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US-Wahl
"Zuversichtlich, dass die Demokratie weiterleben wird"

Der Politikwissenschaftler Yascha Mounk bescheinigt den USA eine noch funktionierende Demokratie. Donald Trump habe sie zwar massiv attackiert, ihr bisher aber nicht dauerhaft schaden können, sagte er im Dlf. Das könne sich ändern - insofern sei die kommende Wahl sehr entscheidend.

Yascha Mounk im Gespräch mit Manfred Götzke |
US-Präsident Donald Trump tanzt, nachdem er während einer Kundgebung am 31. Oktober 2020 in Montoursville, Pennsylvania, mit Anhängern gesprochen hat.
Trump, der in Umfragen sowohl landesweit als auch in mehreren möglicherweise entscheidenden Bundesstaaten hinter Biden liegt, setzt auf eine Flut von Wahlkampfauftritten, um seine Anhänger zu mobilisieren. (AFP / Getty Images / Eduardo Munoz)
Ist die amerikanische Demokratie noch zu retten – diese Frage hat sich noch nie derart aufgedrängt wie vor dieser Wahl. Am 3. November 2020 wählen die US-Amerikaner ihren nächsten Präsidenten. Bei der Wahl steht die Frage im Raum, ob die auch nach demokratischen Prinzipien abläuft. Das demokratische Prinzip der Gleichwertigkeit der Stimmen ist in den USA ja ohnehin nicht gegeben. Stimmen in kleinen ländlichen Staaten wiegen dort um ein Vielfaches mehr als die in großen wie Kalifornien.
Aber bei dieser Wahl kommt noch ein undemokratischer Störfaktor dazu: der Präsident. Trump will zum Beispiel 50.000 "Wahlbeobachter" rekrutiert haben. Die sollen die Wahl aber nicht nur beobachten, sondern Wähler gezielt vor der Stimmabgabe abhalten, denn eine hohe Wahlbeteiligung nutzt in der Regel den Demokraten. Swing States wie Pennsylvania bereiten sich deshalb schon auf Störungen vor. Und nach der Wahl bleibt die Frage, ob Trump das Ergebnis überhaupt akzeptieren wird, wenn er verliert - oder seine rechtsextremen Anhänger zu Unruhen anstachelt. Ist die US-Demokratie also gescheitert – und wie wäre sie noch zu retten?
US-Präsident Donald Trump von den republikanern und sein Herausforderer, der frühere US-Vize-Präsident Joe Biden während der ersten TV-Debate auf einem Smartphone-Bildschirm. Im Hintergrund eine Karte der USA.
Der Kampf um die Swing States
Swing States spielen seit jeher eine große Rolle bei den US-Präsidentschaftswahlen: Sie sind Hauptaustrageorte der Wahlkämpfe und können Wahlen entscheiden. Aber was genau macht einen Staat zum Swing State – und wie verändert die Corona-Pandemie das aktuelle Wahlgeschehen?
Yascha Mounk lehrt Politikwissenschaften in Harvard und blickt mit Sorge auf die politische Gewalt, die schon seit vielen Monaten in den USA zu beobachten sei. Und wenn der Präsident der Vereinigten Staaten diese Unruhen auf Twitter noch befeuere, könnte es sehr unangenehm werden. Dennoch mahnt er zur Besonnenheit in der Beurteilung. Mounk geht davon aus, dass die Stimmabgabe in der Mehrheit der Wahllokale ohne Störungen ablaufen werde. Und bei einem knappen Sieg Joe Bidens müsse man zwar mit Unruhe rechnen und auch damit, dass es Tote geben könne. Das sei tragisch, doch bürgerkriegsähnliche Zustände, bei der die Zahl der Toten sich um ein Vielfaches steigere, halte er für unwahrscheinlich.
"Die amerikanischen Institutionen haben sich relativ gut geschlagen"
Donald Trumps Umgang mit den amerikanischen Institutionen bezeichnete der Politikwissenschaftler als "unverantwortlich und unverzeihlich". Er habe den Direktor des FBI ausgetauscht, das Justizministerium habe zum Teil sehr politische Entscheidungen getroffen auf eine Weise, die wirklich gegen demokratische Normen und Regeln verstoße, auch einige unabhängige Bürokraten seien ausgetauscht und unterminiert worden. Das alles habe den Institutionen sicherlich geschadet – doch gleichzeitig hätten sie sich auch relativ gut geschlagen und die Demokratie in Amerika sei noch nicht so lädiert wie in anderen Ländern, etwa der Türkei oder Ungarn oder Venezuela.
"Gerichte bleiben weiterhin unabhängig und stimmen manchmal der Trump-Administration zu, oft aber auch nicht, wir sehen im Land natürlich weiterhin eine sehr, sehr rege und lebhafte Medienlandschaft, auch das ist in vielen Ländern, die von autoritären Populisten regiert werden, nicht mehr der Fall." Und eine Mehrzahl der Amerikaner könne sich bei der Wahl entscheiden, Trump abzuwählen. Insofern seien die letzten vier Jahre ein bedeutender Test für die amerikanischen Institutionen gewesen, den sie bestanden hätten. Ob sie weitere vier Jahre Donald Trump leicht aushalten würde, bezweifle er aber.
Wahlveranstaltung mit US-Präsident Donald Trump am 30. Oktober 2020 in Rochester, Minnesota
US-Präsidentschaftswahl: "Trump wäre in einer zweiten Amtszeit völlig ungehemmt"
Bei der US-Präsidentschaftswahl gehe es nicht nur um die amerikanische Demokratie, sagte der langjährige Harvard-Politikwissenschaftler Karl Kaiser im Dlf. Es gehe auch um die Zukunft Westens – bei einer Wiederwahl Trumps drohe die Zerstörung der Nachkriegsarchitektur.
"Tatsächlich eine sehr, sehr wichtige Wahl"
"Es dauert lange, bis man eine alte, verfestigte Demokratie zerstört", so Yascha Mounk. In seinen ersten vier Jahren sei Herrn Trump das zum Glück noch nicht gelungen. Falls er die Wahl aber gewinne, müssten wir uns wirklich um das Fortbestehen der amerikanischen Demokratie Sorgen machen. Bei einem Wahlsieg des Demokraten Joe Biden sei er aber durchaus zuversichtlich, dass die amerikanische Demokratie weiterleben werde. Die Amerikaner könnten dauerhafte aus der Lektion lernen, dass sie jemandem wie Donald Trump in Zukunft kein Vertrauen schenken sollten. "Dann ist die Demokratie dadurch gefestigt und wir können diesen Albtraum in die Geschichtsbücher verbannen. Insofern ist das tatsächlich eine sehr, sehr wichtige Wahl."
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020