Dirk Müller: Der Innenminister will es persönlich richten bei seinem Besuch in Washington. Klare Worte will er finden, Auskunft will er verlangen, Erklärungen will er verlangen, Aufklärung mit nach Hause, mit nach Berlin bringen. Ein ambitioniertes Unterfangen, wobei viele Beobachter schon jetzt davon überzeugt sind, das ganze kann er sich sparen. Hans-Peter Friedrich in den Vereinigten Staaten und mit der Politik, aber auch mit den Sicherheitsbehörden will er über das Ausmaß, über die Dimension des Internet- und Daten-Überwachungsskandals sprechen. Die Affäre Edward Snowden und die Folgen, die vor allem auch zwischen Deutschland und den USA zu einer massiven Belastung geworden sind.
Hans-Peter Friedrich in den USA und die Geheimdienstaffäre – wir sind dazu nun verbunden mit dem früheren Bundesrichter Wolfgang Neskovic, der nach dem Austritt aus der Linksfraktion als freier Abgeordneter im Bundestag sitzt. Guten Morgen!
Wolfgang Neskovic: Schönen guten Morgen.
Müller: Herr Neskovic, ist Edward Snowden ein Glücksfall?
Neskovic: Ja, ich glaube, er ist ein Glücksfall, und Sie sagten das ja eben schon in der Anmoderation. Ich glaube, dass die Reise von Herrn Friedrich für die Öffentlichkeit ohne wesentlichen Erkenntnisgewinn bleiben wird. Sie ist aus meiner Sicht eine reine PR-Aktion. Sie soll besorgte Bürgerinnen und Bürger beruhigen. Das Ganze läuft somit auf eine Verschwendung von Steuergeldern hinaus.
Müller: Aber es muss sich ja jemand darum kümmern!
Neskovic: Ja, das ist richtig. Bei uns ist eigentlich das Parlamentarische Kontrollgremium zuständig. Aber das Kontrollniveau bei diesem Gremium ist miserabel. Isaac Newton hat einmal gesagt, was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen ist ein Ozean, und ich finde, mit diesem Satz lässt sich der Wissensstand, besser Unwissensstand der parlamentarischen Geheimdienstkontrolle am besten veranschaulichen. Wenn die Bundesregierung vorgibt, ahnungslos zu sein, ist das Parlamentarische Kontrollgremium tatsächlich ahnungslos.
Es ist bezeichnend, das sagten Sie eben auch im Vorbericht, dass eigentlich wir von den Amerikanern verlangen, dass sie uns mitteilen sollen, wie die amerikanischen Geheimdienste mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst zusammengearbeitet haben und dass offensichtlich hier keine Erkenntnisse vorliegen, was der Bundesnachrichtendienst tatsächlich getan hat, so hat auch nach der jüngsten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums dieses lediglich erklärt, die deutschen Dienste hätten versichert, sie hätten von Spähprogrammen der USA und anderer Nachrichtendienste nichts gewusst, und das wirft natürlich die Frage auf, ob diese Erklärungen der Wahrheit entsprechen. Ich frage mich überhaupt, welchen Sinn macht eine Kontrolle, in der die Kontrolleure sich allein auf die Zusicherung der zu Kontrollierenden verlassen müssen.
Das wäre vergleichbar mit einer Fahrscheinkontrolle bei der Deutschen Bahn, bei der sich der Kontrolleur nicht die Fahrscheine der Fahrgäste zeigen lässt, sondern sich nur mit deren bloßer Zusicherung begnügt, sie besäßen einen gültigen Fahrausweis. Und ich finde, bei einem solchen Kontrollverhalten hätte die Bahn sicherlich schon längst Insolvenz anmelden müssen. Selten ist die Hilflosigkeit dieses Gremiums für die Öffentlichkeit deutlicher geworden als nach dieser Sitzung, und das hat natürlich auch Gründe.
