Ein Samstagmorgen Ende November in West Des Moines, einem Vorort der Hauptstadt von Iowa. Joe Biden will hier in einer schmucklosen Mehrzweckhalle eine Wahlkampfrede halten. Draußen verbreitet eine Eisverkäuferin gute Laune – sie verkauft wegen der Kälte kein Eis, sondern Schoko-Cookies.
Eine lange Warteschlange hat sich vor dem Eingang gebildet.
Ben Kipney ist 61 Jahre alt und bekennt, schon lange ein Fan von Joe Biden zu sein – weil er seine jahrzehntelange politische Erfahrung schätzt und seine stets fortschrittliche Haltung, wie er sagt. Er glaube aber nicht, dass Joe Biden als Sieger aus den Vorwahlen in Iowa hervorgehen wird.
Tatsächlich ist Biden in den Umfragen zurückgefallen. Die Propaganda-Kampagne, die Donald Trump in der Ukraineaffäre gegen Joe Biden fährt, hat dem ehemaligen Vizepräsidenten Barack Obamas bereits zugesetzt - obwohl Trump für die erhobenen Korruptionsvorwürfe keinerlei Belege hat. Ben Kipney glaubt aber, dass Joe Biden dennoch der einzige Kandidat der Demokratischen Partei ist, der Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen schlagen kann.
Ben Kipney, der frierend vor dem Einlass zur Wahlkampfveranstaltung von Joe Biden steht, weiß also schon, wen er bei den Vorwahlen der Demokraten in Iowa am 3. Februar wählen wird. Zwei Drittel der Wähler sind dort aber immer noch unentschieden. Das hat auch mit der besonderen Rolle dieses Bundesstaates im Herzen der USA zu tun. Ländlich und weiß wie kein zweiter, setzt er den Auftakt zu den Vorwahlen in allen anderen Bundesstaaten. Wer bei den Demokraten in Iowa als Gewinner hervorging, gewann seit 1996 auch die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten.
Doch noch ist das Bewerberfeld zu groß, um schon Prognosen zu wagen, sagt der Journalist David Yepsen, der viele Jahre als Politikchef bei der Tageszeitung "Des Moines Register" arbeitete und heute noch eine eigene Fernsehshow hat.
"Die Wähler in Iowa wollen einen Siegertypen küren. Aber dieses Rennen ist so unentschieden, weil die Leute sich nicht darauf verständigen können, wer das sein könnte."
Zumal die Demokraten in zwei Lager gespalten sind. Die einen sind die sogenannten Zentristen, die die Wähler der Mitte binden und politisch wieder zu normalen Verhältnissen zurückkehren wollen, wie sie sagen. Die anderen sind die Progressiven, die Parteilinken, die auf Reformen drängen und auf programmatische Erneuerung. Viele demokratische Wähler haben Angst, einen Kandidaten auf den Schild zu heben, der dann möglicherweise gegen Donald Trump verliert, sagt Yepsen.
Wer kann Donald Trump schlagen? Das ist die angstbesetzte Kernfrage dieses ersten demokratischen Vorwahlkampfes in Iowa. Niemand anderes als mein Mann Joe Biden, ruft Jill Biden in die Menge, die sich um das Rednerpult in der Mitte des Saales drängt. Das sagt auch der ehemalige Gouverneur von Iowa, Tom Vilsack, der an diesem Samstagmorgen offiziell seine Unterstützung für Joe Biden erklärt – den ehemaligen Vizepräsidenten und mit Abstand prominentesten Kandidaten der Demokraten. Vilsack lobt ihn als "realistischen Visionär", wie er sagt - in Abgrenzung zur Parteilinken.
Biden und das Altersproblem
Tom Vilsack zählt die Pfunde auf, die Joe Biden in die politische Waagschale dieses Wahlkampfes werfen kann: seine jahrzehntelange politische Erfahrung, sein Verhandlungsgeschick, seine Fähigkeit, Brücken zu bauen und Streit zu schlichten. Vilsack sagt, Biden sei der richtige Mann, um das Land aus der Dunkelheit der letzten Jahre zu führen und es zu einen.
Joe Biden umarmt den Ex-Gouverneur. Er trägt ein dunkelblaues Jackett, das ein bisschen zu groß wirkt. Leicht vornüber gebeugt geht er zum Rednerpult und winkt in die Menge. Dann sagt er: "Putin kennt mich. Er will nicht, dass ich Präsident werde. Und Donald Trump möchte verhindern, dass ich Spitzenkandidat der Demokraten werde". Mit keinem Wort geht Biden auf die Schmutzkampagne ein, die Donald Trump gegen ihn führt.
