Mario Dobovisek: Das Atomabkommen mit dem Iran haben die USA einseitig aufgekündigt und Sanktionen haben sie verhängt, auch gegen all jene, die mit dem Iran Geschäfte machen. Auch deutsche Firmen handeln bereits mit dem Iran oder stehen in den Startlöchern. Ihnen will die Europäische Union helfen und eine Zweckgesellschaft gründen, damit die Sanktionen umgehen und gleichzeitig das Atomabkommen retten. Thema auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in der Generaldebatte, die gestern in New York begonnen hat. Ich spreche mit Rolf Mützenich. Er ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Bundestag und dort für die Außenpolitik zuständig. Guten Morgen, Herr Mützenich.
Rolf Mützenich: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
Dobovisek: Europa will die US-Sanktionen gegen den Iran umgehen und provoziert damit Präsident Donald Trump in Washington. Ist das der richtige Weg?
Mützenich: Die Frage ist, ob es eine Provokation ist. Aber es ist immerhin ein Zeichen.
Dobovisek: Er sieht das jedenfalls so.
Mützenich: Ja, das mag sein, wenn es bei ihm so ankommt. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein Zeichen an die internationale Gemeinschaft, an die Vereinten Nationen, die ja auch im Sicherheitsrat (damals bei Präsident Obama aktiv an diesem Abkommen beteiligt gewesen) auch diesem Abkommen zugestimmt hat. Deswegen, glaube ich, war das die richtige Bühne gestern, auch deutlich zu machen, wie Europa, aber auch die anderen Staaten wie Russland und die Volksrepublik China weiter gedenken, mit diesem Abkommen umzugehen.
Dobovisek: Wie soll diese Zweckgesellschaft für den Handel mit dem Iran funktionieren?
Mützenich: Ich glaube, man muss ernsthaft natürlich sagen, dass es wahrscheinlich keine großen zum Beispiel deutsche Unternehmen wieder überzeugen würde, im Iran zu investieren, weil wenn Sie die Geschäfte vergleichen, wird es wahrscheinlich eher der US-amerikanische Markt sein, der diese großen deutschen Unternehmen dorthin bringen wird. Aber ich glaube, mittelständische Industrie, vielleicht auch der eine oder andere Dienstleister könnte Interesse daran haben, wenn er sich auf den Nahen und Mittleren Osten, vielleicht dann ganz konkret auf den Iran konzentriert, darüber seine Geschäfte entweder abzuwickeln, oder auch Sicherungsleistungen zu erhalten. Das macht möglicherweise dann auch Investitionen besser kalkulierbar.
Mützenich: Es wird Europa, es wird der Bundesregierung nicht gelingen, den Großen die Angst zu nehmen?
Mützenich: Das glaube ich nicht. Dafür sind einfach die Marktkräfte zu stark.
Dobovisek: Es ist ja tatsächlich, wie ich anfangs gesagt habe, eine Art Verscherzen mit Donald Trump. Das nimmt er jedenfalls so wahr. Eine Eskalation - das haben wir auch gestern in den Reden vernommen, in den Reden von Donald Trump selber und auch in der Rede von Präsident Rohani aus dem Iran. Ist das klug?
Mützenich: Nein, es ist ein großes Problem, insbesondere, dass man das auch vor der Weltöffentlichkeit letztlich tut, überhaupt nicht mehr die Gelegenheit nimmt, am Rande solcher Sitzungen sich auch zu verständigen, möglicherweise Zwischentöne herauszuhören. Das war ja immer die Funktion auch letztlich dieser …
"Zu den zahllosen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten sollen nicht noch weitere treten"
Dobovisek: Sie sprechen damit an, Herr Mützenich, wenn ich da einhaken darf, dass beide nicht willens sind, sich zu treffen.
Mützenich: In der Tat, und da gab es in der Vergangenheit immer Foren, wo das möglich gewesen wäre. Von daher muss man das bedauern und wir gerade in Europa, in Deutschland haben ein großes Interesse daran, dass zu den zahllosen Konflikten im Nahen und Mittleren Osten nicht noch weitere treten. Deswegen sollte ja auch das Atomabkommen der Einstieg möglicherweise in ein regionales Sicherheitssystem sein. Der Iran hat bestimmte Sicherheitsansprüche. Er hat aber auf der anderen Seite auch ein Verhalten wie zum Beispiel in Syrien oder an anderer Stelle, wo wir auch als Europäer sagen müssen, hier brauchen wir Vertrauensbildung, und das wäre durchaus durch das Atomübereinkommen auch möglich gewesen.
Dobovisek: Wie gefährlich ist die aktuelle Konfrontation?
Mützenich: Sie ist durchaus bedenklich, weil natürlich jeder Funke wieder erneut dazu beiträgt, dass Misstrauen, aber auch Aufrüstungsprozesse stattfinden. Wir haben gesehen den jüngsten terroristischen Angriff auf eine iranische Militärparade zum Gedenken an einen achtjährigen Krieg zwischen dem Irak und dem Iran. Das ist schon ein sehr wichtiges Symbol. Aber wir haben zum Beispiel den Jemen, wo wir eine Situation vorfinden, wo auch jederzeit von dort aus eine weitere Eskalation passieren kann, weil wir dürfen nicht Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate außen vor lassen bei diesem Konfliktgeschehen.
