Mit Verstörung haben die Amerikaner den Vormarsch der radikalen Sunniten im Irak in den Nachrichten verfolgt. Die rohe Gewalt gegen Zivilisten, Minderheiten, Frauen, Kinder - schwer zu begreifen. Vor allem aber schien das alles lange Zeit weit weg.
Das aber hat sich gründlich geändert. Zuerst durch die Bilder, die den Reporter James Foley vor seiner Enthauptung zeigen, im Staub kniend, zur Schau gestellt, neben ihm der maskierte Kämpfer, ein Messer in der Hand. Als Vergeltung für die US-Luftangriffe droht er mit einem Blutbad unter Amerikanern. Unüberhörbar: der britische Akzent.
In dem Video ist auch Steven Sotloff zu sehen, auch er Journalist, auch er eine amerikanische Geisel in den Händen der Extremisten. Ihrem mörderischen Kampf haben sich allein aus Großbritannien etwa 500 Staatsbürger angeschlossen. Im Fernsehen muss sich der britische Botschafter ein paar bohrenden Fragen stellen. Peter Westmacott schaut gequält und versichert, dass London sehr bald schon den Mann aus dem Video identifizieren wird.
Sotloffs Mutter Shirley bittet öffentlich um das Leben ihres Sohnes, das Pentagon gibt weitere US-Luftangriffe im Irak bekannt, Präsident Obama erwägt, bewaffnete Drohnen oder Kampfjets auf die führenden Köpfe des Islamischen Staates in Syrien anzusetzen. Und ein Land fragt sich, ob der Islamische Staat die Gewalt auch in die USA tragen will.
Nur ein Ticket von den USA entfernt
Sie sind nur ein Flugzeugticket weit von den USA entfernt, sagt der Kongressabgeordnete Mike Rogers. In seinen Augen rekrutiert der Islamische Staat bewusst Kämpfer aus Europa und den USA, um dort später Anschläge zu verüben. Das Kalkül:
"Wir haben viele Leute, die mit ihren Pässen nach Europa und weiter in die USA reisen können, ohne dafür ein Visum zu beantragen. Uns bleibt nur, die Passagierlisten zu kontrollieren. Und das könnte zu wenig sein!"
Ein Anschlag in den Vereinigten Staaten als Trophäe im Kampf um den Titel als radikalste Gruppe. So argumentieren einige dieser Tage. Und sehen gerade darin den Grund, warum sich junge muslimische Männer aus dem Westen von den Dschihadisten angezogen fühlen. 100 von ihnen sollen aus den USA in den Kampf nach Syrien gezogen sein.
Einer ist gerade bei Kämpfen in Aleppo getötet worden: Douglas McAuthur McCain. Aufgewachsen im Mittleren Westen, Basketballfan ohne Schulabschluss, neun Mal mit der Polizei aneinandergeraten, ohne Arbeit, vor zehn Jahren vom Christentum zum Islam konvertiert und radikalisiert führt seine Spur nach Kanada, Schweden und in die Türkei, bevor sie sich in Syrien verliert. Jetzt haben die Behörden den Tod des 33-jährigen bestätigt. Er ist der erste US-Amerikaner, der als Kämpfer für den Islamischen Staat sein Leben verliert. Seine Cousine ist geschockt: Douglas kämpft in Syrien für eine Terrorgruppe? Unmöglich!
Radikale aus dem Westen
Einige Fachleute nehmen den Fall als Beleg, dass die Radikalen aus dem Westen in den Nahen Osten gehen, um zu kämpfen. Und nicht, um für Anschläge Zuhause zu trainieren. Sie halten die Terrorgefahr ohnehin für maßlos übertrieben. Andere aber verweisen auf einen weiteren amerikanischen Dschihadisten, der sogar noch einmal seine Familie in den USA besuchte, bevor er sich für die Nusra-Front als Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Und die Regierung in Washington? Die gibt zu, wie schwer sie sich tut, den Kämpfern mit US-Pass auf den Fersen zu bleiben. Und gibt sich doch überzeugt, dass keiner von ihnen fähig wäre, einen Anschlag in den Vereinigten Staaten zu verüben. Jedenfalls im Augenblick.