Sandra Schulz: "Little Rocket Man" hatte US-Präsident Donald Trump den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un verächtlich genannt, als noch nicht zu denken war an das Tauwetter, das neuerdings zwischen den USA und Nordkorea zu herrschen scheint. Als ehrbar und offen lobte Trump den Nordkoreaner zuletzt und heute Nacht sind die beiden zu ihrem Treffen zusammengekommen. Vor einigen Minuten hat Trump die Unterzeichnung eines Dokuments angekündigt.
Wir können in der Analyse gleich noch weitergehen. Am Telefon ist Friedrich Merz, Vorsitzender des Netzwerks "Atlantik-Brücke". Schönen guten Morgen!
Friedrich Merz: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Bringt sich Donald Trump in Singapur jetzt gerade in Stellung als Anwärter für den Friedensnobelpreis?
Merz: Er hat zumindest die Chance, einen der Konflikte auf dieser Welt zu entschärfen und mit Nordkorea einen ersten Schritt zu tun, um auf der koreanischen Halbinsel vielleicht eine Welt langsam zum Besseren hin zu entwickeln. Aber er wird sich an seinen eigenen Maßstäben messen lassen müssen, und ich will mal eine Parallele ziehen zu einem anderen Konflikt und zu einer anderen Konfliktregion. Das was er in Nordkorea jetzt präsentiert, muss ja, gemessen an seinen eigenen Ansprüchen, deutlich besser sein als das über Monate verhandelte Abkommen mit dem Iran, das er jetzt in der Luft zerrissen hat. Man darf gespannt sein, was er tatsächlich erreicht.
Schulz: Da wurde jetzt ja immer gesagt, dass Kim nach dieser Vorlage in Sachen Iran wirklich einen ganz schönen Schritt machen müsste, um diesem Präsidenten, der jetzt gerade ein Abkommen gekündigt hat, über den Weg zu trauen. Aber Kim Jong Un scheint das gar nicht so skeptisch zu sehen.
Merz: Das ist in der Tat richtig. Aber man darf nicht übersehen, dass es in der Region noch andere Mitspieler gibt. Südkorea ist hochgradig besorgt über das, was da gerade passiert. China wird nicht tatenlos zuschauen, wenn sich in einem Land, das China in den letzten Jahren und Jahrzehnten unter seine schützende Hand genommen hat, eine Öffnung vollzieht. Das kann China nicht wollen. Und auch Japan ist eine Regionalmacht in der Region, die mit allergrößter Besorgnis darauf schaut, was sich dort entwickelt. Also man darf wirklich gespannt sein, was da heute im Laufe des Tages in den Dokumenten nachzulesen ist und was dann tatsächlich in der Substanz in den nächsten Monaten, vielleicht Jahren daraus wird.
"China hat Korea, Nordkorea erst möglich gemacht"
Schulz: Welche Sorge meinen Sie jetzt, mit Blick auf das heutige Treffen?
Merz: Na ja, auf die Destabilisierung der Region, insbesondere im Hinblick auf die Volksrepublik China. China hat bis jetzt gut damit gelebt, an seiner Grenze zu Korea Nordkorea zu haben, das mit dafür gesorgt hat, dass der Funke von Öffnung und Freiheit nicht auf das eigene Land überspringt. Und China hat ja Korea, Nordkorea überhaupt erst möglich gemacht. Die ganze staatliche Existenz von Nordkorea wäre ja ohne die schützende Hand von China gar nicht denkbar gewesen. Insofern spielen in der Region einige mit, die im Augenblick gar nicht mit am Tisch sitzen, und deswegen wird es eine spannende Entwicklung sein, die man beobachten muss.
Schulz: Das sind jetzt die chinesischen Interessen. Aber der Westen hätte sicherlich keinerlei Problem mit einer Entwicklung hin vielleicht zu Friedensverhandlungen zwischen den beiden Koreas.
Merz: Ganz und gar nicht. Das wäre wünschenswert in jeder Hinsicht.
Schulz: War dieses Treffen, das wir jetzt heute Nacht beobachten, dieses Format, US-Präsident trifft Staatsoberhaupt Nordkoreas, war das nicht längst überfällig?
Merz: Ja, das war zumindest denkbar. Die Frage bleibt offen und unbeantwortet, war es genügend gut vorbereitet. Auch das wird man an den Ergebnissen ablesen können. Und wissen Sie, Frau Schulz, wenn man die Bilder sieht von heute Nacht, dann hat man ja – und Ihr Korrespondent hat das gerade auch so deutlich gesagt – die Bilder vom letzten Wochenende vor Augen. Und da stellt man sich ja schon die Frage, muss man diesem Präsidenten eigentlich erst massiv drohen, um ihn an den Verhandlungstisch zu bringen und ihn auch zu freundlichen Gesprächen zu bewegen. Das, was am letzten Wochenende mit den westlichen Bündnispartnern passiert ist, und das, was jetzt gerade in Singapur passiert, sind ja zwei unterschiedliche Bilder, die unterschiedlicher gar nicht sein könnten, und das, muss ich sagen, das irritiert mich schon erheblich.
Europa muss im Umgang mit Trump zusammenfinden
Schulz: Sie sagen, da stellt sich die Frage. Ist die Antwort nicht eigentlich seit heute Morgen gegeben?
