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USA fehlt Garantie für finanzielle Ausstattung des Staates

Der Shutdown ist vorerst abgewendet, der Fehler im System bleibt, sagt der Amerikanistik-Professor Walter Grünzweig. Fraglich sei allerdings, ob die Republikaner es noch einmal wagten, "mit der finanziellen Bonität des Staates potenzielle Harakiri-Politik zu machen".

17.10.2013
    Tobias Armbrüster: Sie haben es mal wieder spannend gemacht im Kongress in Washington. Erst heute am frühen Morgen haben sich Republikaner und Demokraten auf einen Deal geeinigt, der den Goverment Shutdown und den Streit um die Schuldenobergrenze beendet, wobei Deal wahrscheinlich das falsche Wort ist. Vielmehr mussten die Republikaner eine Niederlage eingestehen. Sie haben mit ihrer Blockade in den vergangenen Wochen zu hoch gepokert.

    Mitgehört hat Walter Grünzweig von der TU Dortmund. Er ist dort Professor für Amerikanistik und ein Kenner der US-Politik. Schönen guten Tag, Professor Grünzweig.

    Walter Grünzweig: Ja hallo!

    Armbrüster: Herr Grünzweig, ist das, was wir da jetzt erlebt haben, tatsächlich ein Durchbruch, oder – es klang ja schon so ein bisschen an am Ende des Beitrags vom Kollegen Marcus Pindur – wird der Streit hier nicht einfach verschoben auf die Zeit nach Weihnachten?

    Grünzweig: Na ja, es hängt davon ab, was für ein Durchbruch wovon. Wenn man bedenkt, dass das eine Katastrophe gewesen wäre fast, dann ist das ein Durchbruch, weil die längste Zeit hat das ja ganz anders ausgesehen. Aber das Problem selbst ist ja nicht gelöst. Das ist ja angelegt in dem System, dass einfach keine Garantie existiert für die finanzielle Ausstattung des Staates. Aber ich glaube, das ist gar nicht die Hauptfrage. Das Goverment Shutdown hatten wir immer wieder und auch schon unter den Clintons.

    Ich glaube, die Hauptfrage ist, ob man es seitens der Republikaner wieder wagen wird, mit der finanziellen Bonität des Staates potenzielle Harakiri-Politik zu machen, oder, wie Obama es sagte, zu erpressen. Da könnte ein Durchbruch erreicht werden. Das könnten sie vielleicht aufgeben, diese Strategie.

    Armbrüster: Das heißt, Sie meinen, die Republikaner haben hier sozusagen ihre Lektion gelernt aus den letzten drei Wochen?

    Grünzweig: Ich glaube schon, dass sie sich überlegen werden, diese Erpressungspolitik – da gebe ich dem Obama recht – weiterzuführen. Aber es ist sicherlich kein Durchbruch in Bezug auf die Budget-Fragen und die Dinge, die mit den ganzen Kreditbewilligungen und so weiter hier zusammenhängen.

    Armbrüster: Hier in Deutschland haben sich jetzt tatsächlich viele Sorgen gemacht wegen dieser Blockade in Washington, vor allem, weil die USA ja auch heute dann ab Mitternacht auf die Zahlungsunfähigkeit zugesteuert wären. War das wirklich die Apokalypse, die da gedroht hat, oder unterschätzen wir in Deutschland manchmal, wie pragmatisch man in den USA Politik machen kann?

    Grünzweig: Na ja, die Märkte haben ja nirgends daran geglaubt. In den USA sind sie raufgegangen, bei uns auch. Nur in China war man etwas beunruhigt, und das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viel die Amerikaner den Chinesen schulden. Aber ich persönlich glaube schon, dass eine Katastrophe gedroht hat, und zwar deswegen, weil die Tea-Party-Leute unberechenbar sind. Die haben auch – man glaubt das ja kaum – eine Schlagseite, die gegen big corporations geht und so weiter. Deswegen sind die Politiker, die denen folgen, auch irgendwo immun gegen den Druck der Wirtschaft. Aber der Rest der Republikaner, der hat sich nicht immun gezeigt, der John Boehner und so weiter, und ich glaube, da haben sich die Interessen, auch die Wirtschaftsinteressen noch mal durchgesetzt. Aber da die Tea-Party-Leute so unberechenbar sind, war ich eine Zeit lang auch nicht sicher, ob man das ganze noch steuern kann.

    Armbrüster: Aber wenn nun solche Leute wie die Tea-Party-Leute tatsächlich diesen großen Einfluss im US-Kongress entwickeln und ihn auf einmal haben, müssen wir dann nicht auch feststellen, dass da irgendetwas grundsätzlich schief läuft im politischen System der USA, dass da gerade etwas vor die Wand gefahren wird?

    Grünzweig: Vermutlich. Sie haben natürlich nicht den Einfluss direkt und unmittelbar im Kongress. Da sind sie ja relativ wenige. Aber sie haben ganz großen Einfluss auf die republikanische Partei und vor allem auf das Vorwahlsystem, und jeder, inklusive auch John Boehner, muss Angst davor haben, in den Vorwahlen von den Tea-Party-Leuten gefragt zu werden, hast Du jetzt unserer Linie gefolgt, oder bist Du jemand, der hier Kompromisse eingegangen ist, und davor haben die alle Angst. Die haben Angst vor den letzten Wahlen und was ihnen da passieren kann, dass sie womöglich dann nicht mehr aufgestellt werden.