Müller: Herr Neskovic, ich habe noch ein paar Fragen, wenn Sie gestatten. Bleiben wir noch einmal bei Hans-Peter Friedrich, bevor wir noch mal zum Kontrollgremium gehen. Kann das sein, dass der Innenminister nach Washington geht und das, was er erfahren will, schon längst weiß?
Neskovic: Das ist natürlich möglich. Ich kann nicht in seinen hinein Kopf hineinschauen. Da bin ich relativ unsicher, wie ich dort eine Prognose treffen sollte. Aber ich will hier auch nicht spekulieren, das wird sich klären.
Müller: Sie waren jahrelang ja auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, Sie kennen die Geheimdienste, Sie kennen die Zusammenarbeit, Sie kennen die Informationspolitik. Das heißt, es könnte sein, dass ein Innenminister nichts weiß über diese gesamte Dimension, über das flächendeckende Netz?
Neskovic: Das halte ich für möglich. Ich will mal die Sicht des Parlamentariers beschreiben. Dies ist ja jetzt erst mal die Sicht der Regierung und ich finde, dass die gesetzlichen, personellen und sachlichen Voraussetzungen des Gremiums für eine Kontrolle, die dieses Wort verdient, völlig ungeeignet sind. So verfügt zum Beispiel das Parlamentarische Kontrollgremium gar nicht über das technische Personal, um überprüfen zu können, welche Informationen sich zum Beispiel in den Datenbanken der Nachrichtendienste befinden. Weder dem Gremium noch dem einzelnen Abgeordneten stehen entsprechende IT-Experten als Mitarbeiter zur Seite. Und es ist auch nicht präzise geregelt, über welche Tätigkeiten die Dienste das Gremium überhaupt informieren müssen.
Müller: Das heißt, Kontrolle heißt de facto rhetorisches Hören und Sagen?
Neskovic: Ja, so kann man es sagen. Sie haben bei ihren Berichten faktisch freie Auswahl, zu welchen Sachverhalten sie vortragen und zu welchen nicht. Sie sind nach dem Gesetz zwar gehalten, den Abgeordneten über die allgemeine Tätigkeit und auch über besondere Vorkommnisse zu berichten. Da die Abgeordneten aber keine Kenntnis der Bandbreite geheimdienstlicher Arbeit haben, können sie auch nicht abschätzen, was ein besonderes Vorkommnis ist, und damit fehlt ihnen eigentlich jegliche Überprüfungsmöglichkeit, ob die Geheimdienste dem gesetzlichen Berichtsauftrag nachkommen.
Dieser gesetzliche Konstruktionsfehler kann nur dadurch beseitigt werden, dass im Gesetz Regelfälle aufgeführt werden, in denen eine zwingende Berichtspflicht besteht. Das könnte zum Beispiel eine regelmäßige Unterrichtung der Abgeordneten über den Datenaustausch mit ausländischen Geheimdiensten sein. Bei der bestehenden Gesetzeslage verwundert es nicht, dass Geheimdienstler die Sitzungen des Gremiums als Märchenstunde verspotten.
Müller: Sie haben viele Begegnungen gehabt in diesem Parlamentarischen Kontrollgremium. PKG wird das immer abgekürzt. Viele wundern sich: PKG, Parlamentarisches Kontrollgremium, Herr Neskovic. Wie sind die Geheimdienstler - das sind ja auch die Chefs, die da auftreten, Abteilungsleiter -, wie sind die Ihnen gegenübergetreten?
Neskovic: Ja ich habe sogar eine Woche ein Praktikum beim BND in Pullach bisher als einziger Abgeordneter gemacht. Ich bin auch Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss gewesen. Die sind freundlich und nett im Umgang, die Höflichkeitsformen beherrschen sie. Aber das Entscheidende ist, dass wir keine Möglichkeiten haben, tatsächlich zu überprüfen, ob das, was sie uns sagen, wahr ist. Das will ich vielleicht noch mal an zwei Beispielen erläutern, die das prägnant beweisen und belegen. Bestimmte Informationen sind zum Beispiel gesetzlich tabuisiert. Arbeitet der BND zum Beispiel mit ausländischen Diensten zusammen, verbietet das Gesetz ausdrücklich einen Kontrollzugriff hierauf, es sei denn, der ausländische Dienst stimmt dem zu. So entsteht, wie ich finde, ein verfassungswidriger kontrollfreier Raum, …
Müller: Also Freibrief?
