Jörg Münchenberg: Am Telefon ist nun der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). Herr Röttgen, einen schönen guten Morgen.
Norbert Röttgen: Einen guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Röttgen, zunächst einmal: Sind Sie auch ein bisschen erleichtert über den Wahlausgang?
Röttgen: Ja! Es ist ja der Wahlausgang, so wie er auch als wahrscheinlich prognostiziert worden ist, und insofern bin ich auch erleichtert darüber, dass es jetzt Opposition gibt, dass das Repräsentantenhaus an die Demokraten gefallen ist. Das ist, glaube ich, die strategische Veränderung, die stattgefunden hat.
Aber die Polarisierung, die Spaltung des Landes, die Trump ja auch im Wahlkampf betrieben und auf einen Höhepunkt in seiner zweijährigen Amtszeit getrieben hat, die wird auch weitergehen, gerade nach dieser Niederlage, die er im Repräsentantenhaus nun erlitten hat.
"Ab jetzt ist Wahlkampf, Präsidentschaftswahlkampf"
Münchenberg: Ist denn nicht doch auch zu befürchten, dass der US-Präsident vielleicht noch aggressiver auftreten wird, noch mehr versuchen wird, durch eine scharfe Rhetorik seine Anhänger zu mobilisieren?
Röttgen: Ja, das glaube ich. Darauf kann man sich einstellen, dass das geschieht. Ich glaube, man muss sagen, dass allermindestens für Trump - Eigentlich war schon immer Wahlkampf für Trump, seitdem er gewählt worden ist. Aber jetzt ist die entscheidende Phase jedenfalls für ihn des Wahlkampfes eröffnet worden. Das gilt auch für die Demokraten. Ab jetzt ist Wahlkampf, Präsidentschaftswahlkampf. Das ist an sich keine gute Rahmenbedingung, um in dieser, auch international fragilen Weltlage verlässlich Politik zu machen. Aber darauf müssen wir uns einstellen.
Münchenberg: Sie sagen, jetzt ist Dauerwahlkampf. Auch unser Korrespondent hat das schon gesagt, dass der Präsidentschaftswahlkampf damit eröffnet worden ist. Was heißt das denn jetzt auch für die Europäer? Auf was muss man sich da einstellen?
Röttgen: Es ist ambivalent. Es heißt für die Europäer, dass nun nach diesen Midterm-Wahlen das Spektrum breiter geworden ist, auch andere Stimmen eine Mehrheit jetzt in der einen Kammer des Zwei-Kammer-Systems der USA haben. Das wird auch in außenpolitischen Fragen eine Rolle spielen, vor allen Dingen aber in der Gesetzgebung, in den Kontrollbefugnissen. Aber das ist nun eine stärkere Stimme auch der traditionelleren Außenpolitik, die wir kennen von den Demokraten, die jetzt da ist, und das wird auch eine Veränderung der Landschaft und der Wahrnehmung der USA bedeuten.
Auf der anderen Seite bleiben natürlich die gewaltigen exekutiven Machtbefugnisse des Präsidenten völlig unangetastet, die gerade in der Außenpolitik ganz entscheidend sind. Hier kann man sich auch, glaube ich, darauf einstellen, dass dieses Wahlergebnis, die Niederlage Trump anfeuern wird, seinen Kurs aus dem Wahlkampf, nämlich eine noch mal intensivierte Polarisierung, auch Aggression, dass er dies fortsetzen wird, sowohl innen- wie außenpolitisch.
"Im Repräsentantenhaus ist nun eine andere Stimme hörbar"
Münchenberg: Herr Röttgen, Sie haben die Demokraten schon angesprochen. Die haben innenpolitisch jetzt mehr Mitspracherecht. Es wird mehr Kontrolle wiederum geben. Aber außenpolitisch, zum Beispiel in der Handelspolitik, waren bislang zumindest eher die Republikaner offener, was den Handel angeht, und die Demokraten durchaus protektionistischer. Von dieser Seite ist in Sachen Handelspolitik wenig zu erwarten?
