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USA
Mit dem Fahrrad von New York nach New Orleans

Zwar wandelt sich New York derzeit zu einer beinahe fahrradfreundlichen Stadt, doch der Weg von der Metropole nach New Orleans ist alles andere als unproblematisch: unzählige Reifenplatten, schwerlich passierbare Brücken und unbehagliche Vororte. Viele Anwohner zeigen sich aber gegenüber Radfahren besonders hilfsbereit.

Von Florian Kellermann |
    Ein berittener Polizist überquert am 17.08.2013 die Kreuzung Seventh Avenue und 26th Street in Chelsea, New York City.
    In New York kann man sich City-Velos leihen und die Radstreifen auf großen Avenues wurden eingerichtet. (picture alliance / dpa - Alexandra Schuler)
    New York ist beinahe Fahrrad freundlich geworden. Die Stadtverwaltung hat Radstreifen auf die großen Avenues gemalt, immer mehr Menschen leihen sich eines der City-Velos aus. Selbst die Taxifahrer haben gelernt, einen großen Bogen um die für sie skurrilen Gefährte zu machen. Der Radler darf sich freuen: Manhattan ist zwar immer noch 23 Kilometer lang, doch vom Sattel aus schrumpft es auf eine übersichtliche Größe.
    Viel unangenehmer ist es, aus der Stadt herauszufahren. Der Highway hat zwar einen Standstreifen, aber an den Ausfahrten heißt es halten, nach hinten schauen und schnell vor dem nahenden Auto auf die andere Seite kommen. Kein Land für Radfahrer, das wird schnell klar. Ganz unpassierbar ist gleich die erste Brücke von Staten Island auf das Festland - sie ist für Radler gesperrt. Wie später immer wieder auf der Tour rettet die Hilfsbereitschaft der Amerikaner. Michael kurbelt das Fenster seines Polizeiautos runter und schiebt die Schirmmütze hoch.
    20 Minuten später chauffiert er uns mit einem Polizei-Laster über die Brücke - die Fahrräder sind im Laderaum verstaut.
    "Gut, dass ihr nicht auf die Brücke gefahren seid. Das hätte euch 50 Dollar Strafe gekostet - jeden. Nein, natürlich nicht, ich hätte euch nicht abkassiert, ihr kennt euch ja nicht aus. Aber schaut, wie schmal die Fahrbahn ist - und die Trucks sind wirklich schnell."
    Michael ist mit drei Jahren aus Ägypten hierher gekommen und froh, dass er Polizist geworden ist. Denn seine Freunde, die Informatiker und Elektrotechniker, bangen alle um ihre Arbeitsplätze, sagt er, aber Polizisten würden doch immer gebraucht, gerade in Krisenzeiten.
    "Schuld ist Präsident Obama, er ruiniert uns. Man kann doch nicht Milliarden Dollar monatlich für Kriege ausgeben, wenn es dem eigenen Land schlecht geht. Er leiht sich das Geld aus China, aber das geht nicht mehr lange gut. Der Dollar wird zusammenbrechen, das ist meine Prognose."
    Aber viel schneller als der Dollar gehen unsere Schläuche kaputt, wir haben einen Platten nach dem anderen. Schuld sind kleine Drahtstücke auf der Fahrbahn. Sie stammen aus Lkw-Reifen, die hier so lange gefahren werden, bis sie platzen.
    Hilfsbereitschaft vor allem vor den Großstädten an der Ostküste
    Wie Michael machen sich viele Amerikaner Sorgen, wenn sie Menschen auf Rädern sehen, besonders vor den Großstädten an der Ostküste. "Da wollt ihr reinfahren?", fragen sie. "Passt bloß auf, da kommt ihr durch ein paar ganz schlechte Bezirke." Zumindest in Baltimore stimmt das auch. Kilometerlang ziehen sich halbverfallene Siedlungen - nur jedes vierte oder fünfte der kleinen Häuser ist bewohnt. Geöffnet sind dafür die beiden Waffenläden links und rechts der Straße. Die Grundschule wünscht den Kindern auf einer Tafel vor dem Eingangstor nicht etwa erholsame, sondern einfach sichere Ferien.
