In Milwaukee haben die Demokraten Joe Biden gestern offziell zu ihrem Präsidentschaftskandidaten für die Wahl am 3. November gekürt. Der amerikanische Politiker aus dem Bundesstaat Delaware war von 2009 bis 2017 unter Präsident Barack Obama Vizepräsident. Biden ist irisch-amerikanischer Herkunft und wuchs in einer römisch-katholischen Familie auf – sollte Biden im November amerikanischer Präsident werden, dann wäre er der zweite katholische Präsident in der Geschichte der USA. Nur John F. Kennedy schaffte es bislang als Katholik ins Weiße Haus. Wie stehen die Chancen für den katholischen Joe Biden, von den Amerikanern gewählt zu werden? Die Frage geht an den Religionssoziologen Philip Gorski von der Universität Yale, er hat ein Buch geschrieben über das Verhältnis von Christen zur US-Demokratie.
Susanne Fritz: Herr Gorski, als sich Kennedy 1960 zur Wahl stellte, da war es noch ein Makel für einen Präsidentschaftskandidaten, als Katholik ins Rennen zu gehen. Ist das für Joe Biden heute immer noch so?
Philip Gorski: Das kann man nicht mehr sagen. Es ist auf keinen Fall dezessiv für Biden, ich würde es auch nicht einen Vorteil nennen, weil die Demokraten inzwischen so eine vielfältige Partei geworden sind, wo auch viele Nichtgläubige sich zu Hause fühlen.
"Die Nation von Nicht-Christen 'bereinigen'"
Fritz: Donald Trump hat im Wahlkampf Bidens Religiosität infrage gestellt: Er sagte, Biden habe keine Religion, er verletze die Bibel, sei gegen Gott. Woraufhin Biden seinen christlichen Glauben wortreich verteidigte. Warum ist eigentlich die Verbindung zwischen Glauben und Politik in den USA auch in diesem Wahlkampf nach wie vor so eng?
Gorski: Vor allen Dingen deswegen, weil die republikanische Partei sich zunehmend versteht als weiße, christliche Partei, die die USA als weiße, christliche Nation versteht. Und auf jeden Fall die Vorherrschaft der weißen Christen verteidigen will und damit sympathisiert, die Nation wieder sozusagen zu "bereinigen" – also von Nicht-Christen und Nicht-Weißen.
Fritz: Was bedeutet das letztlich, diese Verbindung zwischen Glauben und Politik?
Gorski: Also für manche, ich rede jetzt von den Konservativen, christlichen Konservativen, die verstehen die USA als begründet auf biblische Werte oder sogar auf biblische Institutionen - die verstehen die US-Verfassung sozusagen als religiöses, christlich geprägtes Dokument.
Und zweitens, viele meinen, die Moral könne sich nur auf religiösen Fundamenten aufrechterhalten. Und wenn also ein Nicht-Christ im Weißen Haus ist oder die Bevölkerung sich zunehmend von der christlichen Religion abwendet, dass das die moralischen Grundlagen der Nation gefährdet. Natürlich ist da das große Rätsel, wie man den Trump als echten Christen verstehen kann.
"Manche glauben, Trump sei von Gott gesandt"
Fritz: Bislang sind ja da kaum Anzeichen dafür zu erkennen, außer dass es symbolische Gesten gibt wie sich mit einer Bibel vor eine christliche Kirche zu stellen, oder?
Gorski: Also, aus meiner Perspektive, ja. Und ich glaube, da sind auch welche sogar unter den weißen Evangelikalen, die das auch so sehen. Aber dazu muss man sagen: Die sind wirklich der Meinung, dass Trump ein guter Christ sei, dass das ein bekehrter Mensch sei. Und diese Meinung wird auch verstärkt durch die Führer der evangelikalischen Bewegung. Also prominente Führer der evangelikalischen Bewegung, die ihn auch so in dieses Licht stellen.
Fritz: Ist das der Grund dafür, warum viele konservative Evangelikale Trump unterstützen? Weil er diese Verbindung hat zu vielen wichtigen, einflussreichen Führern der evangelikalen Kirchen?
Gorski: Das ist natürlich superwichtig. Es gibt auch andere Gründe. Also zuerst wäre zu nennen einmal Richterstellen und die Abtreibungsfrage – also, wer dagegen ist, wer verspricht konservative, abtreibungsgegnerische Richter zu benennen, der wird gewählt.
Und zweitens gibt es wirklich sehr viele, die das Gefühl haben, sie werden verfolgt irgendwie, sie werden an den Rand gedrängt. Also die bräuchten einen starken Beschützer – und den glauben sie in Trump zu sehen. Manche glauben sogar, der Trump sei von Gott gesandt um sie zu beschützen und ihnen das Land zurückzugeben sozusagen.
