagt: "Schreib' über das, was du kennst. Schreib' über das, was dir nahe ist." Und deshalb geht es in meinen Songs um das, was mich umgibt: meine Erfahrungen aus der Zeit, als ich erwachsen wurde, und meine Identität.
Siniawski: Ihre Songs beschreiben eine ziemlich zerbrechliche Persönlichkeit - vor allem "Lonely" mit der Zeile: "Ich klebe einen Post-it an meinen Spiegel, damit ich mich selbst akzeptiere." Was ist der Hintergrund?
Woods: Ich finde, es gibt einem enormen Druck, sich so zu zeigen, als ob man alles im Griff hätte, und immer glücklich oder richtig cool zu sein. Aber ich fühle mich nicht immer richtig cool oder gut. Vor allem für farbige Menschen - für Frauen mit anderer Hautfarbe - ist es wichtig, sich selbst zuzugestehen, auch mal traurig zu sein oder zu weinen oder einfach das Gefühl des Nicht-Perfekten ausdrücken zu können - und zu akzeptieren, wie man sich fühlt.
Siniawski: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Woods: Ich kann mit diesem Begriff nichts anfangen, aber ich denke, es gibt viele Weiterentwicklungen davon, wie etwa "Womanist". Dieser Begriff macht deutlich, wie die Unterschiede und Schnittmengen im Feminismus sind. Ich finde nämlich, dass der Feminismus in der Vergangenheit sehr weiß war. In der Geschichte gab es viele bedeutsame Feministinnen, die es nicht für wichtig erachtet haben, dass auch schwarze Frauen ihre Rechte bekommen. Ich finde es dagegen wichtig, immer daran zu erinnern, dass es beim Feminismus nicht schlicht um Frauen allgemein geht, sondern um schwarze Frauen, queere Frauen, Trans-Frauen und so weiter.
Die Welt mit den Augen und Ohren anderer kennenlernen
Siniawski: Ich habe im "Vice-Magazine" einen Artikel gelesen von einer Frau, die beschrieben hat, was ihr die Songs von Ihnen bedeuten. Sie schreibt: "Jamila Woods ist eine Künstlerin, die jede junge schwarze Frau inspiriert. Mögen sie ihre Kräfte vereinen und ihre Haarklammern wie eine Krone auf dem Kopf tragen." Wie fühlt es sich an, ein Vorbild zu sein?
Woods: Das fühlt sich toll an, mir gefällt diese Vorstellung. Das ist das, was ich mir von meiner Arbeit erhoffe, dass die Songs den Menschen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen - vor allem schwarzen Mädchen. Es ist interessant: Wenn man in seinen Texten sehr persönlich wird, macht es sie tatsächlich noch universeller. Denn so lernt man die Welt kennen: indem man sie mit den Augen und Ohren anderer Leute erlebt.
Siniawski: Fehlt es jungen, schwarzen Frauen an Vorbildern? Ich meine, es gibt so viele schwarze Popstars in den USA, die für die Rechte der Schwarzen kämpfen, wie Beyoncé, Solange, Alicia Keys, Kendrick Lamar, Blood Orange, Frank Ocean und so viele mehr! Ist das im Jahr 2017 immer noch wichtig?
Woods: Es ist immer wichtig! Es ist toll, wie viele Vorbilder wir unter den schwarzen Künstlern haben - doch es könnten noch mehr sein. Schauen Sie sich mal an, wie viele schwarze Künstler das Glück haben, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen wie Beyoncé? Es sind nicht so viele, wenn man wirklich mal durchzählt. Ich finde, wir haben Vorbilder verdient, die alle Facetten des Schwarzseins repräsentieren. Denn die Musikindustrie will uns einreden: "Oh, es gibt schon eine Beyoncé! Wir brauchen also keine weitere schwarze Sängerin." Aber ich finde, es gibt noch mehr Platz für weitere Vorbilder.
"Wir spüren immer noch Folgen dieser Geschichte"
Siniawski: In einem Song erwähnen Sie unter anderem den Namen Rosa - ich denke, gemeint ist Rosa Parks. Es ist Ihnen wichtig, an die Bürgerrechtler zu erinnern, oder?
Woods: Ja. Geschichte ist mir sehr wichtig. Es gibt ein paar Schlüsselereignisse in der Geschichte der Schwarzen in den USA, die man in der Schule lernt. Aber das ist immer nur die Spitze des Eisbergs - und das finde ich traurig. Amerika hat ein Problem damit, an die nicht so ruhmreichen, die schmerzvollen Kapitel seiner Geschichte zu erinnern. Aber die Wahrheit ist: Wir spüren immer noch Folgen dieser Geschichte. Und mehr über sie zu erfahren und sie zu verarbeiten - nicht nur die Schwarzen, sondern auch die Weißen - um zu lernen, was sich all unsere Vorfahren gegenseitig angetan haben … ich finde, das ist sehr wertvoll.
Siniawski: Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat viel Zulauf und Aufmerksamkeit bekommen in den vergangenen Jahren - selbst im Ausland, hier in Deutschland. Dennoch: Nach den Attacken von Charlottesville und unter einem Präsidenten, der sich nicht wirklich vom Rassismus distanziert, gibt es einen deutlichen Backlash. Hat die Black-Lives-Matter-Bewegung den Kampf verloren?
Woods: Es ist fürchterlich, was in Charlottesville geschehen ist. Für mich und meine Community war es nicht überraschend. Aber ich glaube, viele andere Leute waren überrascht: Menschen, die sich für liberal und offen halten, die es gut meinen; die aber nicht realisiert haben, dass solche Sachen immer noch Realität sind. Dieser Moment war enorm wichtig. Es geht nicht darum, ob "Black Lives Matter" den Kampf gewinnt, sondern darum, dass die weiße Bevölkerung, Leute, die privilegiert sind, erkennen, dass sie nicht immun gegen Rassismus sind. Jeder ist von Rassismus betroffen - ob man von diesem Machtinstrument profitiert oder darunter leidet.