Dobovisek: Direkte Folgen spüren ja alle bereits an den Zapfsäulen. Die Kraftstoffpreise sind so hoch wie lange nicht mehr - eine Folge auch der Sanktionen. Mit welchen Folgen müssen wir noch rechnen?
Mützenich: Ich glaube einfach, dass wir auf der internationalen Bühne eine weitere Verschärfung, auch die Situation wiederfinden, dass Institutionen, die Regeln geschaffen haben, nicht mehr zur Friedenslösung bereitstehen. Das waren ja in der Vergangenheit durchaus, nicht in jedem Fall, aber durchaus beachtlich auch die Vereinten Nationen. Das wird natürlich auch den Wirtschaftsmarkt, aber insbesondere die internationale Politik beeinflussen und damit Krisen auch immer wieder in eine Situation führen, wo möglicherweise Europa durch Flüchtlinge oder auch durch andere Dinge belastet werden kann.
Dobovisek: Jetzt bewegt sich die EU weiter weg von den USA, im Schulterschluss mit Russland und China. Neue Allianzen in einer neuen Zeit?
Mützenich: Auch das mag sein. Aber wir dürfen uns es letztlich nicht so vorstellen, dass es nicht weiterhin gemeinsame Interessen gibt. Es ist gar keine Frage. Mit Trump in den USA, egal ob er dann als Präsident wiedergewählt wird, wird sich auch ein neues Verhalten der USA im internationalen Raum abbilden. Und ich glaube, Europa ist klug beraten, seine eigenen Fähigkeiten letztlich zu finden. Für uns besteht Sicherheitspolitik nicht nur in einer militärischen Antwort, sondern insbesondere in der Diplomatie, aber auch in der zivilen Krisenprävention, und von daher ist es schon wichtig, dass wir versuchen, auch als europäische Regierungen hier den einen oder anderen Pflock auch einzuschlagen.
"Viele Länder schätzen, dass Deutschland als Vermittler auftritt"
Dobovisek: Den Pflock einschlagen, sagen Sie. Deutschland sah sich bisher auch immer ein wenig, ein Stück weit als Vermittler. Hat Deutschland diese Position aufgegeben, weil es jetzt klar Position bezieht und sich auch an der Zweckgesellschaft beteiligen will?
Mützenich: Ich glaube, wir haben uns nicht als Vermittler aufgedrängt. Aber wir müssen einfach akzeptieren, dass es in der internationalen Politik viele Länder gibt, die auch wertschätzen, dass Deutschland sich versucht, in die unterschiedlichen Interessen hineinzudenken und daraus auch versucht, Kompromisse zu bilden. Anders geht es letztlich nicht. Aber Deutschland wird diese Rolle weiterhin übernehmen, insbesondere dann, wenn es Regierungen gibt, die sich an Multilateralismus und insbesondere an Regeln und Prinzipien in der internationalen Politik orientieren, und das tut die jetzige Bundesregierung.
Dobovisek: Ich möchte auch noch mit Ihnen über ein innenpolitisches Thema sprechen: Den Paukenschlag von gestern, so wie er heute oft betitelt wird, der Wechsel an der Fraktionsspitze der Union, der Sturz Kauders. Sie sind stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, des Koalitionspartners. Hat Sie das überrascht?
Mützenich: Mich hat das überrascht. Ich war nicht davon ausgegangen, dass es zu diesem Ergebnis kommt. Aber das ist eine persönliche Einschätzung. Andere Kolleginnen und Kollegen waren da vielleicht realistischer.
Dobovisek: Was wird das mit der Zusammenarbeit machen zwischen Union und SPD?
Mützenich: Das kann ich heute nicht beurteilen. Aber dass Ralph Brinkhaus unmittelbar nach seiner Wahl auch die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles aufgesucht hat, hat ja noch mal dokumentiert, wie wichtig ihm scheinbar auch diese Koalition und die Koalitionsvereinbarung ist. Und wir werden nach den Inhalten weiter arbeiten.
Dobovisek: Jetzt sehen viele auch Konsequenzen für die Kanzlerin, für die Regierungschefin. Christian Lindner von der FDP fordert gar ein Misstrauensvotum auch gegen sie, eine Abstimmung im Bundestag. Wie sehen Sie das?
Mützenich: Nun, das sind Reaktionen, wo die Backen aufgeblasen werden. Wir wollen vernünftig arbeiten und ich glaube, das ist auch nach den letzten Wochen notwendig.
Dobovisek: Ist vernünftig arbeiten mit Personal wie zum Beispiel Horst Seehofer noch möglich?
Mützenich: Das muss man letztlich sehen. Ich glaube, der Innenminister ist gut beraten, wenn er die Aufgaben, die wir im Koalitionsvertrag gefunden haben, wirklich mal ernst nimmt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.