US-Katholiken: "Von Reaktionären bis hin zum Marxismus"
Fritz: Zirka 22 Prozent der US-Amerikaner sind katholisch. Joe Biden bezeichnet sich selber als gläubigen Katholiken, steht aber auch für eine liberale Politik, befürwortet Abtreibung. Im Vorwahlkampf hatte ein Priester ihm deshalb in South Carolina die Kommunion verwehrt. Was denken die Katholiken in den USA über Biden?
Gorski: Also die amerikanischen Katholiken sind eine der interessantesten Wählergruppen in den USA, die also wirklich sozusagen die politische Mitte noch besetzt halten. Und also das Meinungsbild reicht von Reaktionären bis hin zum Marxismus. Da kann ich zwei konkrete Beispiele nennen - erstmal reaktionär:
Also, der jetzige Staatsanwalt Bill Barr, der ist auch gläubiger konservativer Katholik und hat neulich in einem Fernseh- oder Radiointerview die Demokraten als Jakobiner bezeichnet, die das System stürzen und zerstören wollen. Und blieb nur dahingestellt, ob sie dann gleich mal Guillotinen aufstellen wollen und mit den Köpfungen anfangen wollen.
Und auf der anderen Seite des Meinungsspektrums die junge katholische Konvertitin, die für die Washington Post und jetzt die New York Times schreibt, Elizabeth Bruenig, die sich zur Befreiungstheologie bekennt und die den Marxismus explizit als gut vereinbar mit einem gewissen Verständnis der katholischen Theologie versteht.
Also es ist eine sehr breitgefächterte Gemeinschaft und das hat, glaube ich, mit einer tiefen Spannung zu tun auch innerhalb der Lehren der Kirche selber. Also einerseits die Soziallehre, die den Sozialstaat und so weiter als Konsequenz haben. Und auf der anderen Seite die Familien- und Sexuallehre, die so eine Gegnerschaft gegen Homosexuellen-Ehe und vor allen Dingen gegen Abtreibungen führen. Und das führt halt zu einer sehr tiefen Spannung. Und wie der Katholik diese beiden moralischen Imperative gegeneinander abwägt, das bestimmt, glaube ich, letzten Endes so die Wahlentscheidung.
"Die Republikaner brauchen keine Brücken"
Fritz: Das sind tiefe Gräben, die es da zu überwinden gibt, nicht nur innerhalb der katholischen Wählerschaft, sondern auch generell, es gibt die strengreligiösen konservativen Weißen, über die wir gesprochen haben, es gibt auch kirchlich engagierte evangelikale Afroamerikaner und es gibt die Kernwähler der demokratischen Partei, die säkular orientierten jungen Menschen. Kann Joe Biden einen solch gewaltigen Spagat überhaupt leisten?
Gorski: Es ist natürlich schwierig. Es geht darum, eine bestimmte Vision, ein bestimmtes Narrativ der nationalen Zusammengehörigkeit aufzustellen und glaubhaft zu machen und auch persönlich zu verkörpern.
Das tut er auch, glaube ich, gewissermaßen, indem er als Vizepräsidenten Kamala Harris aus Kalifornien ausgesucht hat, die wie Sie wahrscheinlich wissen, Vater aus Jamaika, Mutter aus Indien, wurde im Hinduismus großgezogen, ist in Oakland, Kalifornien groß geworden, eine sehr vielfältige und eher arme Stadt in Nordkalifornien. Also zusammen stellen sie eigentlich die demokratische Position sehr gut dar.
Aber das Problem ist halt, dass die besitzen Republikaner eine viel homogenere Wählerschaft. Und da fällt es nicht so schwer, Brücken zu bauen, man braucht quasi keine Brücken. Insofern ist die, wie Sie sagen, symbolische Arbeit, die ein demokratischer Kandidat leisten muss also sehr viel schwerer.
Fritz: Was denken Sie persönlich? Wie heißt der nächste amerikanische Präsident? Joe Biden oder Donald Trump?
Gorski: Also, wie viele Sozialwissenschaftler bin ich persönlich so traumatisiert von dem Ergebnis der letzten Präsidentschaftswahl, dass ich ein bisschen zögere, Prognosen aufzustellen. Aber wenn man die Umfragen liest und den bisherigen Verlauf der Kampagnen sich anschaut, dann muss man schon seine Wetten auf Biden legen. Also ich gehe davon aus, dass er gewählt wird. Bei mir ist eher die große Frage, ob er mit ausreichender Mehrheit gewählt wird, dass das wirklich ein Signal setzt und es keine Fragen über Wahlbetrug oder so aufkommen lässt. Und da müsste er, glaube ich, so acht bis sieben Prozent vorne liegen, das ist für mich dann wirklich die große Frage. Ansonsten kommt es zu großen Unruhen.
Philip S. Gorski: "Am Scheideweg – Amerikas Christen und die Demokratie vor und nach Trump"
Verlag Herder, 2020, 224 Seiten, 24 Euro
Verlag Herder, 2020, 224 Seiten, 24 Euro
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