Ich habe den Namen des Autors vergessen, aber es gibt so einen Spruch, dass ein Sklavenhalter genauso seine menschliche Würde verliert, wie der Sklave. Denn man muss einen Teil seiner Menschlichkeit aufgeben, um einen anderen Menschen unterdrücken zu können. Und deshalb haben die Weißen erkannt, dass sie nie vollkommen menschlich sein können, wenn nicht jeder Mensch frei ist. Das hoffe ich zumindest sehr.
Hassliebe für Chicago
Siniawski: Sie performen den Song "LSD" - eine Abkürzung für Lake Shore Drive, eine Straße in Chicago, wenn ich richtig informiert bin - zusammen mit Chance the Rapper. Das ist ja ihr Debütalbum - wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Woods: Wir haben schon einige Male zusammengearbeitet. Ich habe schon mit meiner ersten Band einen Song mit ihm aufgenommen. Einer seiner Titel von seinem ersten Album "Paranoia" dreht sich auch um Chicago, und er spricht ein ähnliches Gefühl an, so eine Hassliebe, die manche Menschen in Chicago spüren - vor allem Künstler. Es ist eine in vielerlei Hinsicht schöne Stadt, aber manchmal auch ein sehr schmerzvoller Ort. Also wollte ich mit jemandem darüber sprechen, der auch aus Chicago kommt.
Siniawski: Können Sie diese zwei Seiten näher beschreiben?
Woods: Wenn Sie Chicago in den Nachrichten sehen, dann meistens im Zusammenhang mit Waffengewalt - schlicht und einfach: Schwarze, die sich gegenseitig umbringen. Das ist das, was man normalerweise hört. Aber worüber das man nicht spricht, ist die strukturelle Gewalt, die eine Stadtverwaltung ausübt, und dass Chicago tief gespalten ist. In den weißen Stadtteilen gibt es genügend Jobs, viele schöne Orte, Parks, gute Schulen. Und in den schwarzen Vierteln werden Schulen geschlossen! Es gibt nicht ausreichend Arbeitsplätze, und einfach nicht genug Dinge, die eine Nachbarschaft lebenswert machen. Darüber wollte ich sprechen. Und auch, dass Chicago die "Second City" genannt wird: Es ist nicht wie New York, es ist nicht wie L.A. Und wenn man in Chicago als Künstler arbeitet, hat man ständig das Gefühl, die Stadt verlassen zu müssen, um etwas Großes zu erreichen und erfolgreich zu sein. Aber ich wollte mit dem Song auch ausdrücken, dass Chicago die größte Inspirationsquelle für mich ist.
Siniawski: Wie schreiben Sie Ihre Songs - alleine oder zusammen mit Produzenten, Toplinern?
Woods: Das ist unterschiedlich. Normalerweise arbeite ich mit einem Produzenten zusammen. Aber ich schreibe meine Texte selbst; ich liebe diesen Prozess. Mich inspirieren Gedichte und Bücher, die ich lese. Ich nehme die Sprache auf und bin vernarrt in Wörter.
"Ich habe meine Stimme lieben gelernt"
Siniawski: Was ist die Idee hinter den Zwischentexten?
Woods: Die Idee zu den Zwischentexten kam mir, als ich etwa zu zwei Dritteln mit dem Album fertig war. Ich dachte, ich brauche Hilfe, um es fertigzustellen. Also habe ich mich an meine Community, meine Freunde und meine Schüler, gewandt. Ich habe sie mit den Themen konfrontiert, über die ich singe, wie: Was verbirgt sich hinter deinem Namen? Oder: Wie fühlst du dich in deiner schwarzen Haut? Welche Liebe erhoffst du dir? Wen vermisst du? Und ich habe die Leute dann darum gebeten, ihre Antworten auf meinem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Am Ende war es ein Dutzend schwarzer Frauen, die sich äußern und es war toll, ihnen dabei zuzuhören, denn sie haben vorher keinen einzigen Song auf dem Album gehört. Aber die Dinge, die sie sagen, haben mir geholfen, die Stücke zusammenzustricken. Das war der Klebstoff, der mit geholfen hat, das Album zu Ende zu bringen.
Siniawski: Wie haben Sie eigentlich Ihr Talent als Sängerin oder Musikerin entdeckt?
Woods: Ich hatte meine Liebe zum Gesang zuerst entdeckt, das war bevor ich mein Talent bemerkt habe. Ich finde nicht, dass ich am Anfang so gut war. Ich habe schon als Kind viel gesungen und Musik geliebt. Meine Familie war musikalisch. Meine Eltern hatten eine große CD-Sammlung, die ich immer durchgehört habe. Ich habe die Stimmen der Sänger nachgemacht. Dann habe ich im Kirchenchor gesungen und Stimmunterricht genommen. So habe ich viel über Gesangskunst gelernt. Und erst nach dem College habe ich eine Band gegründet und meine erste eigene Musik geschrieben und allein gesungen. Und erst als ich solo gesungen habe, habe ich meine Stimme lieben gelernt - und entdeckt, was sie alles kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Album "Heavn" von Jamila Woods ist digital schon verfügbar, auf CD erscheint es am 06. Oktober 2017. Live ist Jamila Woods am 03.11.2017 im Gebäude 9 in Köln zu sehen, als Supporting Act von Jordan Rakei.