Neskovic: Ja! …, den es in der parlamentarischen Demokratie nicht geben darf. Ausländische Geheimdienste entscheiden nach der gegenwärtigen Gesetzeslage über den Umfang innerdeutscher demokratischer Kontrolle. Was vielleicht auch ganz wichtig ist: Schließlich ist das Parlamentarische Kontrollgremium auch deswegen ein zahnloses Kontrollinstrument, weil alle Kontrollbefugnisse an eine Mehrheitsentscheidung des Gremiums gebunden sind. Das bedeutet etwa, dass eine Kontrolle der Datenbank der Nachrichtendienste vor Ort oder die Anhörung eines Mitarbeiters nicht von einem einzelnen Abgeordneten des Gremiums durchgesetzt werden kann. Vielmehr ist hierzu – lassen Sie mich das kurz sagen – ein Mehrheitsbeschluss des Gremiums erforderlich, und im Gremium verfügen die Regierungsfraktionen jedoch über die Mehrheit. Und da ihr Bedürfnis, die eigene Regierung zu schädigen, naturgemäß gering ausgeprägt ist, bedeutet diese Regelung eine, so würde ich das mal formulieren, gesetzlich institutionalisierte Antriebsarmut. Und solange nicht die einzelnen Kontrollrechte jedem Gremiumsmitglied zustehen, erweist sich das Parlamentarische Kontrollgremium auch unter diesem Gesichtspunkt als Wachhund ohne Gebiss.
Müller: Herr Neskovic, das erinnert ein bisschen an die Untersuchungsausschüsse, die meistens auch immer so ausgehen, dass die Mehrheit entscheidet, wie es war. Aber wenn wir noch einmal von der anderen Seite die ganze Geschichte betrachten: Sie sagen, die Kontrolle ist kaum möglich, die Mehrheitsfraktionen setzen sich in diesem Kontrollgremium auch durch. Umgekehrt ist auch klar: Geheimdienste sind nicht Transparency International verpflichtet, sind auch nicht Mitglied bei dieser Organisation. Wie viel geheim muss bei Geheimdiensten bleiben?
Neskovic: Nach meiner Einschätzung in dieser ganzen Zeit, in diesen jetzt sieben Jahren, und den Erfahrungen, über die ich berichtet habe, würde ich sagen, 85 bis 90 Prozent all der Informationen, die wir dort bekommen, sind überhaupt nicht geheimhaltungsbedürftig. Es gibt einen ganz geringen Teil von Informationen, die geheimhaltungsbedürftig sind. Dem wird auch Rechnung getragen, das wird auch akzeptiert, auch von mir akzeptiert. Aber wir haben das im BND-Untersuchungsausschuss erlebt, dass beispielsweise Presseerklärungen, die nun wirklich für die Öffentlichkeit bestimmt sind, in den Akten klassifiziert worden sind. Das belegt nun besonders anschaulich, zu welchen grotesken Geheimnistuereien die Geheimdienste um sich herum eine Mauer aufbauen, die tabuisiert ist und die bedauerlicherweise von den Kontrollgremien und auch von der Politik akzeptiert wird.
Die Geheimdienste sind nichts anderes als Dienstleister für das Volk und als solche müssen sie kontrolliert werden. Aber sie haben die Besonderheit, dass sie im Grunde genommen den Mythos aufgebaut haben, dass dieser Bereich weitgehend kontrollfrei ist. Das zeigen die gesetzlichen Regelungen, das zeigen die Erfahrungen, die ich und andere dort in diesem Gremium machen, und das muss sich definitiv ändern. Ansonsten werden die Geheimdienste weiterhin ihr Eigenleben führen.