    Baltimore ist die US-Stadt mit den meisten Morden pro Einwohner. Allein 27 waren es in den vergangenen fünf Tagen, steht in einer kostenlosen Lokalzeitung. Aber das sei kein Grund zur Beunruhigung, meint Isaac, der in einem Fahrradladen am Hafen arbeitet und uns neue Schläuche verkauft.
    "Überall in Baltimore bist du drei oder vier Häuser von einem schlechten Viertel entfernt, aber die meisten Morde haben doch etwas mit dem Drogengeschäft zu tun. Das sind Kämpfe zwischen Dealern. Außerdem bin ich schnell auf meinem Fahrrad, mich holt keiner so leicht ein. Ja, zwei meiner Freundinnen sind kürzlich überfallen worden, mit dem Messer bedroht und ausgeraubt. Aber die sind auch wirklich klein, nicht viel größer als 1,50 Meter."
    Isaac stammt aus dem reichen, beschaulichen Bundesstaat Maine ganz im Nordosten der USA. Dort war es ihm zu langweilig, deshalb zog er zu Verwandten in Baltimore.
    Land der Gegensätze
    Die Vereinigten Staaten sind das Land der Gegensätze, das ist kein Klischee. Nur wenige Kilometer südlich von Baltimore liegen weiße Villen auf sanften Hügeln, der Rasen ist kilometerweit peinlich exakt gemäht. Bis in den Speckgürtel der Hauptstadt Washington ziehen sich dichte, saftige Laubwälder.
    Doch auch auf den kleinen Straßen ist es alles andere als ungefährlich auf dem Fahrrad. Die meisten Autofahrer scheren zwar aus beim Überholen, oft schwenken sie aber zu schnell zurück an den rechten Fahrbahnrand.
    Derek, ein Polizist im Landkreis Montgomery, nördlich von Washington, kann das bestätigen.
    "Sie haben einen Führerschein, aber das heißt nur, dass sie einen Führerschein haben, nicht, dass sie fahren können. Das ist das Problem hier. Ihr kriegt den Führerschein mit 18, hier kann man mit 16. Aber sie sind noch nicht entwickelt genug in ihrem Denken, dass sie ein Auto fahren können oder sollen. Hier hat niemand Geduld, wartet für nichts, ist immer auf der Hupe, und sie werden schnell ärgerlich mit allen. Dann streiten sie sich, hauen sich über'n Kopf, fahren das Auto in jemanden rein, weil sie ärgerlich sind."
    Trotzdem ist Derek gern Polizist. Der Landkreis Montgomery ist reich, hier gibt es kaum schwere Verbrechen. Sein schlimmstes Erlebnis aus den vergangenen Tagen? Ein Jugendlicher ist nachts in einem Freibad ertrunken. Seine Freunde, mit denen er über den Zaun geklettert ist, haben ihm nicht geholfen. Derek, der in der DDR geboren ist, hat selbst einen 16-jährigen Sohn, er stellte sich die ganze Nacht vor, wie er sich wohl an der Stelle der Eltern fühlen würde.
    Gastfreundlichkeit gegenüber Radfahrern
    Menschen wie Derek, die mitfühlen, trifft man in den USA viele. Wer mit dem Rad nur zehn Minuten am Fahrbahnrand steht, bekommt mindestens dreimal Hilfe angeboten.
    Noch herzlicher geht es auf den Campingplätzen in den Appalachen zu. Sie liegen am Blueridge Parkway, einer Panoramastraße auf dem Höhenkamm, die für Lastwagen gesperrt ist.