Joe Biden will sein Land zurückführen in die Normalität und Kontinuität der Obama-Jahre, wie er sagt: Es gelte, die Seele Amerikas wiederzuentdecken. Deshalb lautet sein Ziel – neben dem Sieg über Donald Trump -, die gespaltene Nation wieder zusammenzuführen.
Vor der Tür diskutieren Diane, Bill und Ann über die Rede Bidens. Die drei sind befreundet und allesamt um die sechzig Jahre alt. Auch sie sind noch unentschlossen, wen sie am 3. Februar bei ihrem caucus wählen sollen – diesen kleinen und kleinsten Parteiversammlungen, in denen stundenlang diskutiert und um das Votum gerungen wird. Er glaube schon, dass Joe Biden der beste Kandidat sei, um Trump zu schlagen, sagt Bill.
Wenn sich die Demokraten zu weit nach links bewegten, würde man die unabhängigen Wähler verlieren, gibt Diane zu bedenken.
Joe Bidens Problem ist sein Alter, sagt Ann. Biden ist 77. Er verspricht sich häufig und wirkt oft etwas fahrig. Er müsste sich viel offensiver um die jungen Wähler kümmern.
Joe Biden ist der Kandidat des demokratischen Establishments. Der Wunschkandidat der älteren Demokraten und vieler Afroamerikaner. Aber er ist nicht der Kandidat, der für einen Neuanfang steht. Das ist Pete Buttigieg.
Biden ist exzellent. Aber wir brauchen junges Blut, sagt ein älterer Herr in Creston, etwas mehr als eine Autostunde von Des Moines entfernt. "Mayor Pete" hat sich angesagt, wie alle Pete Buttigieg nennen. Er ist 37 Jahre alt, Bürgermeister von South Bend in Indiana. Buttigieg ist bekennender Homosexueller - und der geradezu jugendlich wirkende Gegenspieler zu Joe Biden im Lager der moderaten Demokraten. Sein schwer eingängiger Nachname – sein Vater kam aus Malta in die USA - findet sich in Lautschrift auf vielen Ansteckern: "Boot-Edge-Edge". Pete Buttigieg hat sich in den Umfragen in Iowa an die Spitze gesetzt. Für ihn sei er klarer Favorit, sagt Bryce Bach.
Bryce Bach ist 34 Jahre alt und mit seiner Schwester in die triste Basketballhalle nach Creston gekommen. Auch er habe sich noch keine endgültige Meinung gebildet, sagt er. Aber er wolle den jungen Hoffnungsträger einmal selbst erleben. Das sei ja das Tolle, dass man in Iowa alle Kandidaten persönlich zu Gesicht bekomme. Wenn Biden angeblich zu alt ist, ist Buttigieg dann zu jung? Nein, ältere Kandidaten seien auch nicht automatisch erfahrener, sagt Bryce.
Die Führungserfahrung von Buttigieg beschränkt sich auf das Bürgermeisteramt einer Kleinstadt. Ein bisschen Regierungserfahrung wäre nicht schlecht, meint Bryce. Oder etwas außenpolitische Expertise. Aber er vertraue Buttigieg. Schließlich sei er Afghanistan-Veteran.
Mit großen Schritten nimmt Buttigieg die Treppe auf die Bühne. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Er ist ein geschickter Redner und lädt die Zuhörer ein, sich den Tag vorzustellen, an dem Donald Trump nicht mehr im Weißen Haus sitzt.
Mit diesem Tag, sagt Buttigieg, ist allerdings noch kein einziges Problem gelöst. Das Land sei so tief gespalten wie nie zuvor. Und er wolle es wieder zusammenführen.
Einkommensunterschiede, soziales Gefälle, Bildungsnotstand
Pete Buttigieg steht wie Joe Biden für die Rückkehr zur "Normalität". Für das andere, bessere Amerika, in dem jeder seinen Platz hat. Buttigieg ist politisch das Spiegelbild Joe Bidens, nur jünger, agiler, frischer. Und doch gibt es Zweifel an beiden, analysiert der Journalist David Yepsen, den viele "das Orakel von Iowa" nennen.