Müller: Jetzt kommt schon die Musik, Wolfgang Neskovic. Wir müssen uns beeilen hier im Deutschlandfunk. Bei uns heute Morgen im Interview der frühere Bundesrichter und Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic. Vielen Dank für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Neskovic: Ich danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hans-Peter Friedrich in den USA und die Geheimdienstaffäre – wir sind dazu nun verbunden mit dem früheren Bundesrichter Wolfgang Neskovic, der nach dem Austritt aus der Linksfraktion als freier Abgeordneter im Bundestag sitzt. Guten Morgen!
Wolfgang Neskovic: Schönen guten Morgen.
Müller: Herr Neskovic, ist Edward Snowden ein Glücksfall?
Neskovic: Ja, ich glaube, er ist ein Glücksfall, und Sie sagten das ja eben schon in der Anmoderation. Ich glaube, dass die Reise von Herrn Friedrich für die Öffentlichkeit ohne wesentlichen Erkenntnisgewinn bleiben wird. Sie ist aus meiner Sicht eine reine PR-Aktion. Sie soll besorgte Bürgerinnen und Bürger beruhigen. Das Ganze läuft somit auf eine Verschwendung von Steuergeldern hinaus.
Müller: Aber es muss sich ja jemand darum kümmern!
Neskovic: Ja, das ist richtig. Bei uns ist eigentlich das Parlamentarische Kontrollgremium zuständig. Aber das Kontrollniveau bei diesem Gremium ist miserabel. Isaac Newton hat einmal gesagt, was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen ist ein Ozean, und ich finde, mit diesem Satz lässt sich der Wissensstand, besser Unwissensstand der parlamentarischen Geheimdienstkontrolle am besten veranschaulichen. Wenn die Bundesregierung vorgibt, ahnungslos zu sein, ist das Parlamentarische Kontrollgremium tatsächlich ahnungslos.
Es ist bezeichnend, das sagten Sie eben auch im Vorbericht, dass eigentlich wir von den Amerikanern verlangen, dass sie uns mitteilen sollen, wie die amerikanischen Geheimdienste mit dem deutschen Bundesnachrichtendienst zusammengearbeitet haben und dass offensichtlich hier keine Erkenntnisse vorliegen, was der Bundesnachrichtendienst tatsächlich getan hat, so hat auch nach der jüngsten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums dieses lediglich erklärt, die deutschen Dienste hätten versichert, sie hätten von Spähprogrammen der USA und anderer Nachrichtendienste nichts gewusst, und das wirft natürlich die Frage auf, ob diese Erklärungen der Wahrheit entsprechen. Ich frage mich überhaupt, welchen Sinn macht eine Kontrolle, in der die Kontrolleure sich allein auf die Zusicherung der zu Kontrollierenden verlassen müssen.
Das wäre vergleichbar mit einer Fahrscheinkontrolle bei der Deutschen Bahn, bei der sich der Kontrolleur nicht die Fahrscheine der Fahrgäste zeigen lässt, sondern sich nur mit deren bloßer Zusicherung begnügt, sie besäßen einen gültigen Fahrausweis. Und ich finde, bei einem solchen Kontrollverhalten hätte die Bahn sicherlich schon längst Insolvenz anmelden müssen. Selten ist die Hilflosigkeit dieses Gremiums für die Öffentlichkeit deutlicher geworden als nach dieser Sitzung, und das hat natürlich auch Gründe.
Müller: Herr Neskovic, ich habe noch ein paar Fragen, wenn Sie gestatten. Bleiben wir noch einmal bei Hans-Peter Friedrich, bevor wir noch mal zum Kontrollgremium gehen. Kann das sein, dass der Innenminister nach Washington geht und das, was er erfahren will, schon längst weiß?
Neskovic: Das ist natürlich möglich. Ich kann nicht in seinen hinein Kopf hineinschauen. Da bin ich relativ unsicher, wie ich dort eine Prognose treffen sollte. Aber ich will hier auch nicht spekulieren, das wird sich klären.
