Jonas Reese: In der Wirtschaftspolitik ist das eher selten: Europa und Russland sind einer Meinung! Beide kritisieren das Sanktionspaket der USA gegen Russland. Das Gesetz ist nun auf dem Weg, im Kongress wurden jetzt letzte Hindernisse beseitigt. Sanktionen, um Wirtschaftssanktionen durchzusetzen, und das auf dem Gasmarkt! Das kennt man ja eigentlich nur von Wladimir Putin bislang! Vor der Sendung habe ich deshalb Michael Harms, den Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft gefragt: Betreiben die USA jetzt also russische Wirtschaftspolitik?
Michael Harms: Ja, vielleicht so weit würde ich nicht gehen in dieser Analyse, aber Sie haben schon recht, das liest man ja im Gesetz auch selbst: Einerseits wird postuliert, dass man einen freien und liberalisierten Energiemarkt in Europa braucht und verschiedene Bezugsquellen erschließen muss; und im nächsten Absatz wird dann wieder gesagt: Aber wir entscheiden, welche Pipeline gebaut wird und was verboten wird und was erlaubt. Das ist ein Widerspruch direkt auch im Text und uns gefällt das gar nicht. Das ist eine Politik, die glaube ich auch marktwirtschaftlichen Prinzipien widerspricht. Und die Extraterritorialität der Sanktionen ist auch etwas, was viele deutsche Unternehmen sehr besorgt.
"Auch noch amerikanische Jobs und Energieexporte fördern - untergräbt Ziel der Sanktionen"
Reese: Im Gesetzestext der USA heißt es ja auch, dass dieses Gesetz dazu dienen soll, die Energieexporte aus den USA nach Europa anzukurbeln. Kann man da nicht aber eigentlich sagen, dass das auch im Sinne Deutschlands ist? Denn es heißt ja eigentlich: Mehr Konkurrenz belebt das Geschäft – bedeutet mehr Unabhängigkeit und im Endeffekt eigentlich auch billigeres Gas!
Harms: Das ist absolut im Sinne Deutschlands und da haben wir auch überhaupt nichts dagegen. Wir treten dafür ein, dass die Politik einen klaren Rahmen, eine klare Regulierung für den Energiemarkt setzen muss und dass sich innerhalb dieses Regulierungsrahmens das bestmögliche Angebot durchsetzen muss, dass die Privatunternehmen, die großen Energiekonzerne entscheiden, wo Gas gekauft wird, welche Pipeline gebaut wird oder ob es Flüssiggas ist oder andere Bezugsquellen. Das muss letztendlich der Markt regeln. Womit wir ein Problem haben, ist, dass dieses Sanktionsgesetz ja eigentlich der Durchsetzung klarer außenpolitischer Zielstellung dient. Und diese Vermischung, dass man einerseits sagt, man will außen- und sicherheitspolitische Ziele gegenüber Russland durchsetzen und sozusagen anbei auch noch amerikanische Jobs sichern und fördern und amerikanische Energieexporte fördern, das, glaube ich, ist etwas, was die Zielsetzung der Sanktionen untergräbt und dem Ganzen einen etwas schalen Beigeschmack gibt.
Reese: Wenn ich Sie da richtig verstehe, dann stört es Sie gar nicht so sehr, dass die USA auf den Gasmarkt drängen, aber es stört Sie, dass sie das unter dem Deckmantel dieser Sanktionen machen?
Harms: Nein, also, natürlich haben die USA mit ihrem großen Schiefergasvorkommen und dem jetzt genehmigten Export für Flüssiggas – ich will daran erinnern, dass bis glaube ich zum letzten Jahr das noch grundsätzlich verboten war, diesen Export-Ban hat erst Obama aufgehoben –, das stört uns nicht. Wir treten für einen Wettbewerb auf dem Energiemarkt ein, je mehr Bezugsquellen es gibt, je mehr Arten des Bezuges, desto besser für uns, desto günstiger sind die Preise, desto mehr Auswahl haben wir, desto besser ist es auch für den Verbraucher. Das ist überhaupt nicht das Thema. Aber wenn man, wie gesagt, unter dem Deckmantel außenpolitischer Maßnahmen hier seine Wirtschaftsinteressen durchsetzen will, das ist eine Herangehensweise, die wir – das haben Sie zu Recht festgestellt – bislang aus anderen Teilen der Welt kannten.
"Wir müssen uns auf das Schlimmste auch gefasst machen"
Reese: Bundeswirtschaftsministerin Zypries hat jetzt gesagt, sie wolle Gegensanktionen prüfen, die seien auch unter dem Deckmantel der WTO gedeckt. Wladimir Putin, der russische Präsident hatte wortwörtlich gesagt, er wolle später auf diese Frechheit reagieren. Droht da jetzt ein Handelskrieg?
Harms: Im schlimmsten Falle ja. Ich glaube, alle werden sich – sowohl die Kommission, die Bundesregierung als auch die russische Seite – natürlich zurückhalten und werden erst mal sehen, erstens: Wird das Gesetz in dieser Form angenommen, wie es jetzt im Gesetzesentwurf steht? Und zweitens: Wie wird es dann implementiert? Das kann sein, dass das alles nicht so schlimm kommt, wie wir das jetzt voraussehen. Aber wir müssen uns auf das Schlimmste auch gefasst machen. Und wie gesagt, in der ganz extremen Variante schließe ich auch … ja, vielleicht Handelskrieg ist ein zu starkes Wort, aber gegenseitige handelsbehindernde Maßnahmen nicht aus.
Reese: Die Sanktionen der USA richten sich ja gerade gegen die außenpolitischen Maßnahmen Russlands in den vergangenen Monaten und Jahren, also die Annexion der Krim, die Unterstützung des syrischen Machthabers und die Einflussnahme auf den US-Wahlkampf. Jetzt auch in den vergangenen Tagen waren hier die Schlagzeilen über den Einsatz von Siemens-Turbinen auf der Krim-Halbinsel entgegen eigentlich den Abmachungen auf politischer Ebene. Da wundert es ja schon etwas, dass sozusagen die deutsche Bundespolitik auch dem russischen Präsidenten da so ein bisschen, sage ich mal, zu Hilfe eilt!
Harms: Ich glaube, das ist nicht etwas, das die Bundesregierung dem russischen Präsidenten zu Hilfe eilt, diese Einschätzung teile ich nicht. Die Bundesregierung hat sich ja auch in dem Siemens-Fall sehr klar positioniert und neue Maßnahmen gegen russische Offizielle aus dem russischen Energieministerium als auch bei den beteiligten Firmen, die wie gesagt wider das sehr, sehr klare Abkommen diese Turbinen auf die Krim verfrachtet haben. Also, die Bundesregierung traut sich durchaus, auch gegen Russland hier den Ton zu verschärfen, was auch aus unserer Sicht in diesem Falle angemessen ist. Die Problematik in den USA liegt wo ganz anders. Wie gesagt, das sind unilaterale Maßnahmen, die mit den Europäern vorher nicht abgestimmt werden, die extraterritorial – ich wiederhole das – Interessen europäischer Firmen berühren und die, wie gesagt, unter dem Deckmantel von außenpolitischen Sanktionen eigene Wirtschaftsinteressen durchsetzen. Das sind die drei Punkte, mit denen wir, nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EU-Kommission – Juncker hatte sich da ja sehr klar geäußert – eben ein Problem haben.
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