Die Menschen in den USA wählen einen neuen Präsidenten – oder zum ersten Mal in der US-Geschichte eine Präsidentin. Nach dem Rückzug von Amtsinhaber Joe Biden tritt Vizepräsidentin Kamala Harris für die Demokraten als Kandidatin an. Für die Republikaner geht nach seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 erneut Donald Trump ins Rennen.
In den USA gewinnt nicht unbedingt die Person die Präsidentschaftswahl, die die meisten Stimmen erhält. Weder George W. Bush noch Donald Trump holten 2000 beziehungsweise 2016 die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, die sogenannte popular vote. Dennoch gewannen die Republikaner jeweils die Wahl und zogen rechtmäßig ins Weiße Haus ein. Grund dafür war das Electoral College: ein Wahlkollegium, das mehrheitlich jeweils den Präsidenten bestätigte.
Was ist das Electoral College?
Die 538 Wahlleute in diesem Gremium kommen aus allen 50 US-Bundesstaaten, jeder Bundesstaat hat mindestens drei Stimmen. Die Wahlleute repräsentieren das Mehrheitsvotum in ihrem Bundesstaat.
Weil es in vielen US-Bundesstaaten eine klare Tendenz zur demokratischen oder republikanischen Partei gibt, steht in den meisten Staaten das Votum der Wahlleute schon vor der Wahl fest. So kann Kamala Harris im Electoral College etwa mit den Stimmen aus Kalifornien und New York rechnen, Donald Trump hat die Wahlleute aus Texas oder Wyoming sicher.
Für mehr als 40 US-Bundesstaaten lässt sich bereits vor der Wahl sagen, ob dort Kamala Harris oder Donald Trump die Nase vorn haben. Für den Wahlsieg brauchen sie aber mindestens 270 Wahlleute, und die erreichen sie nicht mit den Bundesstaaten, die ihnen schon sicher sind.
Das Zünglein an der Waage sind jene sechs bis sieben Bundesstaaten, in denen republikanische und demokratische Kandidaten ähnlich viel Unterstützung erhalten. Auf eben diese Swing States konzentrieren beide Seiten ihren Wahlkampf, wo mal demokratische, mal republikanische Präsidentschaftsbewerber die entscheidenden zehn- oder hunderttausend Stimmen mehr für den Wahlsieg holen.
Die Anzahl der Wahlleute hängt von der Größe des Bundesstaates ab
Auf welche Swing States kommt es dieses Jahr an?
Im Präsidentschaftswahlkampf 2024 wird von sieben Staaten als Swing States gesprochen. Die „Blue Wall“ besteht aus Pennsylvania im Nordosten und Michigan und Wisconsin im Mittleren Westen, alles Staaten, die früher stark industriell geprägt waren. Als „Blaue“ werden in den USA die Demokraten bezeichnet. Wenn die sogenannte „blaue Mauer“ dieser drei Bundesstaaten nicht hält, dann wird Kamala Harris die Wahl kaum gewinnen können.
Umfragen im Oktober 2024 sehen hier weitgehend einen Gleichstand zwischen den Kandidaten. Seit Donald Trump haben die Republikaner in den Swing States des Nordens ordentlich zugelegt. Arizona, Nevada und Georgia sind im Süden der USA - die „Sun Belt“ Swing States.
Mit sehr knappen Siegen hat Joe Biden 2020 in diesen sechs Bundesstaaten die Präsidentschaftswahl für sich entschieden. Auch North Carolina wird zu den Swing States gezählt. Vor vier Jahren betrug der Vorsprung des Gewinners in allen sieben Swing States weniger als drei Prozentpunkte.
Für Aufsehen sorgte am Wochenende vor der Wahl eine Umfrage aus Iowa. Laut der Erhebung liegt Harris in dem eigentlich konservativen Bundesstaat vor ihrem Gegner Trump. Andere Umfragen sehen Trump um wenige Prozentpunkte vorn. Iowa galt dem Republikaner als sicher und wurde nicht zur engeren Gruppe der Swing States gerechnet.
Manche US-Staaten sind seit vielen Wahlen Swing States. Aber das kann sich ändern. Florida war länger in dieser Kategorie, heute ist der Bundesstaat im Südosten der USA fest in der Hand der Republikaner, Ohio ebenso. New Hampshire wählte früher bei Präsidentschaftswahlen mal republikanisch, mal demokratisch. 2020 gewann dort Joe Biden, in diesem Jahr gibt es eine leichte Tendenz zu Kamala Harris.
Was passiert jetzt in den Swing States?