"Die Wähler durchleben alle Höhen und Tiefen. Sie mögen Joe Biden sehr, aber sie zweifeln: Ist er nicht zu alt? Und tatsächlich hat er sich ja etwas durch die Debatten hindurch gestammelt. Davon hat Pete Buttigieg profitiert. Er ist jung und redegewandt. Aber ist er nicht doch zu jung? Außerdem ist er offen schwul. Und das hat es bisher in der amerikanischen Politik noch nicht gegeben. Niemand weiß, wie die Wähler darauf reagieren. Und es könnte ein Grund sein, weshalb er sich mit den Afroamerikanern so schwertut. Das sehen sich die Wähler alles an – sie können ruckzuck heute für den einen Kandidaten sein und morgen für einen anderen."
Die Zweifel bei vielen Wählern gegenüber Biden und Buttigieg beziehen sich aber auch auf die politische Agenda beider Kandidaten, meint David Yepsen. "Vorwärts, wir müssen zurück", reiche als politisches Programm nicht mehr aus.
"Diese Leute sagen: Das Motto "zurück zur Normalität" greife zu kurz und werde den politischen Realitäten nicht mehr gerecht. Ja, es gibt Probleme. Deshalb brauchen wir einen Präsidenten, der das Heft in die Hand nimmt und Politik aktiv gestaltet. Wir können nicht einfach zurück in die Obama-Ära. Also, wie soll unsere Politik aussehen? Eher revolutionär? Oder doch lieber evolutionär?"
Die Verunsicherung der demokratischen Wähler in Iowa und im ganzen Land speist sich nicht nur aus der bangen Frage, wer Donald Trump schlagen kann. Sie speist sich aus vielen Selbstzweifeln, Gegensätzen, Widersprüchen, die so einfach nicht aufzulösen sind. Da ist das Alter der Kandidaten. Mann oder Frau? Homo oder Hetero? Schwarz oder weiß? Vor allem aber: In welche Richtung soll es politisch gehen? Mehr oder weniger nach links?
Demokratische Vordenker sehen die Demokratische Partei in einem tiefgreifenden Wandel, quasi in einem Häutungsprozess. Die Reformer wollen das alte neoliberale Outfit abstreifen und die Wall-Street-Nähe der Clinton-Tage hinter sich lassen. Sie wollen der Partei stattdessen ein sozialliberales Programm verordnen, das sich der großen gesellschaftlichen Themen annimmt. Es ist ein Versuch, zeitgemäße Antworten zu finden auf die vielen Verwerfungen und Umbrüche, mit denen moderne Industriegesellschaften überall konfrontiert sind: Zuwanderung, Einkommensunterschiede, soziales Gefälle, Bildungsnotstand. Viele Demokraten wollen sich auf den Weg zu einer Partei der umfassenden Reformen machen.
Verwirklichung eines amerikanischen Traums
Das ist die zweite Paarung dieses Wahlkampfs – neben Biden und Buttigieg -, die derzeit in Iowa zu besichtigen ist, die Paarung links der Mitte: Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Beide sind aus dem demselben politischen Holz geschnitzt. Sanders unterlag 2016 Hillary Clinton im Nominierungswettkampf und macht heute denselben Wahlkampf wie damals. Jetzt hat ihn Elizabeth Warren in den Umfragen überrundet. Während Bernie Sanders nach seinem Herzinfarkt geschwächt wirkt, macht die 70-jährige Senatorin aus Massachusetts mächtig Wind.
Auf ihrem Kapuzen-Pulli steht ihr Wahlkampf-Motto, das auch ihr persönliches sein könnte: Dream Big. Fight hard. Träume groß. Und kämpfe hart. Dazu trägt die schlanke, große Frau mit der randlosen Brille enge Hosen und Sneakers. Unermüdlich tigert sie über die Bühne, immer in Bewegung. Sie kommt aus prekären Verhältnissen und erzählt von ihrer Mutter, die alles daransetzte, für die Kinder das Haus zu erhalten.
Sie erzählt aus ihrem Leben und von der Verwirklichung ihres amerikanischen Traums: Grundschullehrerin, Jura-Studium, Harvard- Professorin, Senatorin, Präsidentschaftskandidatin. Sie verknüpft ihre Biographie mit ihrer politischen Agenda. Früher sei es möglich gewesen, mit einem kleinen Gehalt eine ganze Familie zu ernähren, ruft sie in den Saal in Des Moines. Heute gehe das nicht mehr.
