US-Sport
Wie die Suizidrate unter Collegesportlern gesenkt werden könnte

Der Selbstmord des US-Golfers Grayson Murray erschüttert die Sportwelt. Und er zeigt auf, dass Sportler weiterhin unzureichend auf psychische Probleme vorbereitet sind - sowohl im Profi- als auch im Collegesport.

Von Jürgen Kalwa | 16.06.2024
Auf einem Bildschirm am Rande eines Golfturniers wird ein Foto des verstorbenen Grayson Murray mit Geburts- und Todeshjahr gezeigt.
Der US-Golfer und zweimaliger PGA-Sieger Grayson Murray nahm sich im Alter von 30 Jahren das Leben. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / LM Otero)
Der amerikanische Golfprofi Grayson Murray schien nach jahrelangem Kampf gegen Depression und Alkoholsucht auf einem guten Weg. Anfang des Jahres gewinnt er auf Hawaii zum zweiten Mal ein Turnier auf der nordamerikanischen PGA-Tour. Murray hatte nicht nur zum ersten Mal seit sieben Jahren ein Golf-Turnier auf höchster Ebene gewonnen. Er war sogar in der Lage, seine psychischen Probleme vor laufenden Kameras zu thematisieren.
“Die harte Arbeit hat sich ausgezahlt. Ich wollte schon oft aufgeben. Mich selbst. Das Golfspiel. Manchmal wollte ich sogar mein Leben aufgeben. Ich hoffe, jeder kann sich davon inspirieren lassen. Wenn ich nur einem einzigen Menschen helfe, ist schon viel gewonnen."
Fünf Monate später ist die Depression aber zurückgekehrt. Der 30-jährige Murray nimmt sich im Mai das Leben. Die Nachricht von seinem Tod schockiert die amerikanische Sportwelt.
Golf-Profi Peter Malnati kämpft mit den Tränen. “Ich kannte Grayson nicht sehr gut, aber ich habe die letzten zwei Tage mit ihm zusammen verbracht. Es ist schon komisch. Wir sind so ehrgeizig. Jeder will den anderen schlagen. Und dann passiert so etwas. Und man merkt: Wir sind alle einfach nur Menschen."
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen: Wer das Gefühl hat, an einer Depression zu leiden oder sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation zu befinden, sollte nicht zögern, Hilfe anzunehmen. Hilfe bieten zum Beispiel auch die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800 111 0 111, das Info-Telefon Depression unter 0800 3344533 oder die Stiftung Deutsche Depressionshilfe auf ihrer Website.

Psychologen sind auf Leistungssteigerung fokussiert

Nach der Todesnachricht ist Jay Moynahan, der Geschäftsführer der  PGA Tour, sofort zum gerade laufenden Turnier nach Texas geflogen. Eine Übung in Krisenmanagement und Public Relations. Es galt, den Vorwurf zu entkräften, dass die Organisation nicht genug leiste, um Aktive aufzufangen und sie in kritischen Phasen zu unterstützen. Denn genau das hatte Murray zuletzt 2021 sehr lautstark in den sozialen Medien bemängelt. Und genau dabei hatte sie jetzt versagt.
Jay Moynahan: "Wir sind stolz auf unsere Programme, um unsere Spieler - jeden hier - zu unterstützen. Dass wir Grayson verloren haben, macht mich natürlich sehr traurig. Aber in den Gesprächen, die ich mit ihm hatte, besonders im letzten Jahr, habe ich sehr viel von ihm gelernt. Er war offen und transparent.”
Psychologen gehören im Profi-Golf zwar seit Jahrzehnten zum Milieu. Einer der berühmtesten: Bob Rotella, der seit den 80er-Jahren diverse Golf-Profis betreut hat und dessen Bücher zu Bestsellern wurden. Rotella ist dadurch Trendsetter geworden. Dass es für ihn aber vor allem darum geht, die Leistung zu optimieren, hat er vor ein paar Jahren gegenüber dem Deutschlandfunk offen zugegeben.
“Mich hat interessiert, wie man Menschen, die bereits sehr gut sind, zu wahrer Größe führt. In den sechziger und siebziger Jahren war die Psychologie mehr auf Menschen mit erheblichen mentalen Problemen konzentriert. Und darauf, sie alltagstauglich zu machen. Das war nichts für mich.”

Studie skizziert Ausmaß der Krise

Zu dieser Aussage passen die Ergebnisse einer Studie, die das “British Journal of Sports Medicine” im April veröffentlicht hat. Darin heißt es, dass sich die Suizidrate unter Collegesportlern zwischen 2002 und 2022 verdoppelt hat. Nicht nur im Profisport, sondern auch an den Universitäten werden also die Aktiven bei psychischen Problemen nicht gut genug aufgefangen. Trotz modernen Anlagen und ausgebildeten Trainern und Betreuern. Und es ist ein gesellschaftliches Problem: Hinter Unfällen und Mord ist Suizid die dritthäufigste Todesursache in der Altersgruppe zwischen 15 und 24.
Die Hauptautorin der Studie, Bridget Whelan von der University of Washington in Seattle, hofft deswegen, dass das Problem stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt: “Die Studie kann ein wichtiger Beitrag zum Thema psychische Gesundheit und Selbstmord sein. Vor allem, um es zu entstigmatisieren und solche Gespräche zu erleichtern, auch unter Spitzensportlern. Sicherlich kann dieses Papier auch genutzt werden, um aufzuzeigen, wie groß das Problem ist. Und dass es wohl häufiger vorkommt, als wir bisher gedacht haben.”
In Einzelfällen haben berühmte Athleten wie Turnerin Simone Biles und Schwimmer Michael Phelps in dieser Hinsicht schon einiges getan. Der erfolgreichste Olympionike aller Zeiten berichtet nach seinem Karriereende davon, dass er nach jeder Olympia-Teilnehme depressiv gewesen sei. Biles verzichtet 2021 bei den Olympischen Spielen in Tokio auf mehrere Starts und spricht ebenfalls öffentlich über ihre mentalen Probleme.

University of Washington startet Programm zur Suizidprävention

Whelan geht es aber darüber hinaus darum, praktische Ansätze zur Suizidprävention umzusetzen. Etwas, was über bereits existierende, gut klingende “Best-Practice”-Papiere hinausgeht. Zumindest die University of Washington investiert in konkrete Schritte. Sie sind nicht halb so aufwändig wie die medizinische Betreuung von Sportlern in ungesunden Kontaktsportarten wie Football. Das Stichwort lautet: Gezieltes Screening - die sogenannte Vorfelddiagnostik.        
"Wir werden im Sommer ein Programm zur Suizidprävention einführen. Die Idee ist, alle Mitarbeitenden und Studierenden gleichermaßen darin zu schulen, wie man auf Warnzeichen achtet. Und was zu tun ist, wenn man sie sieht. Wie man ein Gespräch mit der fraglichen Person beginnt und wie man ihr konkret verfügbare Ressourcen zur Verfügung stellt.”
Um so vielleicht ähnliche Todesfälle wie von Grayson Murray in Zukunft zu verhindern.