Für die Kandidaten lohnt es sich, um jede Stimme in den Swing States zu kämpfen. Weil anderswo praktisch schon feststeht, wer gewinnt, ist der Einsatz dort umso größer und aggressiver. Deshalb sind Kamala Harris und Tim Walz auch mit Auftritten in allen Swing States in ihren gemeinsamen Wahlkampf gestartet. Und auch deshalb tritt Donald Trump dort regelmäßig auf und hat seinen Vize J. D. Vance auf die Mission geschickt, vor allem weiße Wähler in Pennsylvania und Michigan einzunehmen.
Die demokratische Partei hat schon vor Monaten zusätzliche Wahlkampfbüros in den Swing States eingerichtet und bezahlte Helfer engagiert. Seit dem Kandidatenwechsel von Biden zu Harris haben sich mehr als eine Million Menschen bereit erklärt, persönlich im Türwahlkampf oder am Telefon Wählerinnen und Wähler für Kamala Harris zu gewinnen.
Die Republikaner schließen Wahlkampfbüros
Die Republikaner haben im Frühjahr aus Geldgründen etliche Wahlkampfbüros der Partei geschlossen. Sie setzen vor allem auf die Unterstützung Trump-loyaler Organisationen wie Turning Point USA, um Bürger zu motivieren, Trump zu wählen und Geld für den Wahlkampf zu spenden.
Millionen Dollar gehen in diesen Monaten in die Fernsehmärkte in den Swing States. Ein großer Teil der Hunderte Millionen Dollar Wahlkampfspenden geben beide Kampagnen für TV-Spots für ihre Kandidaten aus. Die umfangreichste und teuerste Fernsehwerbung läuft in Pennsylvania, weil dieser US-Bundesstaat mit 19 die meisten Wahlleute der Swing States stellt.
Was verändert der Kandidatenwechsel von Biden auf Harris?
2020 hatte Joe Biden alle Swing States bis auf North Carolina gewonnen, in Arizona und Georgia besonders knapp. Im Sommer 2024 war die Lage völlig anders: Biden lag in allen Swing States bis auf Wisconsin hinter Donald Trump, teilweise um mehrere Prozentpunkte.
Demokratische Stammwähler waren nicht motiviert, Wechselwähler nicht überzeugt. Dieses Bild hat sich deutlich verändert: In den Swing States liegt die demokratische Präsidentschaftsbewerberin Kamala Harris im Mittel der Umfragen nun etwa mit Donald Trump gleichauf.
Harris mobilisiert die Wählerschaft
Harris hat es Meinungsforschern zufolge geschafft, das demokratische Wählerpotenzial in den sechs, sieben Staaten zu mobilisieren und erreicht darüber hinaus vor allem Frauen und junge Leute. Umfragen zeigen, dass Wähler und Wählerinnen Donald Trump weiterhin mehr Kompetenz bei den Themen Wirtschaft, Migration und Sicherheit zuordnen. Dafür hält eine Mehrheit Kamala Harris unter anderem mental für geeigneter, die US-Präsidentschaft zu übernehmen.
Viele Umfragen im Juni und Juli deuteten darauf hin, dass eine Mehrheit der Bürger in Maine, Minnesota und Virginia anders als 2020 Donald Trump wählen könnte. Seit Joe Bidens Abgang hat Kamala Harris Trump in diesen Staaten überholt, während dessen Wahlkampagne ihre Pläne für großflächige Fernsehspots in diesen Regionen aufgegeben hat.
Einen zusätzlichen Hoffnungsschub erhielt Harris durch eine überraschende Umfrage aus Iowa. In dieser lag sie vor Trump. Iowa, das Trump in den letzten Wahlen klar gewonnen hatte und als sicher galt, könnte neue Dynamik in den Wahlkampf bringen.
Wer profitiert noch von Harris' Kandidatur?
Vom Aufschwung durch die demokratische Spitzenkandidatin profitieren auch andere Demokraten in den Swing States. Am 5. November finden zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl Wahlen zum US-Senat, zum Abgeordnetenhaus und auf lokaler Ebene statt. Die Kandidaten für alle Ämter stehen untereinander auf einem großen Wahlzettel, in langen Spalten, die nach Parteien getrennt sind. Ganz oben die Präsidentschaftsbewerber.
Angst vor den Down-Ticket-Wählern
Die berechtigte Sorge vieler demokratischer Kandidaten war: Joe Bidens Unpopularität werde auch sie teuer zu stehen kommen. Denn nicht alle Wählerinnen und Wähler vergeben ihre Stimmen gezielt an Personen. Sehr verbreitet ist die Down-Ticket-Wahl, bei der man als erstes den Präsidentschaftskandidaten wählt und dann innerhalb derselben Spalte die Kandidaten für alle anderen Ämter - und damit vom Weißen Haus bis zum Schulausschuss nur für Bewerber einer Partei stimmt.
Der Wechsel zu Kamala Harris und der damit verbundene Aufschwung für die Demokraten kann in den Swing States nun allen Kandidaten ihrer Partei zugutekommen.
bth