Merz: Ja. Zumindest werden sich die Europäer, aber auch die in der G6-Gruppe zusammengefassten Staaten die Frage stellen müssen, wie gehen wir eigentlich mit diesem Präsidenten in Zukunft um. Ich persönlich bin schon seit geraumer Zeit der Meinung, dass hier Freundlichkeit und Kompromissbereitschaft nicht mehr ausreicht. Man wird sehr viel härter reagieren müssen, auch auf die einseitigen amerikanischen Verletzungen der Welthandelsregelungen. Ich persönlich bin der Meinung, dass mit der amerikanischen Regierung jetzt sehr viel härter gesprochen werden muss, auch sehr viel härter reagiert werden muss auf das, was die sich anmaßen an einseitigen Regeln zu setzen. Die Europäer werden geschlossener auftreten müssen und nach meinem Empfinden ist das größere Problem im transatlantischen Verhältnis auf dieser Seite des Atlantiks zu suchen. Wir sind uns ganz offensichtlich in Europa nicht hinreichend einig, wie wir mit dieser Regierung in Washington jetzt umgehen müssen, und da habe ich sehr viel Sympathie für den französischen Präsidenten, der das ja versucht hat, mit sehr viel Konzilianz und Freundlichkeit, und der sich offensichtlich enttäuscht jetzt abwendet und sagt, wir müssen ganz hart mit Washington in die Gespräche gehen über die zukünftigen Beziehungen, und zwar nicht nur in der Wirtschafts- und Handelspolitik, sondern auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Aber da muss Europa zusammenfinden, sonst wird das nicht gehen.
Schulz: Da klingt jetzt Kritik an der deutschen Kanzlerin an, an Angela Merkel. Die hatte ja nun auch schon vor geraumer Zeit gesagt, wir Europäer müssen unser Schicksal stärker in die Hände nehmen. Sehen Sie denn, dass die Europäer das machen?
Merz: Das ist überhaupt keine Kritik an der deutschen Bundeskanzlerin, sondern im Gegenteil die Bestätigung genau dessen, was Angela Merkel schon vor einem Jahr gesagt hat, dass die Europäer sich jetzt nicht mehr auf Amerika uneingeschränkt verlassen können und dass sie wirklich ihre Geschicke selbst sehr viel mehr in die Hand nehmen müssen. Ich bestätige das ausdrücklich, unterstreiche das, und das Treffen am letzten Wochenende in Kanada hat das nun wirklich in aller Deutlichkeit zu Tage treten lassen. Europa muss einig sein!
Amerikanische Regierungen verstehen eher Sprache der Stärke
Schulz: Dann ist das klargestellt. Aber sagen Sie uns noch mal: Sehen Sie das denn, dass Europa sein Schicksal stärker in die eigenen Hände nimmt?
Merz: Ich will Ihnen sagen, Frau Schulz, warum ich zuversichtlich bin, dass das gelingt. Europa ist eine Geschichte von großen Schritten nach vorne, aber meistens in Krisensituationen. Und wir sind jetzt wieder in einer solchen Krisensituation, und die Staatskanzleien, die wichtigsten Industrienationen auf europäischer Seite beginnen ja doch, ihre Gemeinsamkeiten etwas deutlicher und klarer zu formulieren. Die Frage ist, ob sie das in der kurzen Zeit jetzt auch schaffen, ob sie in der Lage sind, das einheitlich zu formulieren, und nach meinem Empfinden versteht die amerikanische Regierung – und das ist nicht nur bei dieser Regierung so, das war auch bei früheren Regierungen nicht anders -, die verstehen eher eine Sprache der Stärke, der Geschlossenheit, auch der pointierten Gegenposition. Sie verstehen jedenfalls das besser als Kompromissbereitschaft, die am Ende des Tages zu keinen Ergebnissen führt.
Schulz: Aber was genau hat Europa noch mal in den Händen, um druckvoll und auch mit Härte gegenüber den USA auftreten zu können?
Merz: Na ja. Wir können in der Handelspolitik da jetzt doch einige klare Positionen markieren. Wir müssen über die Grundlagen der Handelspolitik sprechen. Die Behauptung der amerikanischen Seite, dass es hier so ein einseitiges Handelsbilanzdefizit zu Lasten der Amerikaner gibt, stimmt einfach nicht. Wir müssen die Dienstleistungsbilanz mit einbeziehen. Wir müssen alle Fragen auch der wirtschaftlichen Tätigkeit der großen Infrastruktur-Unternehmen in Europa mit einbeziehen, die hier große Erfolge haben, große Geschäfte machen, sehr, sehr wenig Steuern bezahlen. Wir müssen die Frage mit einbeziehen, wie die Banken, insbesondere die amerikanischen Banken erfolgreich in Europa tätig sind, umgekehrt die europäischen Banken, hier insbesondere (und ich nenne sie mal beim Namen) die Deutsche Bank in Amerika behandelt wird und mit ständig weiteren hohen Milliarden-Strafzahlungen belegt wird, die mittlerweile offenkundig ohne wirklich tragfähige Rechtsgrundlage sind. Das sind alles Themen, die die Europäer jetzt vortragen müssen und sich nicht einseitig auf die reinen handelspolitischen Fragen etwa in der Frage, wie viele Autos auf der Fifth Avenue in New York aus deutscher Produktion fahren, und umgekehrt, wie wenig Autos in Europa gekauft werden. Amerikas Automobilindustrie hat in Europa überhaupt kein Problem, Autos zu verkaufen. Sie sind einfach nicht gut genug und deswegen werden sie nicht gekauft. Sie sind nicht zu teuer und sie werden auch nicht mit zu hohen Zöllen belegt. Hier ist jetzt, glaube ich, Klartext gefragt im Umgang mit der amerikanischen Seite. So kann es jedenfalls nicht weitergehen, wie die Europäer und die G7-Staaten von der amerikanischen Regierung behandelt werden.
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