Als die Indianer umgebracht oder in Reservate verpflanzt worden waren und sämtliche Bisons abgeschlachtet, als Buffalo Bill nur mehr als Karikatur seiner selbst und seinesgleichen durch die Varietés tingelte und sich der Pioniergeist in San Francisco komfortabel eingerichtet hatte, also um die vorletzte Jahrhundertwende, fingen die Amerikaner an, die Symbole des guten, alten Wilden Westens in Bronze zu giessen.
"Nostalgie sei sicher mit im Spiel gewesen", sagt Thayer Tolles. "Es war die Zeit der Industrialisierung. Die Vereinigten Staaten verwandelten sich von einer Agrar- in eine Industriegesellschaft, und es gab Millionen neuer Immigranten. Die Nostalgie für eine scheinbar einfachere Lebensweise verlieh diesen Werken deshalb einen besonderen Reiz."
65 Bronzeskulpturen von 29 amerikanischen Künstlern hat Thayer Tolles für das Metropolitan Museum versammelt. Entstanden sind sie zwischen 1850 und 1925, stolze Krieger und wilde Tiere, heroische Cowboys und tapfere Siedler. Geschmückt haben sie die Kaminsimse und Gärten von reichen Sammlern in den urbanen Zentren der amerikanischen Ostküste, von denen die meisten die Gegend westlich des Mississippi nur aus der Boulevardpresse und Groschenromanen kannten und später aus Filmen. Dasselbe gilt für die Europäer, für die Figuren wie Frederic Remingtons "Broncho Buster" Amerika schlechthin repräsentierten, ein hutbewehrter Cowboy, der in vollendeter Rodeo-Manier ein wildes Pferd zähmt.
"Die Bronzegussindustrie begann sich in Amerika in der Zeit zu etablieren, als sich der mythische Westen in den neuen Westen verwandelte. Die amerikanischen Künstler betrachteten Bronze als preiswertes, demokratisches Medium, das den Vereinigten Staaten entsprach."
Bis dahin hatten amerikanische Bildhauer in neo-klassizistischem Stil hauptsächlich mit italienischem Marmor gearbeitet. Und viele von ihnen lebten in Europa.
"Man verlangte nach einer Kunst aus Amerika mit amerikanischen Motiven. Diese Bronzeskulpturen wurden denn auch sofort auf der ganzen Welt als eindeutig amerikanisch erkannt."
Da ist Cyrus Edwin Dallins "Appeal to the Great Spirit", ein Indianer in vollem Ornat, der die Arme ausgestreckt und mit verklärtem Gesichtsausdruck den Großen Manitu anruft. Dort schreitet Bryant Bakers Farmersfrau, die Bibel in der einen und ihren Jungen fest an der anderen Hand, mit hoch erhobenem Kopf, komme, was wolle, entgegen. Und Henry Merwin Schradys Büffel strahlt bis ins kleinste Löckchen urtümliche Erhabenheit aus.
Die Skulpturen in dieser Ausstellung sind kaum je höher oder breiter als ein Meter. Und manche bewegen sich arg nahe an der Grenze zum Kitsch. Doch braucht man kein Freund von Karl May zu sein, um das handwerkliche Können der Künstler zu bewundern und auch ihren Mut zum Pathos.