Müller: Sie waren jahrelang ja auch Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, Sie kennen die Geheimdienste, Sie kennen die Zusammenarbeit, Sie kennen die Informationspolitik. Das heißt, es könnte sein, dass ein Innenminister nichts weiß über diese gesamte Dimension, über das flächendeckende Netz?
Neskovic: Das halte ich für möglich. Ich will mal die Sicht des Parlamentariers beschreiben. Dies ist ja jetzt erst mal die Sicht der Regierung und ich finde, dass die gesetzlichen, personellen und sachlichen Voraussetzungen des Gremiums für eine Kontrolle, die dieses Wort verdient, völlig ungeeignet sind. So verfügt zum Beispiel das Parlamentarische Kontrollgremium gar nicht über das technische Personal, um überprüfen zu können, welche Informationen sich zum Beispiel in den Datenbanken der Nachrichtendienste befinden. Weder dem Gremium noch dem einzelnen Abgeordneten stehen entsprechende IT-Experten als Mitarbeiter zur Seite. Und es ist auch nicht präzise geregelt, über welche Tätigkeiten die Dienste das Gremium überhaupt informieren müssen.
Müller: Das heißt, Kontrolle heißt de facto rhetorisches Hören und Sagen?
Neskovic: Ja, so kann man es sagen. Sie haben bei ihren Berichten faktisch freie Auswahl, zu welchen Sachverhalten sie vortragen und zu welchen nicht. Sie sind nach dem Gesetz zwar gehalten, den Abgeordneten über die allgemeine Tätigkeit und auch über besondere Vorkommnisse zu berichten. Da die Abgeordneten aber keine Kenntnis der Bandbreite geheimdienstlicher Arbeit haben, können sie auch nicht abschätzen, was ein besonderes Vorkommnis ist, und damit fehlt ihnen eigentlich jegliche Überprüfungsmöglichkeit, ob die Geheimdienste dem gesetzlichen Berichtsauftrag nachkommen.
Dieser gesetzliche Konstruktionsfehler kann nur dadurch beseitigt werden, dass im Gesetz Regelfälle aufgeführt werden, in denen eine zwingende Berichtspflicht besteht. Das könnte zum Beispiel eine regelmäßige Unterrichtung der Abgeordneten über den Datenaustausch mit ausländischen Geheimdiensten sein. Bei der bestehenden Gesetzeslage verwundert es nicht, dass Geheimdienstler die Sitzungen des Gremiums als Märchenstunde verspotten.
Müller: Sie haben viele Begegnungen gehabt in diesem Parlamentarischen Kontrollgremium. PKG wird das immer abgekürzt. Viele wundern sich: PKG, Parlamentarisches Kontrollgremium, Herr Neskovic. Wie sind die Geheimdienstler - das sind ja auch die Chefs, die da auftreten, Abteilungsleiter -, wie sind die Ihnen gegenübergetreten?
Neskovic: Ja ich habe sogar eine Woche ein Praktikum beim BND in Pullach bisher als einziger Abgeordneter gemacht. Ich bin auch Mitglied im BND-Untersuchungsausschuss gewesen. Die sind freundlich und nett im Umgang, die Höflichkeitsformen beherrschen sie. Aber das Entscheidende ist, dass wir keine Möglichkeiten haben, tatsächlich zu überprüfen, ob das, was sie uns sagen, wahr ist. Das will ich vielleicht noch mal an zwei Beispielen erläutern, die das prägnant beweisen und belegen. Bestimmte Informationen sind zum Beispiel gesetzlich tabuisiert. Arbeitet der BND zum Beispiel mit ausländischen Diensten zusammen, verbietet das Gesetz ausdrücklich einen Kontrollzugriff hierauf, es sei denn, der ausländische Dienst stimmt dem zu. So entsteht, wie ich finde, ein verfassungswidriger kontrollfreier Raum, …
Müller: Also Freibrief?
