Generell zeigt sich Anton Börner, Präsident des Bundesverbands des deutschen Groß- und Außenhandels (BGA), aber gelassen und "eher etwas ruhiger" in Hinblick auf mögliche Auswirkungen der US-Wahl auf die deutsche und europäische Wirtschaft. "Wir sind keine zahnlosen Tiger in der Europäischen Union. Wir sind ein riesiger Markt, der für die amerikanische Industrie und die amerikanische Wirtschaft und für das amerikanische Finanzwesen unverzichtbar ist."
Nicht zuletzt könnte auch die Beschaffenheit des US-Rentensystems vor schlechten wirtschaftspolitischen Entscheidungen schützen, erklärte Börner. Schließlich lägen die amerikanischen Renten an der Börse, und das Rentensystem sei darauf angelegt, dass das Finanzwesen stabil ist. "Wenn man langfristig sehr schlecht wirtschaftet und sich gegen die Wirtschaft, und das heißt jetzt in diesem Fall gegen die Weltwirtschaft positioniert und eine Politik betreibt, die der Weltwirtschaft schadet, schadet das den Finanzmärkten und damit schadet das auch den Rentnern."
Birgid Becker: Wie blicken deutsche Firmen auf die US-Wahl? Sind die Unternehmen, die Geschäfte in den USA machen, ebenso kritisch gegenüber Donald Trump eingestellt, wie das bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Fall ist? Ist Joe Biden auch für die Unternehmen mit Exportgeschäft der Wunsch-Präsident? Darüber habe ich vor der Sendung mit dem Präsidenten des Außenhandels-Verbandes BGA gesprochen, mit Anton Börner. Wünschen sich die Firmen, die mit den USA zu tun haben, ein Ende der Ära Trump?
Anton Börner: Das ist eine ganz schwierige Frage, ein Ende der Ära Trump. Wir wünschen uns ein Ende, sagen wir mal, dieser Polarisierungspolitik, und da glauben wir schon, dass wir mit Herrn Biden einen etwas moderateren Gesprächspartner haben, was den Ton betrifft. Aber in der Sache, glaube ich, wird sich nicht sehr viel ändern, denn die Amerikaner gehen eine sehr klare Politik, dass sie ihre Interessen der Vereinigten Staaten vorne anstellen, und da nehmen sie relativ wenig Rücksicht auf andere Strukturen.
Ich sage es noch mal: Trump ist vom Ton her natürlich etwas ruppig und nicht unbedingt diplomatisch. Biden ist ein höflicher Mensch und etwas freundlicher. Aber in der Sache glaube ich, dass sie sich nicht so wahnsinnig voneinander unterscheiden.
Becker: Also "America first" in der Handelspolitik würde bleiben, meinen Sie? Was heißt das denn praktisch?
Börner: "America first" bleibt auf jeden Fall. Es ist die Frage, wenn man etwas moderater an die Sache herangeht, ob man sich mit der WTO wieder ein bisschen mehr zusammensetzt und dann versucht, gewisses Porzellan, was jetzt zerschlagen wurde, wieder zu kitten. Aber wie fest dieser Kitt ist, da habe ich meine großen Bedenken. Ich glaube nicht, dass wir in rosige Zeiten kommen, gerade wenn wir auch die Verhältnisse anschauen, wie USA sich mit China die nächsten Jahre aufstellen wird, oder umgekehrt China mit den USA. Da kommt noch sehr viel Sturm auf uns in Europa zu und das sehen wir natürlich schon mit großer Sorge.
"Langfristig glaube ich, dass das Modell WTO ein gutes Modell ist"
Becker: Lässt sich denn überhaupt etwas verbessern an den Schäden, die Donald Trump der Weltwirtschaft mit seiner Handelspolitik zugefügt hat?
Börner: Also langfristig glaube ich, dass das Modell WTO ein gutes Modell ist und dass die Welt gut daran tut, sich auch wirtschaftspolitisch, handelspolitisch mit einem solchen multilateralen System auseinanderzusetzen. Jetzt ganz kurzfristig – das will ich auch mal für die nächsten drei, vier, fünf Jahre so sehen – wird sich an dem grundsätzlichen Aufstellen der WTO nichts ändern. Die WTO ist zurzeit nicht in einer sehr starken Position. Sie wird auch von den großen Mächten nicht unterstützt, weil jede der großen Mächte meint, sie könnte alleine besser auf Kosten der anderen wirtschaften und weiterkommen, und es dauert einfach seine Zeit, bis man erkennt, dass das ein Irrtum ist, eine Sackgasse ist. Langfristig – das heißt aber jetzt über zehn Jahre hinaus – glaube ich, dass die WTO wieder kommt. Kurzfristig nein.
Becker: Nun ist Biden ja kein politisch Unbekannter. Er nahm mitten in der Finanz- und Bankenkrise 2009 seinen Dienst als Vizepräsident auf, und da gehörte es zu seinem Job, ein 800 Milliarden Dollar schweres Nothilfe-Budget zu überwachen. Außer dem netteren Ton, den Sie ja Biden unterstellt haben, hat er denn in Unternehmenskreisen auch den Ruf, von Wirtschaft etwas zu verstehen?
Börner: Ich glaube, wichtig ist, dass er gute Berater hat. Welche Berater wählt er sich? Wählt er sich kompetente Leute, die von der Sache was verstehen? Und das traue ich Herrn Biden zu, dass er das tut. Und damit kommt die nächste Frage: Hört er auf seine Berater? Wenn der Präsident zwar gute Berater hat, aber nicht darauf hört, dann nützt das auch wenig. Da, glaube ich, habe ich Hoffnung, dass er das tut.