Röttgen: Nein. Die Handelspolitik ist sowieso eine, die nicht gegen die Regierung gemacht werden kann, sondern ist eine, die muss am Ende möglicherweise ratifiziert werden im Kongress. Aber sie muss erst mal geführt werden durch die Regierung. Im außenpolitischen Bereich sind die exekutiven Befugnisse dominierend. Das ist so. Was Außenpolitik und das äußere Verhalten anbelangt, ist es eher so, dass im Repräsentantenhaus nun eine andere Stimme hörbar ist, ohne dass die die Politik entscheidet in weitem Maße, was die Außenpolitik anbelangt. Aber es ist breiter geworden, das Spektrum, und nicht so einseitig.
Münchenberg: Das heißt aber auch im Klartext, zum Beispiel bei den jetzt erst am Wochenende verhängten Sanktionen gegen den Iran wird sich überhaupt nichts ändern.
Röttgen: Da wird sich nichts ändern. Das sind exekutive Entscheidungen. Und man muss auch dazu sagen, man darf das jetzt alles nicht nur immer Schwarz und Weiß und Gut und Böse darstellen. Beim Thema Iran hat Trump auch immer eine überparteiliche Zustimmung gehabt und Obama hat sich niemals getraut, in den Kongress zu gehen mit dem Nuklearabkommen, weil er beim Thema Iran nicht mit einer Mehrheit rechnen konnte.
Vielleicht darf ich noch einen Aspekt hinzufügen, der auch wichtig ist zur Bewertung. Am Anfang, als Trump Kandidat wurde, hat man ja von der feindlichen Übernahme der Republikaner durch Trump gesprochen. Auch das ist heute ein Ergebnis dieser Wahlen. Diese feindliche Übernahme ist abgeschlossen. Die Republikaner gehören nun Trump. Trump sind die Republikaner. Auch das ist eine Form der Normalisierung und Durchsetzung Trumps in den USA, die bemerkenswert ist und die man festhalten muss.
"Bei der trumpschen Außenpolitik wird es keine Kurskorrektur geben"
Münchenberg: Eine Normalisierung der transatlantischen Beziehungen ist eher nicht zu erwarten. Das haben Sie jetzt auch deutlich gemacht.
Röttgen: Nein, das ist die trumpsche Außenpolitik, das Verhalten. Da wird es keine Kurskorrektur geben, eher eine Intensivierung weiterer Polarisierung. Darum sind auch wir von einer Normalisierung so weit entfernt wie die USA innerstaatlich, innergesellschaftlich von Normalisierung entfernt sind, sondern das Land ist tiefer gespalten wahrscheinlich heute nach den Wahlen als zuvor.
Münchenberg: Müssen die Europäer, Herr Röttgen, nicht auch trotzdem Schlüsse aus der Tatsache ziehen, dass ausgerechnet Trump mit seiner, ich sage mal salopp, Politik der Streitaxt mehr gegenüber China erreicht hat als die ja doch eher verhandlungsorientierten Europäer? China hat jetzt zum Beispiel erneut niedrigere Zölle und auch einen besseren Marktzugang in Aussicht gestellt. Das hat es gemacht, weil Trump den Druck so dermaßen erhöht hat.
Röttgen: Ich würde auch gar nicht behaupten, dass in der Vergangenheit und vor Trump alles richtig gemacht worden ist, auch im transatlantischen Verhältnis und auch nicht durch die USA. Überhaupt gar nicht! Und ich würde auch nicht sagen, dass alles, was nun gemacht wird, definitorisch immer nur falsch sein muss. Aber man muss schon auch sehen: Es mag ja durchaus durch das härtere Auftreten in unterschiedlichen Bereichen auch mal kurzfristig irgendein Gewinn erreicht werden können. Aber mittelfristig, langfristig, insgesamt für die Architektur, für die Stabilisierung in einer chaotischer werdenden Welt kann man sich von kurzfristigen Erfolgen dann doch nicht viel kaufen. Ohne China ist das Nordkorea-Problem nicht zu lösen.
