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USA nach den Zwischenwahlen
"Trumps Präsidentschaft ist ein Symptom für die Spaltung der USA"

Die Politologin Cathryn Clüver geht davon aus, dass sich die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft auch in den kommenden Jahren im Repräsentantenhaus abbilden wird. Amerika sei besonders geprägt von einer "Küstenspaltung" und einer Spaltung der städtischen und ländlichen Gebiete, sagte sie im Dlf.

Cathryn Clüver im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.11.2018
    USA, Ridgeland: Wahlberechtigte geben ihre Stimme ab.
    Die Wahlbeteiligung bei den Midterm-Elections in den USA war hoch (dpa-Bildfunk / AP / Rogelio V. Solis)
    Ann-Kathrin Büüsker: Konfrontation oder Annäherung, das ist jetzt die Frage, wie es weitergeht nach den Midterms in den USA. Da zeigt sich derzeit in Washington auch die politische Spaltung des Landes. Wir haben im Vorfeld der Wahlen viel auch über die gesellschaftliche Spaltung des Landes gesprochen, und wie die sich entwickeln könnte nach den Wahlen, darüber möchte ich jetzt mit Cathryn Clüver sprechen, Politikwissenschaftlerin an der Harvard University in Cambridge. Ich grüße Sie!
    Cathryn Clüver: Guten Morgen.
    Büüsker: Frau Clüver, viele Beobachter haben gestern gesagt, nach den Wahlergebnissen, Amerika ist weiter auseinandergerückt im Angesicht dieser Wahlergebnisse. Würden Sie das so unterschreiben?
    Clüver: Das würde ich in jedem Fall ähnlich sehen. Es ist ein Ruck durchs Land gegangen, aber nicht ein einheitlicher Ruck, sondern ein Ruck auf zwei Seiten. Wir haben ein tief gespaltenes Land erlebt, einerseits auf der Seite der Demokraten, ein hoch motiviertes. Gerade die Frauen haben für die Demokraten diese Wahl gewonnen. 235 Frauen auf beiden Seiten haben sich zur Wahl gestellt; 100 neue Frauen werden in das neue Repräsentantenhaus einziehen, davon ein ganz großer Teil Demokraten, darunter zwei amerikanische Ureinwohner, zwei Muslima. Aber umgekehrt auch diese Stärkung der Republikaner im Senat, ein unglaublich hart verfochtener Wahlkampf mit vielen, vielen Themen, die im Grunde genommen über Angst die Wähler an die Urne motivieren sollten. Aber dann haben wir auch gesehen – wahrscheinlich, das wissen wir noch nicht ganz genau, aber es sieht danach aus – eine historische Wahlbeteiligung für eine Kongresswahl. Das zeigt schon, dass einerseits die Lager tief gespalten sind, andererseits aber auch die Themen stark motivieren.
    Büüsker: Sie haben die Diversität angesprochen, gerade mit Blick auf die Demokraten. Bekommen Donald Trump und seine Unterstützer damit, mit Blick auf das Repräsentantenhaus, auch eine Vielzahl von neuen Feindbildern, an denen sie sich dann abarbeiten können?
    Clüver: Natürlich. Vor der Wahl und nach der Wahl ist im Grunde genommen der gleiche Tag. Heute ist, wenn man so will, der erste Tag des Präsidentschaftswahlkampfs für 2020, und wir wissen aus den letzten zwei Jahren, dass sich ein Donald Trump hervorragend an Feindbildern abarbeiten kann. Er hat es in der Pressekonferenz – so hat Ihr Korrespondent es auch noch mal unterstrichen – genauso gezeigt. Er hat gesagt: Gut, wenn die Demokraten ihre Kontrollfunktion im Repräsentantenhaus voll wahrnehmen, einen Ermittlungsausschuss nach dem anderen oder jeden Ausschuss so besetzen, dass sie ihm stark auf die Finger gucken, das heißt ihre Kontrollfunktion voll wahrnehmen, dann wird auch er zurückschlagen beziehungsweise über den Senat zurückschlagen. Er hat es ganz klar durchklingen lassen, er kann sich durchaus eine Kriegserklärung an das demokratisch kontrollierte Repräsentantenhaus vorstellen.
    "Historisches Ergebnis für jugendliche Wähler"
    Büüsker: Das ist dann die Seite von Donald Trump. Gleichzeitig bietet so ein diverses Repräsentantenhaus natürlich dann auch ein Identifikationspotenzial für ganz viele Bürgerinnen und Bürger, die wahrscheinlich sich vorher nicht repräsentiert sahen. Ist das vielleicht auch eine Möglichkeit, die Bürger langfristig an Politik zu binden, langfristig interessiert zu halten?
    Clüver: Es ist überaus spannend, wenn man sich die Jugend anguckt. In der Regel kommen ungefähr nur 21 Prozent der jungen Wähler, 18 bis 21 etwa, zu einer Midterm-Wahl, zu einer Kongresswahl. Jetzt werden wir sehen, dass die Zahl um die 40 Prozent liegt. Das ist wirklich ein historisches Ergebnis für jugendliche Wähler, die natürlich sich hoch motiviert gefühlt haben, gerade durch die Fragen um das ganze Thema Waffengewalt, durch die Massenerschießungen an Schulen, an Grundschulen, aber jetzt auch durch die Parkland-Episode im letzten Jahr in Florida, und an Kirchen. Wie Demographen zeigen, ist das eine erste Wahl für junge Menschen, die extrem prägend ist, beziehungsweise ganz auch dann für Generationen ein politisches Verhalten nachhaltig prägt. Das heißt, es könnte da eine ganze Generation neuer junger Amerikaner diverser Natur heranwachsen, die der Demokratischen Partei viel, viel näherstehen als den Republikanern, die de facto als hauptsächlich ältere weiße Männer und ältere weiße Frauen gegebenenfalls längerfristig quasi aussterben.
