Archiv

USA
Obamacare auf der Kippe

Donald Trump machte es zu einem seiner Wahlversprechen, die unter seinem Vorgänger Obama eingeführte Krankenversicherung abzuschaffen. Tom Price ist nun der neue Gesundheitsminister. Er ist ehemaliger Arzt, früherer Kongressabgeordneter aus Georgia - und Obamacare-Gegner der ersten Stunde. Doch einfach ersatzlos streichen kann er die Versicherung auch nicht.

Von Katja Ridderbusch |
    Das Gesundheitssystem Obamacare soll komplett ersetzt werden. Auf dem Foto hält eine Frau ein Schild mit der Aufschrift "Last chance Obamacare".
    Debatten um Obamacare in den USA. (RHONA WISE / AFP)
    Eine provisorische Ambulanz im Gemeindesaal einer Kirche in Atlanta. Ein winziges Behandlungszimmer, eine Vorratskammer mit gespendeten Medikamenten und eine lange Schlange von Patienten, einige jung, andere älter, alle unversichert.
    Hier arbeitet Dr. Keren Landman als freiwillige Helferin. Die Schlange könnte in den kommenden Jahren noch länger werden, sagt die Internistin:
    "Wenn die neue Regierung tatsächlich tut, was sie angekündigt hat, wenn sie also Obamacare, die Gesundheitsreform des ehemaligen Präsidenten kippt, dann könnten mehr als 20 Millionen Menschen ihre Versicherung verlieren."
    20 Millionen: So viele Amerikaner sind mittlerweile über den Affordable Care Act, das ist der offizielle Name von Obamacare, versichert. Die Angst vor dem Versicherungsgau sei unbegründet, sagt der frisch vereidigte US-Gesundheitsminister Tom Price. Er wolle dafür sorgen, dass jeder Amerikaner Zugang zu der bestmöglichen Gesundheitsversorgung habe, sagte Price bei seiner Anhörung im Senat.
    Price ist erklärter Obamacare-Gegner
    Dennoch: Die bisherige politische Agenda des neuen Ministers gibt Kritikern Anlass zur Sorge. Price, 62, ist von Hause aus Chirurg und Mitgründer einer großen Orthopädiepraxis in Atlanta. Mehr als zehn Jahre lang saß er als Abgeordneter für den Bundesstaat Georgia im Kongress.
    Ein politischer Profi durch und durch - und ein erklärter Gegner von Obamacare. Als Minister könne er zwar keine Gesetze erlassen, sagt Bill Custer, Gesundheitsökonom an der Georgia State University. Trotzdem:
    "Er hat einen großen Spielraum bei der Auslegung. Er ist für die operativen Details zuständig: Was wird erstattet? Welche Versicherungen werden angeboten? Wie hoch sind die Beiträge? Wer ist erstattungsberechtigt? All das kann er mit seiner Unterschrift ändern."
    Tom Price ist ein mächtiger Mann und Chef einer mächtigen Behörde: Das US-Gesundheitsministerium verwaltet ein Budget von einer Billion Dollar, mehr als alle anderen Ministerien in Washington.
    Außerdem: Fast alle Pläne für den Ersatz von Obamacare, die der Kongress derzeit debattiert, tragen Prices Handschrift. Und zielen auf eine stärkere Privatisierung des Gesundheitssystems. So könnten Patienten, statt subventionierte Versicherungen zu erwerben, künftig mithilfe von Steuergutschriften Policen auf dem freien Markt kaufen.
    Was geschieht bei Vorerkrankungen?
    Die wichtigste Frage für viele Amerikaner lautet: Können sich Menschen mit Krankheiten wie Krebs oder Diabetes in Zukunft noch eine Versicherung leisten? Obamacare verbietet Versicherungsunternehmen, Menschen mit Vorerkrankungen, also potenziell teure Patienten abzulehnen.
    Niemand dürfe seine Krankenversicherung wegen einer schlechten Diagnose verlieren, sagt Price. Das Ziel bleibt das alte, aber die Strategie ist eine andere: Versicherungsanreize statt Versicherungspflicht. So sollen für Menschen, die sich durchgehend versichern, die Beiträge stabil bleiben - mit oder ohne Vorerkrankung. Wer dagegen seine Versicherung aussetzt, dem droht beim Wiedereintritt ein üppiger Preisaufschlag.
    Eine vernünftige Idee und eine Maßnahme gegen den zunehmenden Versicherungsmissbrauch. Doch Keren Landman ist skeptisch:
    "Viele Menschen mit Vorerkrankungen, die aus ihrer Versicherung ausgetreten sind, aber diesen Fehler wiedergutmachen wollen, können sich die hohen Beiträge nicht leisten. Sie sitzen in der Falle. Und am Ende trägt der Steuerzahler die Kosten, wenn die Leute zur Gratis-Behandlung in die öffentlichen Krankenhäuser gehen."
    "Vielen ist erst bewusst geworden, wie wichtig es ist, eine Krankenversicherung zu haben"
    Ein weiterer Plan: die Einführung von Hochrisiko-Pools, subventionierte Sonderversicherungen für Menschen mit Vorerkrankungen. Allerdings wären die Kosten für diese Pools weitaus höher als für die Versicherungen unter Obamacare, meint Gesundheitsökonom Bill Custer. Teuer, kompliziert, und vor allem: unpopulär. Custer geht jedenfalls nicht davon aus, dass Regierung und Kongress Obamacare vollständig kippen werden.
    "Die Abwägung ist folgende: Entweder sie entscheiden, die Abschaffung von Obamacare durchzuziehen. Dann werden Millionen Menschen ihren Versicherungsschutz verlieren - und die Republikaner die nächsten Wahlen. Oder sie gehen langsam vor, ersetzen und modifizieren Teile des Pakets und geben dem Gesetz am Ende einen anderen Namen."
    Keren Landman hat viel zu tun an diesem Abend in der Armenklinik in Atlanta. Trotzdem ist die Ärztin vorsichtig optimistisch, dass die Schlange der Unversicherten vielleicht doch nicht ganz so schnell anwachsen wird:
    "Die meisten meiner Patienten verstehen nicht, wie das Gesundheitssystem funktioniert. Aber sie verstehen, wenn es ihnen genommen wird. In den letzten Monaten ist vielen erst bewusst geworden, wie wichtig es ist, eine Krankenversicherung zu haben."