Jill Holslin steuert ihren Geländewagen über die unbefestigte Straße und versucht vergeblich, Schlaglöchern auszuweichen. Vorbei an Schrottplätzen, Sperrholzhütten und bunt bemalten Betonbungalows holpert sie in Richtung Grenze. Die ist in diesem Industriegebiet von Tijuana, Mexiko, ein gut zwei Meter hoher Zaun aus verrosteten Stahlplatten. Regelmäßig klettern Flüchtlinge an dieser Stelle über den Zaun und bitten die sie aufgreifenden US-Grenzbehörden um Asyl. Hühner picken im Abfall zwischen ausrangierten Lkw-Reifen und Hunden, die in der Abendsonne dösen. Die Künstlerin hält neben einem Dreckhaufen.
"So we drove up onto this berm here. It was getting dark."
Auf dieser Böschung parkte sie vor wenigen Tagen ihr Auto in der Abenddämmerung, kletterte aufs Dach, stellte ihr Stativ mit Kamera darauf und richtete die Linse über den Stahlplatten-Zaun Richtung USA. Neben ihr installierten Aktivisten der Gruppe "Overpass Light Brigade" auf ihrem Auto einen Scheinwerfer. Es wurde dunkel.
"Der Wagen der Grenzpolizei stand da drüben. Sie haben uns und das Licht gesehen, sich aber nicht gerührt. Einer hat sein Auto direkt an der Mauer geparkt und dann war noch ein Grenzpolizeiwagen da drüben und die haben auch nichts getan."
Künstler projizierten kritische Kommentare auf den Prototypen
"Da drüben" ist auf der anderen Seite der Grenze. Der US-Seite. Dort stehen sechs gigantische Mauersegmente. 30 Meter hoch, 20 Meter breit. Die Berliner Mauer würde daneben wie Spielzeug aussehen. Die meisten sind aus Beton, manche aus einer Metall-Zement-Mischung mit Stacheldraht. Es sind Prototypen für die Mauer, die US-Präsident Trump an der US-mexikanischen Grenze bauen will. Künstlern und Aktivisten aus den USA und Mexiko dienten sie eine Stunde lang als Projektionsfläche.
"Wir haben Botschaften projiziert wie 'Llegale!', das heißt soviel wie 'Kommt rein! Auf geht’s!', 'Flüchtlinge willkommen', 'Niemand ist illegal' und eine Leiter als Symbol dafür, wie super einfache Technologie dieses moderne Multimillionenprojekt überwinden wird. Das war meine Idee."
Ungehindert schickten Jill Holslin und ihre Kollaborateure die Botschaften über die Grenze. Unter Flutlichtern der Grenzpolizei erschienen die Bilder klar an den Prototypen. Nachbarn blieben kurz neugierig stehen, unterbrachen aber genauso wenig ihren Alltag wie die Hunde und Hühner, die weiter nach Futter und einem Platz für die Nacht suchten. Holslin, US-Professorin für kreatives Schreiben, die seit Jahren in Tijuana lebt, die Grenze fotografiert und künstlerisch dokumentiert, bezeichnet die Aktion als Intervention:
"Wir wollten die bombastische Rhetorik von Donald Trump bloßstellen. Diese Prototypen sind Symbol für seine Übertreibungen, Lügen und sein aufgeblasenes Machtgefühl. Es ist lächerlich. Wir wollten zeigen: Diese Mauer ist weder undurchlässig noch unantastbar. Im Gegenteil: Es ist sehr leicht, diese Mauer zu überwinden."
Eine andere Sicht auf die Prototypen präsentierten Ende Oktober die US-Zoll und Grenzbehörden CBP auf der Baustelle. CBP-Vize-Kommissar Ronald Vitiello bezeichnete das Projekt als lebenswichtig für die US-Regionen an der Grenze zu Mexiko. Die Behörde sei stolz auf die entwickelten Modelle:
"Die Prototypen sind fertig und CBP wird sie auf Tauglichkeit für das Behindern und Verhindern illegaler Einreise testen. Wir werden prüfen, ob jemand hinauf klettern kann, darunter graben kann und ob sie schweren Werkzeugen standhalten. Die Ergebnisse werden das Design zukünftiger Mauerbauten bestimmen."
Idee eines binationalen Parks am Strand in Grenznähe
Etwa 20 Kilometer westlich von den Prototypen endet die Grenze im Pazifik. Im Sommer 2008 wurde hier der Zaun aus rostigen Platten durch zehn Meter hohe mit Beton gefüllte Stahlstehlen ersetzt. 150 Meter dahinter auf US-Gebiet ist eine zweite Mauer mit Stacheldraht. Dazwischen: verbotenes Gelände. Von einem Hügel mit perfekter Aussicht über den Bilderbuch-Strand beobachtet die Grenzpolizei die Szene. Ein paar Stunden jedes Wochenende erlaubt sie Menschen, sich an der Grenze zu treffen. Berühren durch den Zaun ist höchstens mit den Fingerspitzen möglich ist. Trotzdem, erzählt Jill Holslin, kommen jedes Wochenende Dutzende:
"Die, die kommen, reisen manchmal hunderte von Kilometern hier her. Es ist ein riesiger Trip. Sie haben sich manchmal mehr als zehn Jahre lang nicht gesehen und es ist etwas sehr besonderes."
Oft sind es Einwanderer ohne Papiere, die ihre Familien in Mexiko nicht besuchen können, weil sie riskieren bei der Rückreise verhaftet und abgeschoben zu werden. Auf der mexikanischen Seite der Grenze gibt es keine Kontrollen. Freizeitsportler joggen um einen weißen Leuchtturm. Familien treffen sich zum Picknick. Restaurants sind gefüllt mit Touristen. Jill Holslin setzt sich mit anderen Aktivisten für einen binationalen Park am Strand ein, in dem sich alle Menschen aus den USA und Mexiko frei bewegen, reden und umarmen können. Utopisch? Und wenn schon, sagt die Künstlerin:
"Wenn wir diese utopischen Möglichkeiten und die realen politischen Bedingungen, die dahinterstehen nicht mehr sehen, dann gewinnen der Totalitarismus und Kräfte wie Trump, die ihre eigenen Gesetze ohne Rücksicht auf unsere Werte schreiben. Viele denken, das ist in den USA nicht möglich. Aber es passiert vor ihren Augen."