    Das Zelt ist noch nicht aufgeschlagen, da kommt schon Jeff angelaufen. Er habe da ein bisschen viel Fleisch auf den Grill gelegt, sagt der Mitt-Fünfziger, ob wir nicht ein Stück haben wollen. Nach dem Essen bittet er noch zum Bier vor seinen feuerroten Pickup und zeigt die Fotos auf seinem Handy. Jeff hat einen alten Porsche und noch zehn andere Autos, zwischendurch ist auch mal eine seiner Enkelinnen zu sehen.
    Er und sein Kumpel Greg sind oft hier.
    "Ich wohne unten im Tal gleich am Beginn des Parkways, von meinem Küchenfenster kann ich ihn sehen. Wenn ich von der Arbeit komme, steige ich oft aufs Motorrad und fahre den Berg hoch. 20, 30 Kilometer, dann fühle ich mich wie befreit. Die Straße ist in den 1930er-Jahren gebaut worden, heute wäre das gar nicht mehr möglich. Dafür wäre heute gar kein Geld mehr da."
    Der Blueridge Parkway zieht sich nach Süden bis zum Gebirge der Great Smoky Mountains. Hier war früher Indianergebiet. Die Stadt Roanoke, wo Jeff wohnt, ist nach dem gleichnamigen Stamm benannt. Der Fachmann für Brunnenbau nimmt einen Schluck Bier und rückt näher an den Tisch, es hat zu regnen begonnen.
    "Einer meiner besten Freunde war zur Hälfte ein Cherokee-Indianer. Leider ist er mit 50 Jahren gestorben. Wir Weiße haben den Cherokees viel Leid angetan, haben sie von hier vertrieben. Das war in den 1830er-Jahren. Viele sind dabei gestorben. Mein Freund war ein außergewöhnlicher Mensch. Er liebte es, draußen zu sein und konnte praktisch aus nichts ein Lagerfeuer machen. Er lebte im Gleichklang mit der Natur."
    Reiche Natur und Bärenboxen
    Die Natur ist reich hier in den Bergen. In den dichten Eichenwäldern zeigen sich immer wieder Rehe, an Lichtungen springen Hasen über die Wiese. Auch Schwarzbären gibt es, deshalb halten die Campingplätze sogenannte Bärenboxen vor. Dort sollen die Besucher ihr Essen verstauen - es mit ins Zelt zu nehmen, wäre lebensgefährlich.
    Die Appalachen verbinden den reichen Norden der USA mit dem armen Süden. Wer ein paar Tage in den Bergen verbracht hat, sieht das umso deutlicher. Im Staat Tennessee wohnen die Menschen auf dem Land nicht mehr in Villen, so der Eindruck, sondern in Container-Häusern. Die Siedlungen mit den billigen Behausungen ziehen sich kilometerweit. Auffällig sind auch die vielen Auto-Friedhöfe am Wegesrand - mitten im Wald rosten Lkw, Busse und Jeeps vor sich hin. Tennessee - die Wiege der Country-Music und die Heimat von Elvis Presley - außerhalb der Großstädte Nashville und Memphis wirkt es trist. Zu Essen - und davon braucht der Radfahrer viel - gibt es oft nur die Hamburger eines der Fastfood-Anbieters. Zum Schlafen nutzen wir die Motels am Straßenrand. Auch sie gehören zu Ketten, mit den immer gleichen Möbeln, aber meistens auch mit einem Pool im Freien.
    In vielen der kleineren Orte reiht sich ein Gebrauchtwaren-Laden an den anderen. In einem von ihnen sitzt der 21-jährige Sead. Er sei nicht arbeitslos, betont der Kfz-Mechaniker, ihm fehle bloß die Lust, sich die Finger wund zu arbeiten. Den Laden hat er vor einem halben Jahr mit seinem Bruder gegründet, das Geschäft läuft so la-la.