Neskovic: Ja! …, den es in der parlamentarischen Demokratie nicht geben darf. Ausländische Geheimdienste entscheiden nach der gegenwärtigen Gesetzeslage über den Umfang innerdeutscher demokratischer Kontrolle. Was vielleicht auch ganz wichtig ist: Schließlich ist das Parlamentarische Kontrollgremium auch deswegen ein zahnloses Kontrollinstrument, weil alle Kontrollbefugnisse an eine Mehrheitsentscheidung des Gremiums gebunden sind. Das bedeutet etwa, dass eine Kontrolle der Datenbank der Nachrichtendienste vor Ort oder die Anhörung eines Mitarbeiters nicht von einem einzelnen Abgeordneten des Gremiums durchgesetzt werden kann. Vielmehr ist hierzu – lassen Sie mich das kurz sagen – ein Mehrheitsbeschluss des Gremiums erforderlich, und im Gremium verfügen die Regierungsfraktionen jedoch über die Mehrheit. Und da ihr Bedürfnis, die eigene Regierung zu schädigen, naturgemäß gering ausgeprägt ist, bedeutet diese Regelung eine, so würde ich das mal formulieren, gesetzlich institutionalisierte Antriebsarmut. Und solange nicht die einzelnen Kontrollrechte jedem Gremiumsmitglied zustehen, erweist sich das Parlamentarische Kontrollgremium auch unter diesem Gesichtspunkt als Wachhund ohne Gebiss.
Müller: Herr Neskovic, das erinnert ein bisschen an die Untersuchungsausschüsse, die meistens auch immer so ausgehen, dass die Mehrheit entscheidet, wie es war. Aber wenn wir noch einmal von der anderen Seite die ganze Geschichte betrachten: Sie sagen, die Kontrolle ist kaum möglich, die Mehrheitsfraktionen setzen sich in diesem Kontrollgremium auch durch. Umgekehrt ist auch klar: Geheimdienste sind nicht Transparency International verpflichtet, sind auch nicht Mitglied bei dieser Organisation. Wie viel geheim muss bei Geheimdiensten bleiben?
Neskovic: Nach meiner Einschätzung in dieser ganzen Zeit, in diesen jetzt sieben Jahren, und den Erfahrungen, über die ich berichtet habe, würde ich sagen, 85 bis 90 Prozent all der Informationen, die wir dort bekommen, sind überhaupt nicht geheimhaltungsbedürftig. Es gibt einen ganz geringen Teil von Informationen, die geheimhaltungsbedürftig sind. Dem wird auch Rechnung getragen, das wird auch akzeptiert, auch von mir akzeptiert. Aber wir haben das im BND-Untersuchungsausschuss erlebt, dass beispielsweise Presseerklärungen, die nun wirklich für die Öffentlichkeit bestimmt sind, in den Akten klassifiziert worden sind. Das belegt nun besonders anschaulich, zu welchen grotesken Geheimnistuereien die Geheimdienste um sich herum eine Mauer aufbauen, die tabuisiert ist und die bedauerlicherweise von den Kontrollgremien und auch von der Politik akzeptiert wird.
Die Geheimdienste sind nichts anderes als Dienstleister für das Volk und als solche müssen sie kontrolliert werden. Aber sie haben die Besonderheit, dass sie im Grunde genommen den Mythos aufgebaut haben, dass dieser Bereich weitgehend kontrollfrei ist. Das zeigen die gesetzlichen Regelungen, das zeigen die Erfahrungen, die ich und andere dort in diesem Gremium machen, und das muss sich definitiv ändern. Ansonsten werden die Geheimdienste weiterhin ihr Eigenleben führen.
Müller: Jetzt kommt schon die Musik, Wolfgang Neskovic. Wir müssen uns beeilen hier im Deutschlandfunk. Bei uns heute Morgen im Interview der frühere Bundesrichter und Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic. Vielen Dank für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
Neskovic: Ich danke Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.