Und man darf eine Sache in Amerika nicht unterschätzen: Ich schaue immer, wo die Renten in einer Gesellschaft basiert sind. Die amerikanischen Renten insgesamt liegen an der Börse. Das heißt, das amerikanische Rentensystem ist darauf angelegt, dass das Finanzwesen, das Finanzsystem erfolgreich ist und stabil ist. Und das ist ein empfindlicher Seismograph. Wenn man langfristig sehr schlecht wirtschaftet und sich gegen die Wirtschaft, und das heißt jetzt in diesem Fall gegen die Weltwirtschaft positioniert und eine Politik betreibt, die der Weltwirtschaft schadet, schadet das den Finanzmärkten und damit schadet das auch den Rentnern.
Insofern gibt es da ein Druckmittel, das auf Marktbasis wirkt, und da kann sich kein Präsident herausmogeln, unabhängig, welche Berater er hat und unabhängig davon, was er sich so vorstellt. Die normative Kraft des Faktischen, des Geldesels und des Dollars wird die größten Exzesse verhindern. Da bin ich fest überzeugt, dass das so ist.
Becker: Aber wenn es danach geht, dann müsste die Ära Donald Trump ja noch anhalten, denn niemand hat ja der Börse besser getan in den letzten Jahren als eben Donald Trump.
Börner: Ja, das ist schon richtig, was Sie sagen. Aber das ist in meinen Augen eine kurzfristige Betrachtung, weil man den schnellen Dollar machen konnte, weil das natürlich auch mit seinen Reformen gerade sehr stark in die Richtung Stärken der Reichen und der Stabilisierungsdruck von den Finanzmärkten meines Erachtens in Amerika das letzte Wort haben wird.
"Wir sind keine zahnlosen Tiger in der Europäischen Union"
Becker: Wie sehr hat denn Donald Trump deutschen Firmen mit Geschäftsaktivitäten in den USA überhaupt geschadet, wenn wir jetzt mal von den großen Autokonzernen, von denen so oft die Rede ist, weggucken? Viele Unternehmen sind ja so spezialisiert in einer Nische, diese berühmten "Hidden Champions", dass es zu ihren Produkten überhaupt keine Alternative gibt, und denen konnte Donald Trump ja nicht wirklich etwas anhaben.
Börner: Wenn ich jetzt in die Geschichte zurückgehe, die letzten 30 Jahre, dann haben wir immer Irritationen mit den Vereinigten Staaten gehabt, unabhängig welcher Präsident gerade an der Spitze war. Da ging es dann mal mit Stahl, dann ging es wieder mit landwirtschaftlichen Produkten. Es geht immer rauf und runter. Das nehme ich jetzt nicht so wahnsinnig ernst.
Der Schaden ist immer fraglich. Ein Unternehmen oder einzelne Unternehmen aus einer bestimmten Branche, die können dann schon mal unter Druck geraten und können auch mal darunter leiden, aber das gesamte wirtschaftliche Geschehen Europas und Deutschlands im Besonderen, glaube ich, ist daran gewöhnt, mit diesen Dingen umzugehen. Das geht mal hoch und geht mal wieder runter.
Man darf ja auch nicht sehen: Wir sind keine zahnlosen Tiger in der Europäischen Union. Wir sind ein riesiger Markt, der für die amerikanische Industrie und die amerikanische Wirtschaft und für das amerikanische Finanzwesen unverzichtbar ist. Wenn man uns reizt, können wir auf Ebene der Europäischen Union schon auch unsere Zähne zeigen. Das wissen die Amerikaner auch. Ich glaube, da muss man sehr unterscheiden zwischen Rhetorik und zwischen dem, was dann wirklich kommt. Ich bin da eher etwas beruhigt, eher etwas ruhiger.
Becker: Was ist denn die größte Sorge der Unternehmen mit Blick auf die US-Wahl? Noch ist ja nicht ausgemacht, dass es zu geordneten Verhältnissen nach dem 3. November kommt.
Börner: Ich glaube, das ist das Schlimmste, was Sie jetzt ansprechen. Wir wissen alle nicht genau, erstens wie die Wahl wirklich ausgeht, zweitens was dann passiert, wenn wir das Wahlergebnis wissen oder wenn wir es immer noch nicht wissen. Wie verhält sich das Oberste Gericht, wie verhalten sich Bevölkerungsgruppen? Das Schlimmste, der Gau, den wir uns vorstellen können, ist Chaos in den Vereinigten Staaten und Stillstand, eine Art Paralyse, wo keiner genau weiß, wo es raus und reingeht und wie es jetzt weitergeht und es ein ziemliches Durcheinander geben könnte.
Ich muss jetzt sagen, ich bin jetzt kein Mensch, der immer die Apokalypse an die Wand malt. Ich glaube das eher nicht, dass so was kommt, sondern wir werden wahrscheinlich ein klares Ergebnis haben und dann wird es mal einen großen Aufschrei geben von irgendeiner Partei, die dann verloren hat, und dann wird man irgendwo wieder zum Business as usual kommen, weil es ja auch gar nicht anders geht. Und in dieser Situation der Pandemie, in der wir uns bewegen, darf man gar nicht unterschätzen, was das auch für einen Druck auf die Gesellschaft ausübt. Ich glaube, die Leute haben momentan andere Probleme, als sich über diese Dinge Gedanken zu machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.