    "Die letzten beiden Wochen waren nicht besonders gut. Wir wollen so 150 Dollar Umsatz am Tag machen, dann sind wir zufrieden. Am Anfang hat das auch gut geklappt, da hatten wir Patronenkugeln im Angebot. Ich weiß nicht, wo mein Bruder sie aufgetrieben hat, aber das war bisher unser Verkaufsschlager. Um Waffen zu verkaufen, braucht man eine Lizenz, aber eben nicht für Munition. Außerdem laufen Werkzeuge ganz gut, Schaufeln, Mistgabeln, Äxte, Heckenscheren und solches Zeug."
    Das andere Gesicht von Tennessee sind die Kirchen. Kaum eine Straße, die ohne ein Gotteshaus auskommt - alle im gleichen, neoklassizistischen Stil gebaut. Die Konkurrenz ist groß zwischen den verschiedenen protestantischen Gemeinden, deshalb hängen viele Werbebotschaften vor das Kirchentor. "Gott ist kalorienfrei", rufen sie in Anlehnung an die Diät-Cola oder - für Internetnutzer: "Hier kannst Du deine Sorgen downloaden."
    In diesem Bundesstaat ist Jim, Mitarbeiter eines örtlichen Elektrizitätswerks, eine Ausnahme. Der 45-jährige hat Barack Obama gewählt, er ist für strengere Waffengesetze und lädt immer wieder Radfahrer zum Übernachten bei sich ein. Jim spricht sie einfach an, wenn sie ihm auf der Straße begegnen.
    "Leute, die in gute Fahrräder investieren, haben meistens einen Hochschulabschluss und sind einfach gute Gesellschaft. Ich hatte auch schon andere Gäste aus dem Ausland, aus Quebec, Kanada, zum Beispiel. Am interessantesten waren zwei Männer aus Cleveland, Ohio, vor zwei Jahren. Sie waren dort arbeitslos geworden und wollten nach Florida, um sich einen Job zu suchen. Für ein Flugticket hatten sie nicht genug Geld, da sind sie einfach auf ihre Fahrräder gestiegen. Ich weiß nicht, was aus ihnen wurde, aber ich nehme an, sie sind glücklich in Florida. Schließlich ist in Florida jeder glücklich."
    Kirchen, Container-Siedlung und Drogen
    Nicht so in Tennessee. Jim zeigt den Landkreis, auch ihn stören die Container-Siedlungen. Viele hier seien rauschgiftabhängig, erzählt er. Die Menschen nehmen die Chemie-Droge Crystal Meth. Sie sind frustriert, dass sie von ihrem Gehalt immer schlechter leben. Und seit zehn Jahren kommen Rentner aus dem reicheren Norden, kaufen die Filet-Grundstücke an Flüssen und Seen und treiben die Preise hoch. Jim zeigt auf eine der vielen Kirchen. Auch auf die Baptisten, die hier in der Mehrzahl sind, ist er nicht gut zu sprechen.
    "Wir haben viele junge Mädchen, die schwanger werden. Daran ist auch die Religiosität hier schuld. Die Kirchen sind so vehement gegen Abtreibung. Dabei ist es für einen jungen Mann kein Problem, auszugehen und sich ein Mädchen zu angeln. Das ist Doppelmoral."
    So traurig lässt Jim den Abend natürlich nicht zu Ende gehen. In der Gaststätte am Golfplatz bestellt er Bier und einen großen Teller voll mit gebratenen Stücken vom Huhn. Immer mal wieder muss das Telefon abheben und beschwichtigend auf seine Frau einreden. Für diesen Abend werde er daheim noch teuer bezahlen, lacht er.
    3.300 Kilometer stehen am Ziel der Reise auf dem Tacho. Die letzten 600 - durch die Staaten Mississippi und Louisiana, waren beschwerlich: Die Luftfeuchtigkeit stieg mit jedem Tag, ebenso die Temperaturen. Schlangen und Gürteltiere, von Autos überfahren, pflasterten die Straßen. Bei der Ankunft in New Orleans eiern die Felgen und der Hintern tut weh - für Mensch und Maschine höchste Zeit zum Regenerieren.