Sie fordert eine Anhebung des Mindestlohns, kostenloses Studium, eine Milliardärs-Steuer. Und natürlich: Medicare for all. Eine Krankenversicherung für alle. Mit diesem Thema ist sie angeeckt, dieser Plan hat ihr geschadet: Alle Amerikaner in eine steuerfinanzierte Krankenversicherung zu zwingen, das kam nicht gut an, weil das als staatliche Bevormundung erlebt wird. Inzwischen ist sie zurückgerudert und will eine Übergangsfrist einführen. Doch seither sinkt ihr Stern
Nick Michler, ein junger Lehrer, der mit Freunden in den Val Air Ballroom nach West Des Moines gekommen ist, sagt: Das hätte sie eigentlich wissen müssen, dass dieses Wahlversprechen völlig unrealistisch war.
Seither heißt es, dass sich Elizabeth Warren politisch ins Abseits manövriert habe. Sie sei schlichtweg nicht wählbar. Nick widerspricht. "Das Argument der Nicht-Wählbarkeit, das kaufe ich nicht. Jeder, der bereit ist, für seine politischen Ziele zu kämpfen und die amerikanischen Werte hochzuhalten, ist auch wählbar."
Elizabeth Warren will ihren Wählern Hoffnung machen. Dabei scheint sie selbst ein Grund für deren Verunsicherung zu sein: Viele bezweifeln, dass sich die Wähler von Iowa trauen, nach dem Wahldebakel Hillary Clintons erneut eine Frau ins Rennen zu schicken.
Zweifel müssten Warren indes selbst kommen – es ist äußerst fraglich, ob sie ihren Wahlkampf weiterhin mit voller Kraft fortsetzen kann. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump wird für sie und vier weitere Senatoren, die sich bei den Demokraten um die Präsidentschaft bewerben, zu einer schweren Hypothek für den Wahlkampf, sagt David Yepsen.
"Das Impeachment-Verfahren macht die Präsenz jedes Senators im Kongress erforderlich. Das bringt den Wahlkampf praktisch zum Erliegen. Und ich denke, die republikanische Mehrheit im Senat wird sich sagen: Ok, wenn ihr den Präsidenten des Amtes entheben wollt, dann sorgen wir dafür, dass eure Präsidentschaftskandidaten hier so lange herumsitzen wie nur irgend möglich."
Profitiert am Ende Trump?
Das sind die praktischen Folgen des geplanten Impeachment-Verfahrens für den Präsidentschaftswahlkampf 2020. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump hängt jedoch auch atmosphärisch wie ein Damokles-Schwert über den Demokraten – niemand weiß, ob es ihnen politisch nützen oder eher schaden wird. Auch das nährt die Verunsicherung im Lager der Demokraten.
"Es gibt eine Menge Demokraten, die sagen: Ist das wirklich eine gute Idee? Viele hatten ohnehin schon Bedenken: Bringt es uns mehr, wenn wir versuchen, Trump aus dem Amt zu jagen? Oder ist es nicht besser zu versuchen, ihn bei den Wahlen zu schlagen?"
So sehen sich die Demokraten im Wahlkampf gegen Donald Trump mit vielen Fragezeichen konfrontiert. Bei der Suche nach einem Spitzenkandidaten, der ihn besiegen könnte, tun sie sich sichtbar schwer. Statt eines einzelnen Favoriten oder eines Führungsduos gibt es diesmal ein Führungsquartett: Biden, Buttigieg, Warren, Sanders. Viele hatten gehofft, dass sich auch die farbige Senatorin Kamala Harris noch nach vorne schieben könnte. Sie hat mittlerweile aufgegeben – was bereits die Frage aufwarf, ob es den Demokraten in Donald Trumps Amerika zu riskant ist, eine "woman of color" aufzustellen.
Die Stimmung unter den verbliebenen Kandidaten wird indes immer gereizter. Die New York Times sieht bereits einen quälenden Nominierungsprozess voraus, der sich noch über Monate hinziehen könnte. Der Warren-Anhänger Nick Michler wünscht sich deshalb nichts sehnlicher, als dass sich die Demokraten endlich auf einen Kandidaten einigen. Wir flirten schon mit der nächsten Katastrophe, sagt er.
Der Profiteur der Rat- und Orientierungslosigkeit der Demokratischen Partei, meint Nick Michler, könnte am Ende Donald Trump sein.