    Büüsker: Ist das dann eher eine politische Mobilisierung auf Basis von Themen, oder auch auf Basis der Frage von Identität?
    Clüver: Vieles in den USA bindet sich an dem Identitätsthema. Es sind teilweise extrem progressive Fragen auch in den sogenannten Ballad Questions aufgekommen, in den Fragen, die in jedem oder fast in jedem Bundesstaat gegebenenfalls als Verfassungsänderung des Staates zur Frage gestellt werden. Hier in Massachusetts durfte ich zum Beispiel am Wahltag darüber abstimmen, inwiefern gerade Transgender, unterschiedlich bekennende Gender-Identitäten beschützt werden und geschützt werden sollen. Diese ganzen Fragen werfen sich in einer neuen Nachhaltigkeit auf, und da werden zum Teil progressivere Fragen gestellt, als wir sie sogar in Europa sehen.
    Aber anders herum sehen wir gerade in den ländlichen Regionen Amerikas immer noch tief traditionelle Werte, die da durchkommen, und da geht es um ganz bodenständige Themen wie Arbeitsplätze und zum Teil wirklich auch das blanke Überleben in einer globalisierten Wirtschaft.
    Büüsker: Da gehen die Themen dann auch sehr stark auseinander. So eine Spaltung der Gesellschaft, das ist schon etwas, von dem Donald Trump eigentlich nur profitieren kann, oder?
    Clüver: Ja, wir haben ganz klar gesehen, dass Donald Trump, die Präsidentschaft eines Donald Trump ein Symptom ist für diese Spaltung, dass es kein Erratum ist. Sonst wäre gestern die Wahl anders ausgegangen. Sonst wäre die blaue Welle vermutlich auch in den Senat geschwappt. Das war nicht so, sondern diese Polarisierung hat sich im Wahlergebnis ganz klar verfestigt. Wir erleben ein Amerika, was durch die Küstenspaltung extrem geprägt wird, aber auch durch diese Unterschiede zwischen den städtischen und ländlichen Gebieten, was noch unterstützt wird dadurch, dass Wahldistrikte unterschiedlich eingeteilt werden, nämlich immer so, dass zurzeit jedenfalls noch gerade die ländlichen Stimmen ganz oft gerade bei der Senatssitzverteilung die Überhand gewinnen können. Das heißt, das Abbild einer gespaltenen Gesellschaft wird sich zumindest auf die nächsten Jahre hinaus immer noch in diesen Konstellationen im Repräsentantenhaus abbilden.
    "Es könnte sehr gefährlich werden für einen Robert Mueller"
    Büüsker: Fokussieren wir unseren Blick zum Schluss unseres Gesprächs vielleicht noch mal kurz auf Washington. Wir haben jetzt gehört, dass Justizminister Jeff Sessions seinen Rücktritt eingereicht hat, auch auf Drängen von Donald Trump hin. Wie beurteilen Sie das?
    Clüver: Es wird von Historikern, die sich gerade auch mit dem Watergate-Skandal der 70er-Jahre eng beschäftigen, gesehen als zehnfach größerer möglicher Skandal als die damalige Watergate-Episode. Denn was wir sehen, ist jetzt ein Samstags-Massaker. Das bezieht sich auf die Idee Präsident Nixons, 1973 die Sonderermittler zu feuern. Wir sehen, dass das jetzt noch schlimmer werden könnte. Wir sehen einen obersten Gerichtshof, den ein Präsident Trump konservativ besetzt hat. Alle Erkenntnisse, die ein Sonderermittler Mueller finden würde, müssten vor einen Gerichtshof, vermutlich vor den obersten Gerichtshof, der jetzt von Trump entsprechend in seiner Wahl so besetzt worden ist, dass er geschützt würde. Das heißt, für die Demokraten wird es jetzt in den nächsten Wochen und Monaten ganz stark darum gehen, Sonderermittler Mueller zu beschützen, denn der jetzige amtierende Justizminister, der frühere Stabschef von Jeff Sessions, ist ganz klar ein Partisane. Der ist ein Republikaner, der in Meinungsartikeln schon vorgeschlagen hat, wie man einem Sonderermittler Mueller quasi die Luft abdrehen könnte. Das heißt, es könnte sehr gefährlich werden für einen Robert Mueller, und den Demokraten wird es jetzt wirklich darum gehen, diese Ermittlungen am Leben zu erhalten, auf den Präsidenten, seiner Familie und natürlich den Machenschaften gegebenenfalls, den Verabredungen, die gegebenenfalls mit Russland, mit einem feindlichen Land getroffen wurden, den Fokus draufzuhalten. Da gibt es verschiedene Spielereien und Möglichkeiten, die jetzt Adam Schiff, der ab dem 3. Januar amtierende Vorsitzende des Ermittlungsausschusses für Geheimdienstfragen im Repräsentantenhaus, schon durchspielt, damit diesem Präsidenten gegebenenfalls Einhalt geboten wird, wo ihm Einhalt geboten werden muss.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.