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"Das ist eine latente Verfassungskrise"

Eine handfeste Verfassungskrise würde in den USA bestehen, wenn eine der drei Gewalten die Entscheidungen der anderen ignorieren würde, sagte der USA-Experte Martin Thunert im Deutschlandfunk. Eine latente Gefahr bestehe aber darin, dass Trump den verfassungsgemäßen Abläufen nicht mehr Genüge tun wolle.

Martin Thunert im Gespräch mit Karin Fischer |
    USA: Westseite des Kapitols in Washington, D.C.
    USA: Westseite des Kapitols in Washington, D.C. (picture alliance / dpa / Daniel Kalker)
    Karin Fischer: Die amerikanische Verfassung ist die älteste amtierende Verfassung der Welt. In Zeiten, in denen von einer drohenden Verfassungskrise in den USA die Rede ist, lohnt also ein Blick darauf. Fest steht: Donald Trump hat mit seinem Einreiseverbot die amerikanischen Institutionen auf eine intensive Probe gestellt, das Machtgefüge, die "Checks und Balances", die die Verfassung vorsieht, werden gerade einem Stresstest unterzogen.
    - Martin Thunert, Politikwissenschaftler am Heidelberg Center for American Studies der Universität Heidelberg, habe ich gefragt, ob der amerikanische Präsident seiner Meinung nach mit dem Muslim-Bann die Verfassung schon ausgehebelt habe.
    Martin Thunert: Nein, das hat er nicht. Er hat einen handwerklich, glaube ich, schlecht gemachten Präsidial- oder Exekutiverlass verabschiedet, der ja dann auch fast schon erwartungsgemäß von einer der anderen Gewalten, nämlich der judikativen Gewalt erst mal ausgesetzt wurde. Und das ist eigentlich so, wie die Verfassung das auch vorsieht. Es ist so offensichtlich geworden, dass es darum geht, tatsächlich Menschen muslimischen Glaubens oder Teile dieser Menschen aus den USA fernzuhalten, das verstößt offensichtlich gegen die Verfassung. Das Zweite, was auch gegen die Verfassung verstoßen könnte, ist, dass in dem Dekret ja auch gesagt wird, dass Minderheitenreligionen aus diesen sieben Ländern doch bevorzugt behandelt werden sollten. Und das läuft auf Bevorzugung von einer bestimmten Religion hinaus. Und das wird auch als unvereinbar mit der Verfassung gesehen, denn der Staat muss hier neutral sein. Es heißt im ersten Verfassungszusatz, der Staat oder der Kongress darf kein Gesetz machen, was eine Staatsreligion etabliert oder eine Religion bevorzugt. Aber wenn man es möglicherweise anders formuliert hätte, kann es einen Einreisestopp geben, der im Endeffekt ähnliche Wirkung hat als der von Trump intendierte. Und er wäre möglicherweise dann doch verfassungskonform. Das ist jedenfalls meine Auffassung.
    Fischer: Dann kommen wir zum Grundsätzlichen: Amerika ist von Anbeginn eine Einwanderungsgesellschaft gewesen, 1787 war das ein Land mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten und Religionen. Inwiefern spiegelt dies die Verfassung von Amerika?
    "Die Verfassung ist neutral"
    Thunert: Na ja, die Verfassung ist neutral, und die Verfassung spielt so eine große Rolle: A, weil sie nicht wie jetzt unser Grundgesetz oder neuere Verfassungen ein sehr juristisches legalistisches Dokument ist, sondern fast schon philosophisch ist. Sie ist auch nicht so oft geändert worden. Aber in einer Gesellschaft, wo es keine ethnischen Gemeinsamkeiten gibt, auch keine Abstammungsgemeinsamkeiten, keine sprachlichen Gemeinsamkeiten, ist natürlich so ein Dokument das, was die Gesellschaft verbindet. Und wenn ich die Verfassung unter Trump in der Krise sehe, dann wäre es in zweierlei. Eine Krise, das wäre eine echte, auch juristische, wenn eine der drei Gewalten, die heute als gleichwertig angesehen werden - Exekutive, Legislative und Judikative - wenn zum Beispiel die Exekutive die Entscheidungen der Judikative nicht mehr umsetzen würde. Die Judikative kann sie nicht selber umsetzen. Wenn Trump sagen würde, der Richter in Seattle, der kann entscheiden was er will, ich halte mich nicht daran, dann hätten wir eine handfeste Krise. Eine latente Verfassungskrise, glaube ich, haben wir unter Trump ein bisschen, weil der Trump zieht seine eigene Legitimität - das hat er auch in seiner Antrittsrede sehr schön gesagt - direkt aus dem Volk. "Ihr kriegt die Macht jetzt überstellt", hat er gesagt ganz am Anfang. Und er zieht seine Legitimität nicht so sehr daraus, dass er den verfassungsmäßigen Abläufen Genüge tun will. Das ist eine latente Verfassungskrise, die sich in eine reale aber immer mal wieder übersetzen könnte. Da sehe ich die Gefahr von Trump.
    Fischer: Um das Stichwort vom Volk aufzugreifen. Die Siedlergeschichte ist ja ein Ursprungsmythos in den USA. Und Donald Trump spielt mit ihr, wenn er von der "Rückeroberung Amerikas" spricht oder der "Schlachterei, die aufhören muss". Was will er denn damit transportieren?
    Thunert: Er ist der Meinung, dass sehr viele Menschen gerade in den inneren Gebieten der USA, sowohl in den alten Industriegebieten um die großen Seen als auch in den Prärien, dass die vergessen und übersehen worden sind von den Eliten an den beiden Küsten, denen die Globalisierung sicherlich was gebracht hat. Aber im Inneren des Landes, ist seine Auffassung, findet ein Gemetzel statt. Und ein zweites Gemetzel findet dann noch statt durch den Einfluss von Drogen, wie er es sieht, über die mexikanische Grenze, unter dem die Städte in Amerika, die nicht so in der Aufmerksamkeit auch der Medien oder auch des Auslands stehen, stehen. Das ist, glaube ich, das, was er damit sagen will. Es ist eine Wiederaneignung auch des Landesinneren. Und er hat ja auch seine Strategie und das ja auch mit Erfolg im Electoral College genau auf die auch jetzt politische Eroberung dieser Staaten wie etwa Wisconsin, Michigan, Pennsylvania gerichtet. Und das ist die Botschaft: Er weiß, dass er nicht der Präsident der Küstenregion ist, auch nicht da, wo er selber lebt, in News York. Aber er hat es geschafft, einen großen Teil des sogenannten inneren Amerikas hinter sich zu bringen. Und das hat Frau Clinton ein bisschen vernachlässigt, und deswegen hat sie verloren.
    Fischer: Martin Thunert, Politikwissenschaftler am Heidelberg Center for American Studies, gab Auskunft über Strategien und Möglichkeiten eines Präsidenten innerhalb der amerikanischen Verfassung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.