Im Mittleren Osten werden wir mit einer Anti-Iran-Politik, so kritisch auch ich den Iran sehe, keine Stabilität im Mittleren Osten erreichen. Wenn jetzt das Abkommen, der INF-Vertrag, das Abkommen über das Verbot von nuklearen Mittelstreckenraketen gekündigt werden soll, dann haben wir ein neues Thema der nuklearen Aufrüstung. Dieser Konfliktkurs auf allen Bereichen, das ist leider die Rolle der USA als Konflikttreiber und nicht als Stabilisator und Problemlöser.
"Auch Deutschland ist aus meiner Sicht deutlich zu zögerlich"
Münchenberg: Trotzdem stellt sich die Frage, Herr Röttgen, was die Europäer dem entgegensetzen können. Es gibt immer viele Appelle zur Geschlossenheit, zu mehr Eigenständigkeit. Auf der anderen Seite sind die Europäer tief gespalten, wenn man zum Beispiel sich anguckt, was in Italien passiert, in Ungarn oder auch in Polen. Da gibt es keine einheitliche Linie. Haben die Europäer letztlich dem doch sehr wenig entgegenzusetzen?
Röttgen: Ihre Frage ist absolut berechtigt und ich finde auch, wir haben langsam genug analysiert und müssen zu Schlussfolgerungen kommen, auch unter Berücksichtigung der Lage, wie sie in Europa nun mal ist: auch von Uneinigkeit. Darum muss der Kern in Europa, der einig geblieben ist und einig ist, endlich vorangehen, Frankreich, Deutschland und auch einige andere, und einen außenpolitischen Kern und eine Gruppe bilden, die endlich kleine nationale Nuancen hinter sich lässt und sich auf das wesentlich Gemeinsame verständigt und daraus auch Politik macht. Wir haben das jetzt oft genug beschrieben. Es muss langsam gehandelt werden. Sonst müssen sich die Europäer nicht wundern, dass alle anderen mit ihren aggressiven Ansätzen und ihrem aggressiven Ton die Politik übernehmen.
Münchenberg: Ist auch die Bundeskanzlerin da viel zu zögerlich?
Röttgen: Es geht da nicht immer nur um die Bundeskanzlerin, aber auch um die Bundesregierung. Auch Deutschland, ja auch Deutschland ist aus meiner Sicht deutlich zu zögerlich. Macron hat jetzt wieder eine Initiative gemacht, um eine militärische europäische Fähigkeit zu entwickeln, und da zögert Deutschland. Wir müssen auch irgendwann mal einschlagen und uns auf etwas verständigen, gerade mit Frankreich und noch mit anderen, und nicht immer nur Bedenken haben. Das ist richtig, diese Kritik übe ich.
Münchenberg: Die Frage ist trotzdem: Appelle gibt es schon so lange und passiert ist wenig.
Röttgen: Das ist meine Kritik oder auch Ihre Kritik, die wir festhalten müssen. Wenn wir das feststellen, dann ist es trotzdem nie zu spät, es zu ändern. Auch diese Midterm-Wahlen in den USA belegen wieder, es wird nicht berechenbarer, konsensorientierter, normaler werden, was wir aus Washington in den nächsten zwei Jahren hören, sondern im Gegenteil. Darum wird der Druck der Europäer, unsere Verantwortung wahrzunehmen, immer stärker und wir sollten und müssen uns sputen, dieser Verantwortung nachzukommen, und das geht vor allen Dingen durch Regierungshandeln.
Münchenberg: Die Einschätzung von Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Herr Röttgen, vielen Dank für das Interview.
Röttgen: Ich danke Ihnen, Herr Münchenberg.
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