    Armbrüster: Aber muss denn nicht die Angst viel größer sein, dass sich viele US-Wähler jetzt abwenden von den Republikanern, weil sie es einfach als unseriös empfinden, was die gerade machen?

    Grünzweig: Ja. Das ist natürlich das strukturelle Problem der Republikaner. Die Tea Party ist fast so wie dieser Zauberlehrling, der die Kräfte gerufen hat und jetzt nicht mehr loswird. Die Tea Party ist da und man kriegt sie nicht los und sie richtet die Republikaner dann bei den Wahlen, also nach den Vorwahlen, dann natürlich zugrunde beziehungsweise macht ihnen das Leben sehr, sehr schwer. Republikanische Politiker waren ja nie so radikal, das waren oftmals Repräsentanten des Durchschnittes, und ich glaube, dass diese Tea-Party-Leute die treiben.

    Armbrüster: Können wir dann sagen, dass sich die Republikaner gerade sozusagen immer weiter wegbewegen von einer möglichen Übernahme wieder der Präsidentschaft in den USA, dass sie vielleicht noch nie so weit weg waren vom Präsidentensitz wie heute im Jahr 2013?

    Die Rolle des Ted Cruz
    Grünzweig: Ich habe mit ein paar demokratischen Strategen gesprochen in letzter Zeit und die sind sehr, sehr hoffnungsvoll. Die glauben tatsächlich, dass die Zukunft der Demokraten aufgrund dieser radikalen Minderheit sehr positiv ist. Ich würde dem zustimmen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass nach den Wahlen jetzt aufgeräumt wird ein bisschen, dass die, sagen wir mal, mittigeren Elemente der Republikaner sich sammeln und dann auch zusammenschließen, aber momentan erkenne ich das noch nicht.

    Und selbst jetzt danach: Wenn ich mir anschaue, Ted Cruz, der ja selbst eigentlich traditionell kein Tea-Party-Mensch sein kann aufgrund seines Hintergrundes und so, als Rechtsanwalt und auch lange Zeit tätig in der Regierung, auch Ted Cruz hat – das haben wir jetzt auch gerade gehört in der Anmoderation – gesagt, dass die Republikaner hier einen Ausverkauf betrieben haben.

    Armbrüster: Herr Grünzweig, ich habe tatsächlich den Namen Ted Cruz hier auch noch bei mir auf dem Zettel stehen. Danach wollte ich Sie unbedingt noch fragen. Von dem haben wir ja in den letzten Wochen immer wieder gehört. Er ist wahrscheinlich, kann man sagen, so etwas wie der Einpeitscher bei den Tea-Party-Leuten im Kongress. Hat dieser Ted Cruz jetzt eine rosige Zukunft vor sich in Washington?

    Grünzweig: Ich glaube, er versucht, sich der Tea Party zu bedienen. Er hat typischerweise keinen Tea-Party Background. Ich habe lachen müssen, wie er jetzt gesagt hat, was wir auch gehört haben, Washington Establishment, weil er kommt im Grunde ja aus diesem Establishment teilweise. Er hat in der Bush-Regierung gearbeitet und so weiter. Ich glaube, er versucht, sie zu verwenden, und die Frage ist, ob sie ihm nicht auch irgendwann mal lästig werden. Momentan sieht es ganz gut aus. Er hat ja auch ein paar Aktionen da betrieben, Filibuster, ewig lang gesprochen, um zu verhindern, dass Obama Care hier erfolgreich ist und so weiter. Aber ich glaube, er könnte sich verrechnet haben. Problem ist ja auch: Er ist in Kanada geboren, zwar von amerikanischen Eltern, US-Eltern, aber in Kanada geboren, und die Frage, ob er überhaupt als Präsident antreten kann, ist ungelöst bis jetzt und darüber wird diskutiert.

    Armbrüster: Noch mal ganz kurz zum Schluss, Sie haben es erwähnt: Obama Care, die amerikanische Krankenversicherung. Ist die jetzt mit den Ereignissen, mit der Einigung der letzten Nacht endgültig durch und gegessen, angekommen in der amerikanischen Politik?

    Grünzweig: Sie ist ja gesetzlich durch, sie ist auch rechtlich durch nach dem Supreme Court, aber es ist natürlich immer wieder möglich, dass neue Versuche gestartet werden, zum Beispiel auch unter einem neuen Präsidenten, oder bei neuen Mehrheitsverhältnissen im Senat und im Kongress, insgesamt das wieder rückgängig zu machen, und die Republikaner versprechen das natürlich auch. Das heißt, ich glaube, es ist gar nicht gegessen. Es hat ja jahrzehntelang gedauert, Ted Kennedy hat sein ganzes Leben hier reininvestiert, und ich glaube, es ist momentan gesichert, aber man versteht auch, warum Obama sehr vorsichtig ist und sehr starke Kompromisse da gemacht hat, weil es ist eine historische Errungenschaft, die sicherlich weiter zur Diskussion stehen wird.

    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Walter Grünzweig von der TU Dortmund, Professor für Amerikanistik. Besten Dank, Herr Grünzweig.

    Grünzweig: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    US-Senator Ted Cruz
    US-Senator Ted Cruz (picture alliance / dpa / Jim Lo Scalzo)