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US-Turnen
Simone Biles: "Ich hätte vor Tokio aufhören müssen"

Sechs Wochen nach den Olympischen Spielen von Tokio hat US-Turnstar Simone Biles erstmals ausführlich über ihre Erfahrungen in Tokio gesprochen. In einem Interview mit dem New York Magazine beschreibt sie ihre Empfindungen vor Ort und sagt: "Ich hätte vor Tokio aufhören müssen."

Von Andrea Schültke | 28.09.2021
Biles blickt nach unten.
Simone Biles sagt vor dem Ausschuss aus (Saul Loeb/Pool via AP/dpa/picture-alliance)
Wenn einer Turnerin das Luftgefühl abhandenkommt, kann das für eine Weltklasseathletin wie Simone Biles lebensgefährlich sein. Das wird beim Lesen des Artikels sofort klar. Dort beschreibt die Olympiasiegerin und Rekordweltmeisterin, wie sie sich in Tokio vom Sprungbrett abstößt und feststellt, sie kann sich in Gedanken nicht sehen und hat die Karte des Bodens nicht im Kopf um sicher zu landen.

"Hätte nicht zum Team gehören dürfen"

Für sie unerwartet und erschreckend zugleich. Sofort habe sie sich vom Wettkampf abgemeldet. "Meine Einstellung hat sich noch nie so schnell geändert - vom Wunsch, auf dem Podium zu stehen zu dem Wunsch, allein und ohne Krücken nach Hause gehen zu können". Das schildert die 24jährige der US-Schriftstellerin und Dichterin Camonghne Felix.
Für die Seriensiegerin, die in Tokio auf fünf Medaillen abonniert war, eine einschneidende Erfahrung. Mit einigen Wochen Abstand urteilt sie jetzt: "Wenn man schaut, was ich in den letzten sieben Jahren alles durchgemacht habe, hätte ich nie wieder zum Olympia-Team gehören dürfen. Ich hätte vor Tokio aufhören müssen". Mit "durchgemacht", bezieht sich die Athletin auf den sexuellen Missbrauch durch US-Turnarzt Larry Nassar.

Vorwürfe gegen Turnverband und das FBI

Öffentlich hatte Biles den US-Turnverband beschuldigt, sie und hunderte andere betroffene Sportlerinnen nicht vor dem Serien-Täter Nassar beschützt zu haben. Vor knapp zwei Wochen hatte sie bei einer Senatsanhörung gemeinsam mit anderen US-Turnerinnen dem FBI im Zusammenhang mit dem Fall Vertuschung vorgeworfen.
Im New York Magazine erklärt die Athletin aber auch, warum sie trotz all dieser Erfahrungen und den Taten von Larry Nassar weitergemacht hat: "Ich wollte nicht zulassen, dass er mir das wegnimmt, wofür ich seit meinem sechsten Lebensjahr so hart gearbeitet habe", sagte Biles in dem Interview. Demnächst geht sie auf Turntournee in den USA - ob sie jemals wieder einen Wettkampf bestreiten wird, lässt sie offen. Fazit der Autorin: Simone Biles kann entscheiden, was es jetzt bedeutet, Simone Biles zu sein.